Krieg im Kongo: Gejagt, aber nicht gebrochen

Niemand im Kongo will die FDLR mehr bei sich dulden – sogar die Militärführung ist auf der Flucht. Aber die Kämpfer halten an ihrem Ziel fest: den Krieg nach Ruanda tragen.

FDLR-Informationsminister Laforge Fils Bazaye hat die taz nach Kalembe zum Interview geladen. Bild: Marc Hofer

KALEMBE taz | Dichter Nebel hängt zwischen den Hügeln, Tau glitzert im Morgenlicht auf den Palmblättern. Aus der Kirche hallt der Gesang der Nonnen. So früh am Morgen wirkt die Kleinstadt Mweso, hoch oben in den Bergen von Masisi im Ostkongo, fast friedlich. Nur die abertausenden Flüchtlingszelte, die sich an den Hügel klammern, zeugen davon, dass jenseits von Mweso der Schrecken regiert.

Auf dem gegenüberliegenden Hügel kriechen Soldaten aus ihren Biwaks. Das Militärcamp in Mweso ist die letzte Bastion der kongolesischen Armee. Nur wenige Kilometer gen Norden beginnt das Territorium der ruandischen Hutu-Rebellen der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). „Ihr könnt jetzt kommen, unsere Soldaten wissen Bescheid“, gibt FDLR-Informationsminister Laforge Fils Bazaye telefonisch durch. Er hat die taz zum Interview geladen.

Die FDLR gilt als eine der brutalsten Rebellengruppen im Ostkongo. Seit über 16 Jahren terrorisieren ihre Kämpfer die Bevölkerung, plündern, vergewaltigen, massakrieren. Doch jetzt befinde sich die FDLR in einem „schrecklichen“ Zustand, sagt Laforge. Das will er der Welt mitteilen. „Wir sind auf der Flucht“, sagte er mehrfach zuvor am Telefon.

In Schrittgeschwindigkeit holpert der Geländewagen über die zerfurchte Piste. Rund zehn Kilometer nördlich schmiegt sich an einen Hügel das Dorf Kalembe. Hier wartet die FDLR.

Patronenhülsen im Sand

Unterhalb der Lehmhütten rauscht der Mweso-Fluss. Entlang des Ufers reihen sich unzählige provisorische Behausungen aus Bambusstengeln und Bananenblättern. Bis vor rund zwei Monaten hausten hier tausende Flüchtlinge. Dann zogen sich die Regierungstruppen nach Mweso zurück, die FDLR rückte nach Kalembe vor. Jetzt wirken Flüchtlingslager und Dorf wie ausgestorben. Zahlreiche leere Patronenhülsen liegen auf dem Sandboden – Beweise der jüngsten vergeblichen Armeeoffensive.

Auf einer Anhöhe in der Dorfmitte stehen hinter meterhohen Sandsäcken einige Zelte schräg im Wind. Die UN-Blauhelme haben hier eine kleine Basis. „Wir beobachten nur“, gesteht die südafrikanische Kommandantin und zeigt auf die umliegenden Hügel, auf denen die FDLR ihre Militärlager eingerichtet hat: „Sie umzingeln uns.“ Ein FDLR-Kommandeur habe gedroht, die Bevölkerung anzugreifen, falls die UN-Blauhelme aktiv würden.

Schon an der Eingangspforte des UN-Lagers steht ein FDLR-Kämpfer in Gummistiefeln. Er überreicht einen Zettel: „Herzlich willkommen“, steht darauf in sauberer Handschrift. Der Gesandte soll den Weg ins Hauptquartier weisen. Das liegt im Gemeindezentrum am Fluss.

FDLR-Informationsminister Laforge sitzt mit drei Kommandeuren in einem kahlen Raum und trinkt Bier aus großen Flaschen. Hinter ihm hängt ein vergilbtes Jesus-Poster. Rund um das Holzgebäude stehen Kämpfer mit Kalaschnikow. Der große Mann trägt keine Uniform, denn er gehört zum politischen Flügel der FDLR. Sein zerknittertes rosa Hemd steckt in einfachen schwarzen Anzughosen. Seine Lederschuhe sind glänzend poliert. Auf seiner Gürtelschnalle ist ein Revolver eingraviert.

Er zeltet derzeit rund drei Tage Fußmarsch von Kalembe entfernt gen Nordwesten, erzählt er, im Dorf Maniema. Dorthin hätten die Kommandeure ihre Frauen und Kinder in Sicherheit gebracht, insgesamt mehrere tausend Menschen. „Unsere Lage ist katastrophal“, klagt er. Die lokale Miliz Raia Mutomboki, die ursprünglich in Süd-Kivu entstand und jetzt an immer mehr Orten auftaucht, habe „in den vergangenen Monaten bis zu 1.000 unserer Angehörigen ermordet“.

