Kredite für die Ukraine: Der Preis der Krise

Der Internationale Währungsfonds hat der ukrainischen Übergangsregierung Milliardenkredite zugesagt. Die erhöht dafür die Gaspreise für die Bevölkerung.

Für sie wird die Krise teuer: Ukrainer bei der Versammlung zum 1. Mai in Slawjansk. Bild: ap

KIEW/SLAWJANSK/MOSKAU dpa/rtr | Mit einer Volksabstimmung über die Einheit der Ukraine will die prowestliche Regierung in Kiew die Lage in dem krisengeschüttelten Land beruhigen. Zugleich räumt die ukrainische Führung ein, die Kontrolle über Teile des russisch geprägten Ostens verloren zu haben.

Moskautreue Milizen brachten weitere Verwaltungsgebäude in ihre Hand (s. Kasten). Zugleich dämpften die Separatisten Hoffnungen auf eine unmittelbar bevorstehende Freilassung der festgehaltenen westlichen Militärbeobachter, unter denen auch vier Deutsche sind. Der IWF springt der Ukraine mit Milliarden-Hilfen bei. Zugleich steigt der Gaspreis für die Bevölkerung.

Nach einem Medienbericht hatte die Ukraine zuletzt den russischen Militär-Attaché in Kiew wegen Spionageverdachts festgenommen und des Landes verwiesen. Der Diplomat sei zur unerwünschten Person erklärt worden und müsse ausreisen, berichtete die Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine unter Berufung auf das Außenministerium am Donnerstag. Der Militär-Attaché der russischen Botschaft sei am Mittwoch bei „geheimdienstlichen Aktivitäten“ festgenommen worden, die nicht mit seinem Diplomatenstatus vereinbar seien. Das Ministerium war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Währenddessen haben laut Interfax prorussische Aktivisten in der Ostukraine nach eigenen Angaben zwei gefangene Mitglieder des Geheimdiensts SBU gegen eigene Anhänger ausgetauscht. Die Verhandlungen mit der Regierung seien erfolgreich gewesen, sagte ein Sprecher der Separatisten in der Stadt Slawjansk. Dort werden seit fast einer Woche auch sieben Mitglieder einer OSZE-Beobachtermission festgehalten, darunter vier Deutsche. Es sei vereinbart worden, dass die nun freigelassenen Geheimdienstler nicht mehr an Militäraktionen im Südosten der Ukraine teilnehmen dürfen, sagte der Separatistensprecher.

Im Osten der Ukraine sind mittlerweile mindestens 14 Städte unter der Kontrolle prorussischer Milizen. Die Aktivisten halten dort Polizeiwachen und Verwaltungsgebäude besetzt. Ein Überblick:

Slawjansk:

Die Industriestadt (120.000 Einwohner) in der Region Donezk wird seit mehr als zwei Wochen vollständig von prorussischen Milizen kontrolliert. Bewaffnete halten unter anderem das Rathaus und das Gebäude des Geheimdiensts SBU besetzt. Seit dem 25. April werden dort auch mehrere Militärbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa festgehalten, unter ihnen auch vier Deutsche. Die ukrainische Armee riegelte die Zugänge nach Slawjansk ab.

Donezk:

Die Hauptstadt der gleichnamigen Region (eine Million Einwohner) ist zugleich die Hauptstadt der von den Aktivisten ausgerufenen „Republik Donezk“. Das Gebäude der Regionalverwaltung wurde am 6. April besetzt, das Rathaus zehn Tage später.

Lugansk:

Die Hauptstadt der Region Lugansk (465.000 Einwohner) wird von den Milizen auch als Hauptstadt der „Republik Lugansk“ bezeichnet. Die Geheimdienstzentrale ist seit dem 6. April besetzt, am 29. April stürmten prorussische Demonstranten zudem das Gebäude der Regionalverwaltung.

Kramatorsk:

In der Nachbarstadt von Slawjansk (160.000 Einwohner) wurde am 12. April erstmals das Rathaus besetzt. Auch ein Gebäude des Geheimdiensts ist in der Gewalt von Milizen. Ein Militärstützpunkt in der Nähe ist jedoch weiterhin unter Kontrolle ukrainischer Soldaten.

