Konzert Karamasi Washington: Epische Grooves

Mit seinem Debütalbum „The Epic“ machte er im vergangenen Jahr international Furore. Am Dienstag ist Karamasi Washington mit seiner Band im Astra

Der kalifornische Musiker studierte unter anderem auch Musikethnologie Foto: Promo

Ich gebe unumwunden zu: Von Jazz habe ich wenig Ahnung. „A Love Supreme“ von John Coltrane oder Miles Davis finden sich zwar auch in meinem CD-Regal, aber viel mehr ist da nicht. Jazz kenne ich vor allem in Gestalt von Samples in Hip­Hop-Tracks. Und das liegt nicht daran, dass ich Jazz nicht mag.

Genres jenseits der Musik, mit der man aus welchen Gründen auch immer autobiografisch verbandelt ist – in meinem Fall ist das die Popmusik –, scheinen zwar oft theoretisch interessant. Aber wo anfangen auf einem so weiten Feld wie dem des Jazz oder der Klassik?

Bei Jazz kommt dazu eine gewisse Schwellenangst, in Anbetracht des Milieus, mit dem man das Genre jahrzehntelang assoziierte, seit Akademiker und Rotwein trinkende Connaisseure den Jazz von den ursprünglichen Hipstern der Nachkriegsjahre übernommen hatten.

Was vermutlich der Grund dafür war, dass Frank Zappa, selbst musikalischen Anleihen beim Jazz gar nicht abgeneigt, bereits vor über vierzig Jahren bei einem Konzert den legendären Spruch machte, Jazz sei zwar nicht tot, aber er rieche komisch.

J. A. W mit Kamasi Washington: Astra Kulturhaus, Revaler Str. 99, 16. 8., 21.30 Uhr, Einlass 20.30 Uhr,Infos: www.astra-berlin.deTickets: 36,25 € zzgl. Gebühren

Vor diesem Hintergrund ist umso bemerkenswerter, welche Überraschung Kamasi Washington im vergangenen Mu­sik­jahr gelungen war: Der Tenorsaxofonist, mit 34 Jahren fast schon ein Veteran der Livemusikszene seiner Heimatstadt Los Angeles, hatte mit dem unbescheiden betitelten Debütalbum „The Epic“ Jazz zum heißen Scheiß gemacht.

Das Album tauchte auf Jahresbestenlisten auf und sorgte für Raunen im Popbetrieb. Das fast dreistündige Werk hatte er übrigens bereits 2011 mit seinem Ensemble und einem 32-köpfigen Orchester plus Chor eingespielt. Da war die Welt vielleicht noch nicht bereit für dieses wirklich epische Album.

„The Epic“ kommt mal aufbrausend, mal meditativ daher. Dann wieder macht sich eine fiebrige Atmosphäre breit. Oft erinnern die Kompositionen an den eingangs erwähnten John Coltrane, manchmal greift Washington Sun Ras flimmernde Space-Fantasien auf.

Kamasi Washinton übersetzt einfach alles in Jazz

Für jede Stimmung gibt es eine klangliche Entsprechung. Es ist wütend und warm, düster und triumphal, in wechselnden Gewichtungen. Zwischendurch schafft Washington soulige Inseln, auf denen man sich von der Wucht dieses Albums erholen kann.

Das Faszinierende an dem Hype um „The Epic“ ist, dass das Album bei aller Vielschichtigkeit und Vielseitigkeit weit weg von dem hippen Bindestrich-Jazz ist, wie er heute auf vielen Tanzflächen zu hören ist. Dieses Album hätte wohl genauso vor vierzig Jahren erscheinen können.

Ob Kamasi Washington, der mit seinen wallenden Gewändern, seinem Afro und seinen handtellergroßen Amuletten selbst aussieht wie ein Zeitreisender aus den 1970er Jahren, mit diesem Album nun etwas Singuläres geschaffen hat oder ob vielleicht sogar öfter tolle Alben im Jazz herauskommen und die Schwarmintelligenz ausnahmsweise einmal hingeguckt hat, weil Washington auf einem angesagten zeitgenössischen Label veröffentlicht und vor seinem Debüt schon im Umfeld des Westküsten-HipHops in Erscheinung getreten war, ist da fast sekundär.

Aufgewachsen ist Washington in Inglewood, einer Vorstadt von Los Angeles, in der sich in den neunziger Jahren Gangs bekriegten und die naheliegende Artikulationsform der Gangster-Rap war. Man wurde allerdings in Ruhe gelassen, wenn man Besseres zu tun hatte, erzählte er in einem Interview mit dem Online-Magazin Pitchfork. Und er hatte Besseres zu tun.

Als er sich mit 13 für das Tenorsaxofon entschied, spielte er schon einige andere Instrumente. Washington studierte zunächst an einer Musikakademie, später dann noch Musikethnologie. Mit den Musikern, mit denen er „The Epic“ aufnahm, spielt er teils schon seit der Highschool zusammen.

Eher zufällig kam es dazu, dass er mit dem Rapper Snoop Dogg auftrat. Fortan brachte er immer wieder den Jazz zum HipHop. Er bastelte Arrangements für Kendricks Llamars Album „To Pimp A Butterfly“, einem anderen großen Konsens­album des vergangenen Jahres.

Seine eigene Musik veröffentlichte er nicht, wie sein Sound nahelegt, bei einem Traditionslabel, sondern auf Brainfeeder, dem Label des Avantgarde-Hip­Hoppers Flying Lotus. Vielleicht erklärt sich der Erfolg von „The Epic“ so, dass für Kamasi Washinton selbst alles Jazz ist. Obwohl er Traditionspflege betreibt, lässt er sich offenbar nicht von Genregrenzen abschrecken. Er übersetzt einfach alles in Jazz.

Jenseits aller Besonderheiten von „The Epic“ gibt es vielleicht einen weiteren Grund für die gegenwärtige Jazz-Renaissance, der mit dessen Form ganz allgemein zu tun hat: In Anbetracht der endlosen Reproduzierbarkeit digitaler Inhalte boomen offenbar Kunst- und Lebenspraktiken, die ein singuläres Erlebnis versprechen: ein gutes Essen, eine Performance und damit eben auch alles, was mit Improvisation zu tun hat.

Natürlich wird in allen möglichen Genres improvisiert, doch im Jazz ist es ein konstituierendes Merkmal. Live klingt ein Stück immer anders als auf einer Platte. Einen Eindruck, wie das bei Washington ist, kann man sich auf dem sehenswerten Videomitschnitt auf der Webseite des National Public Radio verschaffen.

Das werde ich zumindest in aller Ausführlichkeit tun. Zum Konzert kann ich nämlich leider nicht in Berlin sein. Ich werde mich mit „The Epic“ in den Ohren auf eine windige Klippe legen und in den Himmel gucken.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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