Krieg in der Ukraine: Fünf Tote bei Angriffen auf zivile Infrastruktur
Kurz vor dem Winter intensiviert Russland seine Angriffe auf die Energieversorgung der Ukraine. Auch mehrere Wohnhäuser werden getroffen.
Die russischen Truppen haben ihre Luftangriffe auf ukrainische Energieanlagen, darunter Wärme- und Wasserkraftwerke, Gasförderanlagen und Kohlebergwerke, in der vergangenen Woche deutlich verstärkt: Fünf Nächte hintereinander griff Russland Kyjiw mit Hunderten von Drohnen und ballistischen Raketen an. In den Nächten von Freitag auf Samstag sowie von Samstag auf Sonntag richteten die russischen Angriffe die größten Schäden an. Allein in Kyjiw starben fünf Menschen und etwa fünfzig wurden verletzt, darunter viele Kinder.
Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat Russland in der vergangenen Woche etwa 1.200 Kampfdrohnen, mehr als 1.360 gelenkte Fliegerbomben und über 50 Raketen verschiedener Typen gegen die Ukraine eingesetzt. Am häufigsten wurden Kyjiw, Tschernihiw, Charkiw, Saporischschja, Cherson und Städte in der Oblast Dnipropetrowsk angegriffen.
An den Orten der Angriffe sind Hunderte von Rettungskräften damit beschäftigt, die Folgen der Treffer in neun- und sechzehnstöckigen Gebäuden zu beseitigen und den Opfern zu helfen. In den benachbarten Bezirken werden nach wie vor Trümmer beseitigt.
Die Angriffe Russlands auf zivile Ziele sollen die Ukrainer vor dem Winter und vor dem Hintergrund der politischen Unsicherheit demoralisieren. „Das ist reiner Terror gegen die Zivilbevölkerung“, sagt Viktoria, deren Haus in Kyjiw nur wenige hundert Meter von der Einschlagstelle einer russisch-iranischen Schahed-Drohne entfernt liegt. Sie erzählt, dass sie wegen der Angriffe in der vergangenen Woche immer noch kein warmes Wasser in ihrem Haus hat.
Viktoria, Opfer der Angriffe in Kyjiw
In den meisten Regionen der Ukraine wird der Strom planmäßig für mehrere Stunden am Tag abgeschaltet, um Energie zu sparen. Aufgrund der anhaltenden Drohnenangriffe können die Notfallteams der Energieversorger in einigen Städten der Oblast Tschernihiw jedoch keine Reparaturarbeiten beginnen. Die lokale Bevölkerung ist daher seit mehreren Tagen ohne Strom- und Wasserversorgung.
Seit Beginn der Heizperiode greift Russland wieder verstärkt die Gasförderanlagen der Ukraine an. Das verschlechtert die Energiesituation des Landes erheblich, übt zusätzlichen Druck auf das Stromnetz aus und könnte die Ukraine letztendlich dazu zwingen, Gas aus Europa zu importieren, da sie selbst nicht mehr genug Gas fördern kann. Um die Gasimporte zu erhöhen, wird die Ukraine zusätzliche Mittel benötigen.
„Die Strategie der Russen für diesen Winter besteht darin, die Ukraine ohne Strom und Heizung zu lassen. Ich glaube, dass uns der schwerste Winter seit Beginn der groß angelegten Invasion bevorsteht“, sagt die Kyjiwerin Tetjana. „Aber wir sind stark, wir werden durchhalten. Die Russen irren sich, wenn sie glauben, dass sie auf diese Weise unseren Willen brechen oder uns zur Kapitulation zwingen können.“
Allerdings wird moralische Stärke allein nicht ausreichen, um die Energiekrise zu überstehen. Die Ukraine benötigt dringend finanzielle und materielle Hilfe.
Katherina Reiche verspricht 30 Millionen Euro für Infrastruktur
Am Wochenende war die deutsche Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) zu Besuch in Kyjiw. Dort war sie gezwungen, sich während eines nächtlichen Luftangriffs in einem Schutzraum zu verstecken, ein für sie, wie sie sagte, „einmaliges, bedrückendes Ereignis“, während es für die Ukrainer „bitterer Alltag“ sei. Reiche versprach der Ukraine mehr Unterstützung: Hilfe für den Wiederaufbau der zerstörten Energieinfrastruktur wolle Deutschland um weitere 30 Millionen Euro erweitern.
Das ist ein weiterer Beitrag Deutschlands zum gemeinsamen Fonds „Ukraine Energy Support Fund“, der sich auf rund 1,3 Milliarden Euro beläuft. Bis jetzt hat Deutschland bereits 420 Millionen Euro in diesen Fonds eingezahlt und ist damit einer der größten Partner der Ukraine im Energiesektor.
Während einer gemeinsamen Pressekonferenz bedankte sich die ukrainische Energieministerin Svitlana Hrynchuk für die Unterstützung und betonte, dass der Fonds das wirksamste Instrument zur Unterstützung des ukrainischen Energiesektors sei. Sie erklärte, die Ukraine sei positiv in den Winter gestartet, da es gelungen war, eine beträchtliche Anzahl von Anlagen zur Erzeugung, Übertragung und Verteilung von Strom zu reparieren.
Die verstärkten russischen Angriffe der vergangenen zwei Monaten hätten die Situation jedoch erheblich verändert. „Ohne die zusätzlichen Angriffe hätten wir keine weiteren Beiträge zum Fonds benötigt. Aber jetzt übersteigt die Nachfrage der Unternehmen nach Ausrüstung, die für Reparaturen benötigt wird, das vorhandene Budget um etwa 500 Millionen Euro“, sagte Hrynchuk.
Eine mögliche Finanzierungsquelle für den Wiederaufbau der Ukraine könnten die eingefrorenen russischen Vermögen sein. Anders als bei der Verhängung des 19. Sanktionspakets gegen Russland ist es den EU-Staats- und Regierungschefs jedoch bislang nicht gelungen, in der Frage der Übertragung dieser Vermögen als „Reparationskredit“ an die Ukraine Fortschritte zu erzielen.
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