Konservativer Star wechselt zur Linken: "Offener, als ich vermutet habe"

Es gibt nicht nur prominente Austritte bei der Linkspartei. Der vielfach geehrte Ex-Direktor des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts geht für sie in den sächsischen Landtag.

Gerhard Besier wechselte von der CDU zur Linken. Bild: dpa

Der sächsischen CDU muss die Personalie schwer im Magen liegen. Vor sechs Jahren hatte sie den vermeintlich erzkonservativen Historiker und Theologen Gerhard Besier von Heidelberg als Direktor an das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung geholt. 2007 fiel er in Ungnade, sein Vertrag wurde nicht verlängert. Nun trat der 61-Jährige Ende April der sächsischen Linken bei. Am vergangenen Wochenende wählte ihn ein Nominierungsparteitag auf den sicheren Listenplatz 18 für die Landtagswahl Ende August.

„Die Linke ist offener, als ich vermutet habe“, begründet Besier seinen späten Wandel. Denn nach wie vor sei er „kein waschechter Sozialist, das wissen doch alle“. Dieser Schritt sei aber mehr als der Selbstversuch eines Freigeistes, der gern wider den Stachel löckt. Noch vor wenigen Jahren hatte er der PDS eher „illusionäres Denken“ und ein „nicht tragfähiges Programm“ bescheinigt. Auch jetzt weiß er, was in der von Flügelkämpfen zerrissenen Partei auf ihn zukommt. In diesem Disput aber sieht er eher ein Zeichen von Stärke.

Denn vor allem in der ostdeutschen Gesellschaft beklagt der libertär-amerikanisch geprägte Professor fortgesetzte autoritäre Strukturen und Schubladendenken. Borniertheit, Bigotterie und muffiges Denken in Sachsen lösten bei ihm stets ätzenden Spott aus. „Wir verraten all das, was wir den Menschen 1990 versprochen haben“, sieht Besier die offene Gesellschaft immer weiter entschwinden. Man dürfe in seiner Situation beispielsweise „keine Angst vor gesellschaftlicher Abstrafung haben“. Dann erst beginne die vor 20 Jahren versprochene Freiheit.

Was Ausgrenzung bedeutet, hat der international renommierte Wissenschaftler mit der fünf A4-Seiten umfassenden Veröffentlichungsliste persönlich erfahren. Mit den Kirchen überwarf sich der frühere Berater von Helmut Kohl wegen seiner 2.000 Seiten über Kirche, Staat und Stasi in der DDR. Kurz nach seinem Amtsantritt am Hannah-Arendt-Institut lobt er in Brüssel „ungeschickt“, wie er heute einräumt, Scientology als Vorkämpferin für Religionsfreiheit. Bei der sächsischen Union fiel er noch wegen anderer Ketzereien in Ungnade. Er hatte gesagt, die europäische Kultur habe nicht nur christliche Wurzeln, und forderte auch einen Schlussstrich unter die Stasi-Aktendiskussion.

Umso größer die Genugtuung, dass ihm die Universität Lund in Schweden Anfang dieses Jahres einen Ehrendoktor gerade wegen seines Eintretens für Religionsfreiheit verlieh, insgesamt sein dritter Doktortitel.

Als Gastredner war er schon vor fünf Jahren bei einem Bildungskongress der damaligen PDS aufgetreten. Anfang dieses Jahres beriet Besier die sächsische Linke bei ihren von Altstalinisten heftig attackierten Thesen zum Umbruch 1989. Da hatte er an der Technischen Universität Dresden die Professur für Europastudien bereits inne, für die er unter anderem Polnisch lernte. In der künftigen Landtagsfraktion der politischen Schmuddelkinder soll er den vakanten Bereich Wissenschaft und Hochschule besetzen. Auf die Auseinandersetzungen mit der CDU freut er sich schon. Es ficht ihn auch wenig an, dass die Welt und der Focus, für die er gelegentlich schrieb, ihm umgehend die Mitarbeit kündigten und von „Verrat an den Freunden“ schrieben. All das ist für den Dickkopf nur „wütendes Heulen der konservativen Horden“.

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