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Gewaltprävention in Schleswig-HolsteinWer schützt den Mörder vor dem Mord?

Seit Ende 2023 gibt es in Schleswig-Holstein Gewaltpräventionsambulanzen für psychisch Kranke. Eine erste Bilanz fällt durchaus positiv aus.

Gewaltschutzambulanzen sollen etwa tödliche Messerattacken wie in Brokstedt verhindern: eine Tat von Ibrahim A., hier vor Gericht Foto: Foto: Marcus Brandt/dpa

Rendsburg taz | Der Messerangriff einer Deutschen am Hamburger Hauptbahnhof im Mai oder die Amokfahrt eines gebürtigen Saudi-Arabers und Islamhassers in Magdeburg im Dezember 2024 – nach solchen Taten stellt sich immer die Frage: Wäre es vermeidbar gewesen?

In Schleswig-Holstein war man nach der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug bei Brokstedt im Januar 2023 auch mit dieser Frage konfrontiert. Seitdem fördert das Land mehrere Gewaltpräventionsambulanzen. Hier sollen mögliche Tä­te­r:in­nen betreut werden, bevor etwas passiert. Die Arbeit ist angelaufen und nun wurde eine erste Bilanz gezogen. Eines steht für die Verantwortlichen der Kieler Ambulanz bereits fest: Sie wünschen sich mehr Leute – und einen neuen Namen.

Die Sozialarbeiterin Laura Weiland betreut gemeinsam mit ihrem Kollegen Erdal Günes die Gewaltpräventionsambulanz, die an das Institut für Sexualmedizin, Forensische Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums in Kiel angegliedert ist. Im Dezember 2023 fiel der Startschuss für diese und weitere Ambulanzen in anderen Städten. Der Verein Wendepunkte bietet Beratung in Elmshorn an, Pro Familia tut dasselbe in Flensburg und Lübeck.

Das Land Schleswig-Holstein fördert die Arbeit mit rund 400.000 Euro, die sich auf die vier Standorte verteilen. Auch für kommendes Jahr stehe die Chance auf Förderung gut, sagt Christian Huchzermeier, Professor am Uni-Klinikum Kiel und Direktor des Forensischen Instituts. Die Summe sei aber eigentlich zu gering für die großen Erwartungen, die sich damit verbinden.

Warnzeichen früh erkennen

Die Ambulanzen sollen Warnzeichen früh erkennen und ein rechtzeitiges Eingreifen möglich machen. „Es geht um Personen, um die sich sonst kaum jemand kümmern will“, sagt Huchzermeier. Wie jener junge Mann, den Laura Weiland betreute.

Er hatte bereits im Gefängnis gesessen und war wegen Schizophrenie und einer Suchtthematik behandelt worden. Keine Wohneinrichtung wollte ihn aufnehmen. Dank der Vermittlung der Gewaltpräventionsambulanz fand sich doch noch ein Heimplatz.

„Dort wurde er übergriffig und musste in die Wohnungslosenunterkunft“, sagt Weiland. Nach einer Weile gelang es, ihn in einer Psychiatrie unterzubringen. „Neulich rief er an, es war ein guter Kontakt.“ Der Mann sei im System geblieben, habe Hilfe erhalten und vor allem habe er niemanden verletzt.

Insgesamt 63 Personen betreute die Kieler Ambulanz bisher. Allerdings hatten Weiland und ihr Kollege nur mit einem Teil davon persönlichen Kontakt. „Der Datenschutz, so wichtig er ist, macht unsere Arbeit schwierig“, erklärt Huchzermeier. Denn in der Regel melden sich nicht die Betroffenen selbst, sondern Fachleute, die sie aus einem Wohnheim, einer Drogenberatungsstelle oder einem Tagestreff kennen. „Und die dürfen oft keine Details berichten, was bedeutet, dass wir nur allgemeine Tipps geben können“, sagt Huchzermeier.

Es geht um Personen, um die sich sonst kaum jemand kümmern will

Christian Huchzermeier, Professor am Uniklinikum Kiel und Direktor des Forensischen Instituts

Bei der Innenministerkonferenz im Frühjahr in Bremen ging es unter anderem um solche potenziell gefährlichen Personen. Die Runde einigte sich auf ein „integriertes Risikomanagement“, in dessen Rahmen auffällige Diagnosen unter anderem bei der Polizei gemeldet werden sollten. Nur besagt die Diagnose allein kaum etwas über das mögliche Gefahrenpotenzial. Das zeigen Studien.

Es braucht den fachlichen Blick auf den Einzelfall, sagt Huchzermeier. Es könne daher sinnvoll sein, Informationen über auffällige Personen bei einer Fachstelle zu sammeln, schlägt er vor: „Das wäre das mildere Mittel und würde uns mehr Möglichkeiten eröffnen.“

Ambulanzen können viel erreichen

Eigentlich kann die Ambulanz vieles erreichen. „Wir sind in Kontakt mit allen Beratungs- und Fachstellen, vermitteln weiter und suchen Lösungen“, sagt Weiland. Hinzu kommt, dass sie und ihr Kollege Aufgaben übernehmen, für die sonst niemand Zeit habe: „Etwa, jemanden bei Ämtergängen begleiten.“

Das wäre auch im Fall von ­Ibrahim A. denkbar gewesen, der inzwischen wegen des tödlichen Messerangriffs im Regionalzug verurteilt wurde. „Hätte es einen Anlaufpunkt wie diesen bereits gegeben, die Chance wäre da gewesen, ihn zu erreichen und aufzuhalten“, sagt Huchzermeier. Eine Sache aber müsse sich dringend ändern: „Wir sollten die Bezeichnung des Angebots ändern.“ Denn kaum jemand sehe sich selbst als gewalttätig und wolle sich einer Gewaltprävention unterziehen.

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