Andere lokale Milizen haben in den FDLR-Hauptquartieren im Distrikt Walikale mehrfach hohe FDLR-Kommandeure umgebracht. Hinter diesen Attacken vermutet Laforge die ruandische Regierung. Dies hat die FDLR-Führung dazu bewogen, ihre Hauptquartiere zu verlassen, um sich selbst und ihre Angehörigen in Sicherheit zu bringen. „Wir flüchten permanent in verschiedene Richtungen, und immer wieder sind uns die Milizen auf den Fersen“, sagt er.

Wenn man FDLR-Sprecher Laforge so zuhört, könnte man fast meinen, die FDLR wird nun selbst zum Opfer – Opfer von verärgerten Kongolesen. Bis 2009 beherrschte die ruandische Hutu-Miliz im Ostkongo ein Territorium, das weitaus größer war als ihr Heimatland Ruanda. Bis 2009 galt die FDLR mit damals noch geschätzt 6.000 Kämpfern als die stärkste und brutalste Rebellengruppe der Region. Dann starteten Kongos und Ruandas Armeen gemeinsame Militäroperationen gegen die FDLR. In kurzer Zeit büßte die FDLR ihre strategischen Stellungen entlang der Hauptverkehrswege ein, tausende müde Krieger desertierten und kehrten in ihre Heimat zurück. Seit der Verhaftung ihres Präsidenten Ignace Murwanashyaka 2009 nimmt Kampfmoral und Truppenstärke der FDLR stetig ab, sagen Deserteure.

Bier und Zitronenlimonade

Sprecher Laforge bestreitet dies. Er lässt zwischen Bier und Zitronenlimonade keine Gelegenheit aus, die FDLR nach wie vor als gewaltige Kraft darzustellen. Als er auf Deutschland zu sprechen kommt, schmunzelt er: „Die Verhaftung sollte uns zum Aufgeben zwingen, doch unser Kampf geht weiter“, sagt er: „Unser Präsident ist unschuldig, und wir vertrauen auf die unabhängige deutsche Justiz, dies zu beweisen, damit er wieder frei kommt.“ Er beschwert sich, wie lange das Verfahren dauert: „Ist das überhaupt legal bei euch in Deutschland, jemanden so lange in Untersuchungshaft zu lassen?“

Dennoch: Von 20.000 FDLR-Kämpfern vor zehn Jahren sind schätzungsweise noch 2.000 übrig. Viele sind alt, haben HIV oder sind Invaliden. Allein in diesem Jahr bis Ende Juli repatriierte das UN-Demobilisierungsprogramm 774 FDLR-Kämpfer nach Ruanda, dazu 150 bis 200 Frauen und Kinder. Die UN-Blauhelme in Kalembe berichten, dass auch hier regelmäßig FDLR-Krieger auftauchen und sich ergeben wollen. Doch nach Drohungen der FDLR-Kommandeure, man werde die Bevölkerung angreifen, wenn die UN den Deserteuren zur Flucht verhelfe, müssen die Blauhelme die Kämpfer wieder wegschicken.

In Süd-Kivu ist die Truppenstärke der einst vier FDLR-Bataillone so geschrumpft, dass die Einheiten zusammengelegt werden mussten. Auch in Nord-Kivu, wo sich das FDLR-Oberkommando aufhält, wurden die einst vier Bataillone zu zwei Sektoren zusammengefasst. Aber nun zeigt sich ein auch von anderen Milizen im Kongo bekanntes Phänomen: Je geringer die Kontrolle über die Bevölkerung, desto brutalere Mittel wendet man an, um zu überleben. Fast täglich werden Erschießungen und Geiselnahmen gemeldet.

Aber das einstige FDLR-Dschungelreich ist auf einen Flickenteppich geschrumpft. Selbst FDLR-Militärchef Sylvestre Mudacumura ist jetzt auf der Flucht. Der 58-jährige diabetische Alkoholiker marschiert seit mehreren Wochen durch den Dschungel, in der Nachhut seine Reservetruppen. Er gilt als alt und schwächlich – und nur noch sehr langsam auf den Beinen.

General Mudacumura war bis zu Beginn dieses Jahres der unumstrittene Militärführer der FDLR. Der alte Haudegen diente 1994 in der ruandischen Präsidentengarde, die für den Völkermord an bis zu 800.000 Tutsi mitverantwortlich gemacht wird. Nach der Flucht in den Kongo gehörte er zu den Gründern der FDLR-Vorgängerorganisation ALIR (Ruandische Befreiungsarmee). 2003 machte FDLR-Präsident Murwanashyaka ihn zum Militärchef. Danach kommunizierte Mudacumura regelmäßig per Satellitentelefon und E-Mail direkt mit Murwanashyaka in Mannheim.

