Krieg im Osten der Ukraine: Im Donbass nichts Neues

Die Regierung in Kiew und Vertreter der Separatisten wollen sich auf die sogenannte Steinmeier-Formel geeinigt haben. Viel bringt das nicht.

Menschen mit Plakaten auf dem Kiewer Maidan

Protest gegen eine Annäherung an die prorussischen Separatisten in Kiewer Maidan am Sonntag Foto: AP

Gut eine Woche ist es her, dass die ukrainische Regierung und Vertreter der Separatisten in der Ostukraine bekannt gaben, sich auf die sogenannte Steinmeier-Formel geeinigt zu haben. Sie besagt, dass in den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten Wahlen nach ukrainischem Recht durchgeführt werden. Bescheinigt die OSZE den korrekten Ablauf, trete automatisch ein Autonomiestatus für die Gebiete in Kraft.

In Deutschland wurde die Einigung als Schritt auf dem Weg zu einer Friedensvereinbarung für die umkämpfte Region gedeutet. Die Vereinbarung soll den Weg frei machen für ein Gipfeltreffen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski mit Kremlherrscher Wladimir Putin. Das lange ruhende sogenannte Normandie-Format unter Beteiligung Deutschlands und Frankreichs soll wiederbelebt werden – vielleicht schon bald.

Unterdessen herrscht in Kiew vor allem Verunsicherung darüber, was die Formel genau bedeutet. Proteste dagegen nehmen zu. Am Sonntag versammelten sich schon 10.000 Demonstranten auf dem Maidan, um gegen das zu protestieren, was sie als Kapitulation vor Russland auf­fassen. Die Opposition um Expräsident Petro Poroschenko ist natürlich mittendrin. Der im Frühjahr gewählte Präsident Wolodymyr Selenski bemüht sich die Wogen zu glätten: Es werde „keine Wahlen in Anwesenheit russischer Gewehrläufe“ geben. Er werde keine „roten Linien“ überschreiten, er sagte aber nicht, was das bedeuten soll. Aus seiner Sicht muss die Ukraine die Kontrolle über die Grenze zu Russland übernehmen, bevor gewählt wird.

Für Optimismus zu früh

Doch für Optimismus ist es wohl leider zu früh. Denn wenn man es genau betrachtet, wurde sich nicht wirklich auf etwas Neues geeinigt. Bereits im Protokoll der ersten Minsker Friedensverhandlungen von September 2014 unter Beteiligung Deutschland, Frankreichs und Russlands sind die Schritte vorgesehen: Waffenstillstand, Truppenrückzug, Wahlen, Autonomie innerhalb der Ukraine. Das ist also fünf Jahre her. Doch umgesetzt wurde kaum etwas davon.

Die Minsker Vereinbarungen waren schon damals ein Papiertiger. Die Ukraine hat sie nur im Angesicht einer drohenden militärischen Niederlage und einer möglichen, groß angelegten Invasion durch die russische Armee unterschrieben. Und auch die Separatisten hatten wenig Anreiz, sie umzusetzen. Warum sollten sie auch Wahlen zulassen, die sie möglicherweise verlieren?

Daran hat sich wenig geändert, außer dass die Ukraine nach fünf Jahren kriegsmüde ist. Selenski setzt mit den Verhandlungen sein Wahlversprechen um: Er hatte angekündigt, den Krieg zu beenden, wie, hat er nicht gesagt. Von freien, fairen Wahlen im Donbas haben weder die Separatistenfürsten vor Ort etwas noch der Zar in Moskau. Was man dort unter Wahlen versteht, konnte man jüngst beobachten: Wer nicht auf Linie ist, darf nicht antreten. Wer protestiert, kommt in den Knast. Der Kreml könnte durch Wahlen seinen Einfluss verlieren, seine Statthalter in Donezk und Luhansk ihre Pfründen.

Und Kiew? Solange in Donezk und Luhansk schwer bewaffnete Milizen das Sagen haben, wären Wahlen dort eine Farce. Welcher proukrainische Politiker sollte dort antreten? Wie sollten ukrainische Journalisten von den Wahlen berichten? Wenn Kritik an den Separatisten oder Russland bedeuten kann, dass sie anschließend in einem Kellerverlies landen, müssten sie schon lebensmüde sein. Und dann gibt es noch 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge in der Ukraine, die meisten aus dem Donbass. Sie sollten auch darüber abstimmen können, wie es dort weitergeht. Wie das gehen soll, ist unklar. Scheinwahlen, die nur die Separatisten­regime legitimieren, würden der Ukraine einen Teil ihrer Souveränität nehmen.

Russland ist Konfliktpartei

Der grundlegende Fehler in der Vereinbarung liegt schon darin, mit wem sie getroffen wurde. Denn eigentlich ist Russland weder Vermittler noch Garantiemacht, sondern eine Konfliktpartei. Von Anfang an waren es russische Militärs, die im Donbass die Fäden in der Hand hatten. Die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk werden aus Moskau finanziert und mit Waffen ausgerüstet. Russland schickt seine Soldaten als „Urlauber“ in den Donbass und – wenn es militärisch opportun ist – auch ganze Einheiten. Ohne Russland gibt es keinen Krieg im Donbass, ohne Russland gibt es aber auch keine Lösung.

Für den Kreml ist zentral, dass der Konflikt dazu beiträgt, die Entwicklung der Ukraine zu einer Demokratie nach westlichem Vorbild mit wachsendem Lebensstandard zu bremsen. Eine prosperierende, demokratische Ukraine ist eine Bedrohung für das autokratische System in Russland.

Sanktionen aufrechterhalten

Erst wenn der Kreml diese Interessen verliert, wird es Frieden im Donbass geben. Europa könnte dazu beitragen, indem es die Kremlnomenklatur dort trifft, wo es ihr am meisten wehtut: beim Geld. Dazu gehört der Stopp für die ohnehin umweltpolitisch sinnlose Ostseepipeline Nord Stream 2. An den Sanktionen muss festgehalten werden. Sie haben dem Kreml 2014 gezeigt, dass seine Aggression kostspielig sein kann. Das bedeutet nicht, dass man mit Russland nicht mehr reden soll, im Gegenteil. Der Punkt ist nur: Worüber? Europa hat die Wahl, mit wem es Geschäfte macht. Europa ist vom russischen Gas weniger abhängig als Russland vom europäischen Geld. Auch die Förderung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft in der Ukraine muss fortgesetzt werden.

Aber auch die politische Klasse in der Ukraine müsste sich bewegen. Sie hat viel Zeit vertrödelt: Trotz einiger Erfolge bei der Transparenz öffentlicher Aufträge oder der Vermögensverhältnisse von Amtsträgern steckt der Kampf gegen die Korruption fest. Statt die Wirtschaft zu öffnen und das Freihandelsabkommen mit der EU besser zu nutzen, befinden sich wichtige Wirtschaftszweige weiter in der Hand von Oligarchen. Auch der neue Präsident hat dazu bisher kaum Konkretes zu bieten.

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Jahrgang 1978, ist Autor und CvD der taz und berichtet seit 2011 für mehrere Tageszeitungen über Berlin, Brandenburg und Osteuropa.

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