Konzertempfehlung für Berlin: „Ich habe in einer Amnesie gelebt“

Im Herbst erscheint Masha Qrellas erstes Album, in das sich auch deutsche Texte eingeschlichen haben. Mit ihrer Band ist sie am Sonntag im Lido zu Gast.

Mit ihrer EP „Keys“ als Vorboten im Lido zu Gast: Masha Qrella Foto: Promo

Vor drei Jahren, kurz vor dem Erscheinen ihres federnden, irgendwie nach der Leichtigkeit der Westcoast klingenden Popalbums „Keys“ durfte Masha Qrella bei einer Tribute-Veranstaltung im HAU den Dramaturgen und Autor Heiner Müller würdigen. Fünf Musiker*innen sollten im HAU einen Song präsentieren. Den zu schreiben fiel der Berlinerin allerdings schwer, auch die Lektüre von Müllers Texten brachte sie nicht weiter.

Bis die dann in einem Gedicht Textfragmente eines David Bowie-Stücks wiedererkannte. „Day after day / They send my friends away / To mansions cold and grey / To the far side of town / Where the thin men stalk the streets / While the sane stay underground.“ Müller also zitierte munter aus „All The Mad­men“, mit dem Bowie 1970 wiederum seinen schizophrenen Halbbruder Terry besungen hatte, und setzte die Zeilen mit seiner Antwort in einen ganz neuen Zusammenhang: „Vielleicht werde ich alles überleben / was ich geliebt habe und nicht geliebt / Frauen, Freunde, Gedanken / Day After Day.“

„Eine krasse Vorstellung“, erklärt Qrella im Interview, „dass Heiner Müller da in seinem Neubaublock in Lichtenberg saß; auf dem Plattenspieler läuft Bowie und er antwortet darauf. Das fand ich grandios, dadurch hat sich für mich ein Anknüpfungspunkt ergeben.“

Möglich, dass Müller damals thematisiert, dass immer mehr Freunde weggingen aus der DDR. Doch der Text wirkt abstrakt genug, um zeitlos zu sein. Dass er nach wie vor funktioniert, merkte Qrella unlängst bei einem Konzert in Istanbul, als das Publikum besonders auf dieses Stück ansprang – vielleicht weil Menschen dort dieser Tage ebenfalls einen „Braindrain“ erleben müssen.

Den Text verwandelte Masha Qrella jedenfalls in einen schön schwingenden Song, der, obwohl er zum Teil aus Bowies, zum Teil aus Müllers Feder stammt, typisch für sie klingt: introspektiv und offen zugleich. Bisher hatte sie ausschließlich auf Englisch getextet, doch auf der gerade auf ihrem neuen Label Staatsakt erschienen EP „Day After Day“ singt sie fast ausschließlich deutsch.

Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die Auftragsarbeit am HAU zum Einstieg in eine Auseinandersetzung mit ihrer Biografie wurde: „Das Projekt hat mich auf eine Reise in meine eigene Vergangenheit geschickt“, erklärt Qrella

Die in Berlin ansässige Masha Qrella begeistert seit mehr als 20 Jahren ihre Kritiker*innen und Fans. In der Vergangenheit spielte sie unter anderem mit Calexico und Yo La Tengo, ihre Songs liefen in Serien wie Greys Anatomy. Nach weltweiten Tourneen auch in den USA und Japan wird die Multiinstrumentalistin und Sängerin am Sonntag ihre neue, von der Presse bereits gefeierte EP „Keys“ im Lido vorstellen. Als Support eingeladen ist die New Yorker Songwriterin Anni Rossi.

Masha Qrella & Support Anni Rossi: Lido, Cuvrystraße 7, 7.4., 20 Uhr, Tickets 22 €

Konkret bedeute das, über ihre DDR-Sozialisation – geboren wurde Qrella 1975 als Tochter eines Russen und einer Deutschen in Ostberlin – neu nachzudenken. Sie freut sich, dass das aktuell wieder vielerorts geschieht – die Diskussion über Parallelen zwischen Migrationserfahrung und dem Biografiebruch für DDR-Bürger durch die Wiedervereinigung etwa empfindet sie als bereichernd.

Dass ihr persönlicher Rückblick sich auf ihr Musikschaffen auswirkt, liegt nahe: „Ich habe in einer langen Amnesie gelebt. In den ersten Jahren war ich relativ sprachlos. Da lag es nahe, erst einmal Instrumentalmusik zu machen“

Ihre musikalischen Anfänge hatte sie in den späten 1990er Jahren als Gründungsmitglied der Berliner Postrock-Combo Mina. Wenig später gründetet sie dann die Band Contriva mit, seit 2002 ist sie überwiegend solo unterwegs. In recht großen Zeitabständen veröffentlichte sie verlässlich gute Songwriteralben, unter denen das so leichtfüßige wie klare „Keys“ (2016) besonders leuchtet. Auch hier klangen ihre Texte schon sehr persönlich.

Doch zurück zu dem, was sie gegenwärtig umtreibt. „Es hat gedauert, bis ich mich abgrenzen konnte, auch gegenüber der neuen Gesellschaft. Erst viel später begreift man, dass der Westen auch keine Antwort auf die Fragen bietet, die wir uns damals gestellt haben.“

Über die Lektüre von Marion Braschs autobiografischer Geschichte, „Ab jetzt ist Ruhe“, das die ideologischen Verwerfungen innerhalb ihrer Familien nachzeichnete, kam Qrella dann dazu, sich mit dem Werk ihres ältesten Bruders zu beschäftigen, dem 2001 gestorbenen Autor und Regisseur Thomas Brasch.

Die Tristesse gibt es immer noch

Um dessen Texte wird es in ihrem nächstem Album gehen, das zum Jahresende erscheinen soll, parallel zu einem Brasch-Projekt im HAU. „Seine Texte sind wirklich aktuell und toll, die Songs ziemlich poppig geworden.“ Und fügt fast ein bisschen lakonisch hinzu: „Wenn schon deutsche Texte, warum nicht welche, die schon da sind.“

Einen, den Song „Long Road“, der vom Wiederankommen in der Realität, etwa dem Runterkommen nach einem tollen Konzertabend handelt, hat sie trotzdem selbst geschrieben. Herzstück der EP ist jedoch das eindrückliche, angejazzte 12-Minuten-Stück „Arthur“, das dank des Solos der Saxofonisten Angelika Niescier geradezu hypnotisiert.

In der damit vertonten Erzählung geht es um eine verletzte Möwe, die der Verfasser, Theatermacher und Allroundkünstler Einar Schleef einst im Schlosspark Charlottenburg gefunden und mit nach Hause genommen hat, vielleicht. „Abgesehen davon, dass die Geschichte morbide ist und einen guten Humor hat“, so Qrella, „hat mich der Blick auf ein Westberlin fasziniert, das ich so aus Erzählungen nicht kenne.

Das aber vielleicht meins gewesen wäre, wenn ich zu der Zeit dort gewesen wäre.“ Die gängige Erzählung über das Westberlin der Achtzigerjahre, findet sie, sei ja eine von Subkultur, Punk, Drogenexzessen. „Das ist jedoch nicht das Berlin, was ich kenne. Das gilt auch heute noch. Die Tristesse, die in Schleefs Text steckt, gibt es heute immer noch – vielleicht nicht für die Touristen, aber für die, die hier leben.“

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer donnerstags in der Printausgabe der taz

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