Im Juli hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen Mudacumura ausgestellt. Anders als die Anklage gegen FDLR-Präsident Murwanashyaka in Stuttgart geht die Anklage in Den Haag davon aus, dass sich die Attacken der FDLR nicht in erster Linie gegen die Bevölkerung richteten, sondern Zivilisten als Kollateralschaden umkamen, im Rahmen der Militäroperationen gegen Kongos Armee.

Haftbefehl im Internet

Dass Mudacumura jemals in Den Haag verurteilt wird, bezweifeln die meisten hochrangigen Kommandeure, die Mudacumuras Hauptquartier in der jüngsten Zeit verließen und nach Ruanda zurückkehrten. Mudacumura habe den Haftbefehl im Internet gelesen, sagen sie, und bereits den Befehl an seine Leibwächter gegeben, ihn zu töten, bevor er jemals geschnappt wird.

Auch Ruandas Militärgeheimdienst hat mittlerweile alle Hoffnung aufgegeben, dass sich die noch verbliebenen hochrangigen FDLR-Kommandeure freiwillig ergeben. Bis Ende 2011 führte Ruanda mehrfach direkte Verhandlungen mit Offizieren im Oberkommando der Miliz per Telefon. So handelte der Vizechef der FDLR-Militärpolizei Jean de Dieu Nzabamwita, alias Romel, aus, dass er nach seiner Desertion das ruandische Kontingent bei der UN-Blauhelmtruppe im sudanesischen Darfur anführt.

Doch die Zeit der Verhandlungen scheint vorbei. Seit Beginn dieses Jahres schickt Ruandas Militärgeheimdienst Killertrupps in den Dschungel, um die noch verbleibenden FDLR-Kommandeure gezielt auszuschalten – vor allem diejenigen, die mutmaßlich am Völkermord 1994 teilgenommen haben. Dutzende hochrangige Kommandeure sind seit Beginn des Jahres getötet worden. Die Tötungskommandos seien „gemischte“ Truppen, berichtet ein ehemaliger FDLR-Kommandeur, der jetzt in Ruandas Militärgeheimdienst dient: Rund die Hälfte bestehe aus demobilisierten FDLR-Kämpfern, die die Hauptquartiere ihrer ehemaligen Miliz in Kongos Dschungel wie ihre Westentasche kennen. Nur sie verfügen über das Wissen, bis zu den Zielpersonen vorzudringen. Auch für Mudacumura sei jetzt sei eine solche Mission unterwegs.

Neuer Krieg als Atempause

Die FDLR steckt also in der Klemme. Die neue Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23. März), die von aus Kongos Armee desertierten Tutsi-Offizieren geführt wird und die Regierung in Bedrängnis gebracht hat, könnte aber eine Gelegenheit für die Hutu-Kämpfer sein, sich zu reorganisieren.

Die M23 streut bereits Gerüchte, FDLR-Einheiten hätten gemeinsam mit Kongos Armee gekämpft. Auch eine mögliche Infiltration Ruandas durch FDLR-Spezialeinheiten fürchten M23 und Ruandas Geheimdienstler.

Fakt ist, dass Kongos Regierungstruppen und FDLR sich nicht mehr gegenseitig bekämpfen, dort wo sich ihre Truppen in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander befinden. Ein kongolesischer Militärgeheimdienstler bestätigt dies. Doch würde er derzeit noch nicht von einer „Allianz“ sprechen. „Wir haben einfach keine Kapazitäten, die M23 und die FDLR gleichzeitig zu bekämpfen“, sagt er. Die neue Kollaboration mit der FDLR sei ein Zweckbündnis: „Wir sind immer noch Feinde. Aber wir müssen zusammenarbeiten, um nicht in einen Zweifrontenkrieg zu geraten.“

Die letzten Bierflaschen sind leer. Laforge schlägt einen Spaziergang durch Kalembe vor. Begleitet von seinen Leibwächtern stapft er mit seinen polierten Lederschuhen durch die Pfützen. Er sinniert über ein mögliches Ende des bewaffneten Kampfs und eine Rückkehr in die Heimat: „Das wäre machbar, wenn sich die Diktatur in Ruanda politisch öffnet, freie Wahlen, Demokratie und eine politische Opposition zulassen würde“, sagt er. Und wenn nicht? „Dann müssen wir Kigali eben militärisch erobern.“

Zum Abschied winken die Kommandeure und salutieren: „Richten Sie Ignace im Gericht unsere Grüße aus! Wir sind ihm nach wie vor treu ergeben.“

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