Besetzte Gebäude in weiteren Städten:

Gorliwka (260.000 Einwohner): Polizeistation seit dem 14. April, Rathaus und weitere Polizeistation seit dem 30. April

Makijiwka (360.000 Einwohner): Rathaus seit dem 13. April

Artemiwsk (78.000 Einwohner): Rathaus seit dem 12. April

Jenakijewe (85.000 Einwohner): Polizeistation und Staatsanwaltschaft seit dem 13. April

Charzysk (60.000 Einwohner): Rathaus seit dem 14. April

Schdaniwka (14.000 Einwohner): Rathaus seit dem 14. April

Kirowsk (28.000 Einwohner): Rathaus seit dem 14. April

Tores (80.000 Einwohner): Rathaus seit dem 15. April

Kostjantyniwka (80.000 Einwohner): Rathaus seit dem 28. April

Perwomajsk (40.000 Einwohner): Rathaus seit dem 29. April (dpa)

Russland hatte der Regierung in Kiew zuvor Verhandlungen mit den Separatisten unter Aufsicht der OSZE vorgeschlagen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte am Donnerstag dem Sender Rossija-24 TV am Rande eines Besuchs in Peru, er denke, dass ein solcher Dialog unter Mitarbeit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) arrangiert werden könne.

Im Osten der Ukraine halten prorussische Separatisten seit Wochen Regierungs- und Polizeigebäude besetzt. Die Führung in Kiew versetzte die Armee in „volle Kampfbereitschaft“.

IWF zahlt Ukraine 17 Milliarden Dollar

Unterdessen hat der Internationale Währungsfonds (IWF) der ukrainischen Übergangsregierung Kredite im Umfang von 17 Milliarden Dollar zugesagt. Das Geld soll der Ukraine über einen Zeitraum von zwei Jahren bereitgestellt werden. Eine erste Tranche von 3,2 Milliarden Dollar soll umgehend ausgezahlt werden. IWF-Chefin Christine Lagarde sprach von einer „entscheidenden Maßnahme“. Es sei dringend nötig gewesen, zu handeln. Die Lage für die Ukraine sei aber weiterhin bedrohlich, sagte Lagarde mit Blick auf die Unruhen im Osten des Landes.

Die politisch und wirtschaftlich schwer angeschlagene Ukraine ist nach Angaben der im Februar an die Macht gelangten Übergangsregierung vom Bankrott bedroht. Der IWF knüpft seine Unterstützung an strenge Sparauflagen und wirtschaftliche Reformen. Ende März hatte Regierungschef Arseni Jazenjuk bereits ein Reformpaket durch das Parlament gebracht, das unter anderem den Abbau von rund 24.000 Stellen in der Verwaltung sowie Steuererhöhungen für Reiche und einen Wegfall von Subventionen vorsieht.

Übergangspräsident Oleksander Turtschinow räumte ein, die Sicherheitskräfte seien „hilflos“" gegenüber den prorussischen Milizen. Er warnte zudem vor einer möglichen Invasion der an der Grenze zusammengezogenen russischen Truppen.

Das russische Außenministerium kritisierte die „kriegerische Rhetorik“ aus Kiew. Gewalt müsse vermieden und statt dessen ein Dialog „zur nationalen Versöhnung des Landes“ eingeleitet werden, hieß es. Außenminister Sergej Lawrow hatte am Mittwoch während seiner Lateinamerikareise auch die Freilassung der von prorussischen Milizen festgehaltenen Militärbeobachter der OSZE verlangt. Die russische Regierung habe aber keinen direkten Einfluss auf die bewaffneten Kämpfer in der Ostukraine, beteuerte der russische Chefdiplomat.

Milizenführer Wjatscheslaw Ponomarjow hatte zuvor erklärt, die Beobachter würden „bei erster Gelegenheit“ freigelassen. Die Gespräche verzögerten sich aber „aus technischen Gründen“. Details nannte Ponomarjow nicht. Die Milizen halten seit Freitag sieben OSZE-Militärbeobachter fest, unter ihnen drei Bundeswehrsoldaten und ein Dolmetscher aus Deutschland.

Teuer für ukrainische Privathaushalte

Auf Druck der internationalen Kreditgeber hat die nahezu bankrotte Ukraine außerdem die Gaspreise drastisch erhöht. Privathaushalte müssen seit Donnerstag 40 Prozent mehr bezahlen. Zum 1. Mai 2016 und zum 1. Mai 2017 sind Aufschläge von jeweils 20 Prozent geplant. Damit kommt die prowestliche Regierung in Kiew auch einer Forderung des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach. Das Gremium hatte der Ex-Sowjetrepublik am Vorabend einen überlebensnotwendigen Kredit in Höhe von 17 Milliarden US-Dollar (12,3 Milliarden Euro) gewährt.

Die Ukraine hofft, schon bis zum 8. Mai eine erste Tranche über drei Milliarden Dollar zu erhalten. Das Land muss allein beim Nachbarn Russland Schulden von mehr als drei Milliarden Dollar für Gaslieferungen begleichen.

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