Konkurrenz um tote Körper: „Es wäre lächerlich“

Die Bremer Gesundheitsbehörde will Leichen von Hamburg beschauen lassen. Ist das sinnvoll?

Der Fall Lazarus beweist: Eine Leiche genau anschauen kann Leben retten. Bild: Meister des Pflockschen Altars

taz: Herr Klintschar, wer hat Sie aufgefordert, ein Konzept für die Bremer Rechtsmedizin zu entwerfen?

Michael Klintschar: Später, im Sommer, hat die Bremer Gesundheitsbehörde uns, also das rechtsmedizinische Institut der Medizinischen Hochschule, aufgefordert, eine Konzeption einzureichen, mit einer Frist. Das haben wir auch getan. Aber im Grunde habe ich mich als erstes selbst aufgefordert, als ich erfahren hatte, dass Bremen da etwas plant. Und es mit Hamburg plant. Und da habe ich mich schon gewundert, warum fragen die nicht auch hier in Hannover nach. Schließlich sind wir Nachbarn.

Vielleicht, weil Klaus Püschel vom UKE sogar Dekubitalulcera, also Liegegeschwüre entdeckt, wie der fürs Thema zuständige Referatsleiter lobte ...?

Selbstverständlich findet er die. Die finden wir doch auch. Jeder Rechtsmediziner sieht die – sonst wäre die Sache ja witzlos: Bei der Leichenschau geht es darum, sämtliche Auffälligkeiten am Toten zu notieren.

Also hat der Referatsleiter sich danach nicht erkundigt, als er Sie einen ganzen Tag an der MHH besucht hat?

Einen ganzen Tag?!

Hat er gesagt ...

Er hat uns hier besucht, das ist wahr. Da ist das Schlagwort Dekubitalulcera zwar gefallen, aber nur ganz am Rande. Wir hatten ein nettes Gespräch, bei dem ich aufgefordert worden war, ein Konzept einzureichen.

50, Prof. Dr. med, Studium in Graz, Promotion 1990, Habilitation 2000, seit 2010 Direktor der Rechtsmedizin der MH-Hannover, zuvor in gleicher Funktion in Göttingen.

Mit welcher Zielsetzung?

Was mir ein wenig seltsam vorgekommen war, ist, dass die im engeren Sinne rechtsmedizinischen Fragen dabei keine Rolle gespielt haben, sondern es vor allem um die amtsärztlichen Belange ging, die in Bremen die Rechtsmedizin mitübernimmt.

Also die sonst vom Amt betreuten herrenlosen Leichen und die Krematoriums-Leichenschau?

Ja, das ist eine Bremensie, das habe ich auch erst gelernt. Ich hatte in dem Gespräch aber darauf hingewiesen, dass es da ja eine bewährte Struktur in Bremen gibt, an der man aus meiner Sicht nicht vorbeikommt, die man deshalb in ein neues Konzept integrieren müsste.

Die Rechtsmedizin versieht in der Stadt Bremen, anders als sonst üblich, auchdas amtsärztliche Leichenwesen, also die Bestattung „herrenloser“ Leichen und die Krematoriumsleichenschau. Sie müssen zu Januar 2016 neu geordnet sein.

Damit die Senatorin eine Institution mit diesen Aufgaben beleihen kann, passt kommende Woche die Bürgerschaft das Gesundheitsdienstegesetz an. Zugleich wird die Einführung einer flächendeckenden qualifizierten Leichenschau ab August 2016 vorbereitet. Sie bedarf einer gesetzlichen Grundlage und einer Klärung der Finanzierung.

Schon für die Vorplanung hat sich die Behörde an Hamburgs Rechtsmedizin gewandt. Nach ihrer Darstellung basiert diese Vorfestlegung „auf sachlichen Kriterien“. Die zu benennen, weigert sich die Gesundheitssenatorin. (taz)

Sie nennen in Ihrem Konzept die Leichenschau am Fundort den „Goldstandard“. Die Gesundheitsbehörde sagt, darüber gebe es geteilte Meinungen?

Die überwiegende Mehrzahl aller Rechtsmediziner halten eine Leichenschau vor Ort für unerlässlich. Wie sonst könnten absolut notwendige Beobachtungen über beim Leichnam gefundene Medikamente, ärztliche Berichte, potenzielle Tatwaffen etcetera in die Befundung einfließen?

Klaus Püschels Konzept sah aber eine zentrale Leichenschau vor?

Das hat aber keine fachliche, sondern allein ökonomische Gründe: Es spart Geld.

„Es geht darum, die große Zahl der unentdeckten Gewaltverbrechen zu verringern.“

Aber der Transport verursacht doch auch Kosten?

Das stimmt, und man bräuchte auch ein eigenes Kühlhaus. Aber für die Leichenschau selbst brauchen Sie Fachärzte, während Sie alles andere an Hilfskräfte delegieren könnten. Durch Zen­tralisierung sparen sie Stellen. Aber fachlich – nein, in vielen einschlägigen Gesetzen ist das Entfernen einer Leiche vom Fundort sogar ausdrücklich verboten, es sei denn, eine Leichenschau ist dort durch äußere Bedingungen gänzlich unmöglich. Aber selbst dann ist natürlich der Fundort genauestens zu dokumentieren. Es wäre lächerlich, eine qualifizierte Leichenschau einzuführen – und dafür dann die Toten an einem zen­tralen Ort zu sammeln.

Aber spielt das fürs gesundheitspolitische Ziel einer genaueren Todesursachen-Statistik eine große Rolle?

Dieses Ziel werden Sie durch eine qualifizierte Leichenschau nicht erreichen. Das sehen Sie ja gerade in Hamburg gut, wo man alle unklaren Todesfälle im Rahmen einer zentralen Leichenschau inspiziert. Angaben zur Todesursache werden nach einer solchen Leichenschau nie gemacht. Da gibt es stattdessen einen Stempel: „Todesursache nur durch Sektion zu klären“, damit wird jeder Fall versehen.

Wozu dient die Leichenschau denn dann?

Sie hat einen klaren forensischen Vorteil: Es geht darum, die große Zahl der unentdeckten Gewaltverbrechen zu verringern. Um die Todesursachen aufzuklären und die Mortalitätsstatistik zu verbessern, wäre eine genaue Anamnese im Dialog mit dem behandelnden Arzt und im Zweifel die Obduktion das Mittel der Wahl.

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