Krieg in Libyen: Vormarsch der Rebellen gestoppt

Einnahme von Gaddafis Geburtsstadt Sirte vorerst gescheitert - trotz massiver Luftunterstützung der Rebellen durch die Kriegskoalition. Die US-Regierung verteidigt Militärintervention.

Aufständische am Sonntag beim Gebet vor der zurückeroberten Stadt Adschdabija. Bild: reuters

BENGASI/BRÜSSEL afp/dpa/rtr/taz | Der von Luftangriffen der Militärallianz unterstützte Vormarsch der libyschen Rebellen ist am Montag vor der Heimatstadt von Muammar el Gaddafi, Sirte, gestoppt worden. Bin Dschawad, 140 Kilometer östlich von Sirte, war von den Konfliktparteien umkämpft, während Sirte weiter von Gaddafi-Einheiten kontrolliert wurde, wie AFP-Reporter berichteten.

Die Aufständischen hatten am Sonntag die Ölstadt Ras Lanuf und später Bin Dschawad eingenommen. "Vor Sirte scheint der Angriff erst mal ins Stocken geraten zu sein", berichtet taz-Reporter Marc Thörner, auf Rebellenseite im Kriegsgebiet unterwegs. Am Sonntagabend hielt er sich in der Frontstadt Ben Jawad auf. "Am Ortseingang wurde plötzlich geschossen, wir mussten in Deckung gehen, Milizionäre Gaddafis hatten sich noch in der Stadt versteckt", meldet er.

Die Erfolge der Rebellenoffensive seien dennoch offensichtlich: "Ganze Busladungen von gefangenen schwarzafrikanischen Gaddafi-Soldaten wurden weggekarrt. Es sieht jetzt so aus, als ob Gaddafi seine schweren Waffen kaum noch einsetzen kann. Wir fuhren an Dutzenden zerstörter Panzer und Raketenwerfer vorbei."

Sirte wurde am frühen Montagmorgen von einer Serie starker Explosionen erschüttert. Wie ein AFP-Journalist berichtete, überflogen Flugzeuge die Stadt, was auf Luftangriffe des westlichen Militärbündnisses schließen ließ. Bereits am Sonntag war das zwischen der Hauptstadt Tripolis und der Rebellenhochburg Bengasi gelegene Sirte Ziel von Luftangriffen der Militärallianz gewesen. In deren Schutz rückten die Aufständischen vom Osten aus weiter in Richtung Westen auf die von Gaddafi-treuen Einheiten kontrollierten Städte Sirte und Tripolis vor. Das libysche Staatsfernsehen hatte zuvor berichtet, Sirte und Tripolis seien aus der Luft bombardiert worden.

Laut der amtlichen libyschen Nachrichtenagentur Jana bombardierte die internationale Koalition am Montag Wohnviertel der Stadt Sebha, 750 Kilometer südlich von Tripolis. Dabei habe es mehrere Opfer gegeben. In Sebha befinden sich zahlreiche Militäranlagen. Bewaffnete Stammesangehörige halten Gaddafi die Treue.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow kritisierte die Unterstützung der Rebellen durch die westliche Militärallianz als "Einmischung" in innere Angelegenheiten. Diese sei durch die UN-Resolution nicht gedeckt. Zuvor hatte ein ranghoher US-Beamter erklärt, die alliierten Truppen stimmten sich bei ihrem Militäreinsatz nicht mit den Aufständischen ab. Die Truppen, die Zivilisten bedrohten oder angriffen, seien genauso Ziel der NATO-Truppen wie zuvor der Truppen der internationalen Militärkoalition.

Nato übernimmt vollständiges Kommando über Militäreinsatz

Die NATO hat am Sonntag, rund eine Woche nach Beginn der alliierten Luftangriffe, das vollständige Kommando über den Militäreinsatz übernommen. "Die Nato-Verbündeten haben entschieden, die gesamte Militäroperation in Libyen im Rahmen der UN-Resolution zu übernehmen", sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Sonntag nach einem mehrstündigen Treffen der 28 Mitgliedsstaaten. Ziel sei es, Zivilisten zu schützen, die von den Streitkräften des libyschen Machthabers Muammar Gaddafi bedroht würden. Es werde bis zu 72 Stunden dauern, bis der Führungswechsel umgesetzt werden könne. Der Einsatz werde vom kanadischen General Charles Bouchard geleitet, teilte die Nato weiter mit.

Bisher war die Allianz nur für die Durchsetzung der Flugverbotszone verantwortlich. Jetzt hat sie auch die Führung über die Luftangriffe auf Gaddafi-Bodentruppen inne. Derzeit werden diese Einsätze noch von einer Koalition geflogen, die von den USA, Großbritannien und Frankreich angeführt wird.

Als erstes arabisches Land erkannte Katar den Nationalen Übergangsrat der Rebellen als einzigen legitimen Repräsentanten Libyens an. Dieser setzt sich aus 31 Vertretern der Opposition in den wichtigsten Städten des Landes zusammen und fungiert de facto als Regierung der Aufständischen. Nach Frankreich ist das Emirat das zweite Land, das den Nationalrat als rechtmäßigen Vertreter Libyens anerkennt. Katar beteiligt sich auch an der Durchsetzung der vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Flugverbotszone über Libyen.

Die Türkei erklärte sich bereit, zwischen den Aufständischen und Gaddafi zu vermitteln. Sollten beide Seiten dies wünschen, werde sein Land "die notwendigen Maßnahmen ergreifen", um die Vermittlerrolle zu übernehmen, sagte Regierungschef Recep Tayyip Erdogan der britischen Zeitung "The Guardian".

Auf einem internationalen Treffen in Brüssel sollen am Dienstag Möglichkeiten zur Beilegung des Konflikts erörtert werden. Ihre Teilnahme haben mehr als 35 Außenminister, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und der Kommissionspräsident der Afrikanischen Union, Jean Ping, zugesagt. Frankreich will, dass die "Libyen-Kontaktgruppe" die laufende Militäraktion "politisch" steuert.

USA verteidigt Luftangriffe auf Gaddafis Truppen

Unterdessen hat die US-Regierung die Militärintervention vehement verteidigt. Gemeinsam mit US-Außenministerin Hillary Clinton trat Verteidigungsminister Robert Gates am Sonntag in verschiedenen US-Talkshows auf, um den Einsatz vor der kriegsmüden US-Bevölkerung zu rechtfertigen, am Montagabend will US-Präsident Obama sich öffentlich äußern. Zwar sei der Einsatz nicht im zentralen nationalen Interesse der USA, dennoch seien die USA an einer Lösung des Konflikts interessiert, sagte Gates dem Sender ABC.

Gates begründete den Einsatz unter anderem damit, dass es eine Massenflucht von Flüchtlingen nach Tunesien und Ägypten hätte geben können, was beide Länder destabilisiert und die Entwicklungen nach den Revolutionen dort gefährdet hätte. Clinton erklärte, die Kritiker des Einsatzes müssten sich fragen, wie die Dinge jetzt lägen, wenn die USA nicht eingeschritten wären.

Die USA haben bislang die meisten Einsätze in Libyen geflogen. Nach Pentagon-Angaben wurden allein zwischen Samstagabend und Sonntagnachmittag von 167 Lufteinsätzen 97 von der US-Luftwaffe ausgeführt. Vor allem Washington hatte sich für eine schnelle Kommandoübernahme durch die NATO ausgesprochen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.