Krachts „Imperium“ im Thalia-Theater: Splitternackt im Sand

Diese lächerlichen Aussteiger: Regisseur Jan Bosse hat am Hamburger Thalia Christian Krachts Roman „Imperium“ inszeniert. Ein sehr deutscher Stoff.

Kokosnüsse spielen eine nicht unwichtige Rolle in „Imperium“. Bild: dpa

Am Ende ist das Paradies im Müll versunken. Die feine Sandinsel in der Mitte der Bühne des Thalia-Theaters hat sich vermischt mit dem riesigen Haufen Plastikmüll. Dazwischen finden sich auch noch ein paar bleiche Gebeine. Denn die Herrschaft des August Engelhardt auf Kabakon ist nicht nur friedlich verlaufen.

Eine bizarre Kolonie hat der Aussteiger aus dem Kaiserreich errichtet. Auf seiner Insel, die heute zu Papua-Neuguinea gehört, ernährt sich Engelhardt über Jahrzehnte nur von Kokosnüssen. Mit Prospekten in der weit entfernten Heimat lockt er andere Pilger und Zivilisationsmüde in seinen Sonnenorden. Und die kommen tatsächlich, wie zum Beispiel der zwielichtige Friese Auecken. In buntem Hawaii-Hemd entsteigt der Neuankömmling einem Müllhaufen, der zu diesem Zeitpunkt noch säuberlich neben der Insel angehäuft ist.

Gutes führt der Botschafter aus der Heimat nicht im Schilde. Als Auecken den Native-Einwohner Makeli vergewaltigen will, ermordet Engelhardt ihn kurzerhand. Auf der Bühne zerschlägt er an Stelle seines Kopfes eine Kokosnuss, bis rotes Blut statt weißer Milch den Inselsand durchtränkt. Blut, das zunehmend auch Engelhardts Beine hinunterrinnt, denn der Aussteiger hat sich mit Lepra infiziert. Als Medizin bleibt ihm, wen wundert’s, nur die Kokosnuss.

Was wie das Figurenarsenal eines versponnenen Autoren klingt, ist keine Fiktion. Die Geschichte des August Engelhardt, die Christian Kracht als Vorlage für seinen Roman „Imperium“ genommen hat, ist weitgehend historisch verbürgt. Dabei ist die faszinierendste Figur, die Kracht geschaffen hat, der Erzähler selber, der aus einer allwissenden Perspektive das Schicksal Engelhardts beschreibt.

Raffinierte Erzählfigur

Vor allem zu Beginn des Romans klingt dessen Sprache so feierlich wie die Abenteuerromane des frühen 20. Jahrhunderts, als hätte man das Buch irgendwo auf dem verstaubten Dachboden des Großvaters gefunden. Doch dieser Erzähler beweist immer wieder, dass er eben nicht ein Geschöpf der Kaiserzeit ist. Etwa, wenn er den jungen Engelhardt mit dem zu dieser Zeit ebenfalls noch jungen Hitler vergleicht, jenem anderen „deutschen Vegetarier“ und verhinderten Künstler. Und wer den Erzähler nicht vorschnell gleichsetzt mit Christian Kracht, der erfährt in „Imperium“ auch einen gruseligen Ritt durch die deutsche Geistesgeschichte, in der der Erzähler immer wieder Haltungen der Zeit ironisierend annimmt und sie dann wieder verwirft.

So komplex ist diese im Roman nicht sichtbare Gestalt, dass Regisseur Jan Bosse gut daran getan hat, sie gleich fünffach auf die Bühne zu bringen. Auf dem Sandhaufen hocken vier Männer und eine Frau, die in ihren pastellfarbenen Hemden und weißen Hosen zu Beginn aussehen, als seien sie dem Getto der reichen Erben in Hamburg-Pöseldorf entsprungen. Wohlhabend ist auch Engelhardt, dessen Geschichte die fünf Schauspieler mit beständig wechselnden Haltungen erzählen. Und spielen. Bald schon wälzt sich einer von ihnen splitternackt im Sand, während ein anderer in einer bizarren Badehose den Strand bevölkert.

Kühl kalkulierte Bilder

Leider gibt Bosse dem Witz des Textes zu viel Raum. Etwa wenn eine riesige Kokosnuss von oben herabgelassen wird und die Jünger des Sonnenordens sich vor ihr in den Sand werfen, um die angeblich vollkommenste aller Früchte anzubeten.

Der Regisseur bebildert einfallsreich die Vorlage, aber er durchdringt sie nicht. Er entfacht in kühl-kalkulierten Bildern den Wahnsinn auf Kabakon, aber er verwandelt ihn nicht in eine Emotion, die vom Bühnengeschehen in den Zuschauerraum übergreifen könnte.

Denn dieser August Engelhardt, der hier der Lächerlichkeit preisgegeben wird, ist mit seinem fanatischen Vegetarismus eine Figur, die auch der heutigen Zeit entsprungen sein könnte. Verwandte seiner Sehnsucht, sich selbst in einer alternativen Lebensform zu finden, seiner militanten Schriften zum veganen Leben und seines Narzissmus muss man heute in alternativen Szenevierteln nicht lange suchen. Wohlhabende Zöglinge, die sich in hanebüchene Ideologien verirren – es gibt viele Engelhardts in unserer Gegenwart.

Im Thalia-Theater wird so leider zur Lachnummer, was auch als Kontinuität einer sehr deutschen Befindlichkeit funktionieren würde. Denn „Imperium“ ist nichts anderes als ein weiteres Kapitel von Krachts langjähriger Obduktion der deutschen Seele. Auf der Bühne des Thalia-Theaters dagegen gerät die Geschichte zu einem gut erzählten Witz, der nach dem letzten Applaus schnell vergessen ist.

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