Krieg um Berg-Karabach: Armenien meldet neuen Angriff

Die Gefechte um Berg-Karabach gehen weiter. Laut Armenien sind Aserbaidschans Truppen bei „heftigen Kämpfen“ vorgerückt. International wächst die Sorge.

Männer in Uniform stehen auf einem Platz. Sie haben Waffen dabei. Es sind armenische Freiwilligenrekruten. Der Mann in der Mitte hat schon graue Haare und raucht eine Zigarette. Er sieht angespannt aus.

Armenische Freiwilligenrekruten in der Stadt Hadrut am 29.9.2020 Foto: Karen Mirzoyan/dpa

BAKU/ERIWAN dpa | Nach Darstellung der armenischen Führung in Eriwan haben am Samstag Bodentruppen Aserbaidschans einen großangelegten Angriff in der Konfliktregion Berg-Karabach gestartet. Aserbaidschanische Truppen seien sowohl aus nördlicher als auch südlicher Richtung „mit starken Einheiten“ vorgerückt, teilte Armeniens Verteidigungsministerium in der Hauptstadt Eriwan mit. Bei „heftigen Kämpfen“ seien drei Kampfflugzeuge Aserbaidschans abgeschossen worden. Diese Angaben konnten von unabhängiger Seite nicht bestätigt werden, Aserbaidschan dementierte den Abschuss der Flugzeuge.

Seit fast einer Woche liefern sich die beiden verfeindeten Staaten schwere Gefechte in dem von Armenien kontrollierten Gebiet in Aserbaidschan. Diese gehen weit über die Konflikte hinaus, die es zuletzt immer wieder in der Region gab. Bei den Kämpfen im Südkaukasus sind nach armenischen Angaben in Berg-Karabach deutlich mehr als 200 Menschen getötet worden. Es gab allerdings abweichende Informationen. Aserbaidschan zählte zuletzt nach eigenen Angaben 19 tote Zivilist*innen und 60 Verletzte.

Nach armenischer Darstellung hat Aserbaidschan weitere Kräfte in das Konfliktgebiet hinzugezogen. Baku bestätigte dies zunächst nicht. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev teilte nach einem Telefonat mit seinem französischen Kollegen Emmanuel Macron mit, seine Armee habe besetzte Gebiete befreit. Zugleich warf er dem Nachbarland vor, die Verhandlungen über die Beilegung des Konflikts zu behindern.

Trump, Macron und Putin geben gemeinsame Erklärung ab

Währenddessen wächst international die Sorge vor einem Flächenbrand im Südkaukasus mit Beteiligung islamistischer Terrorist*innen aus Syrien und Libyen. Auch der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan führte bereits Gespräche mit Macron. Während des Telefonats hätten er und Macron auf die Gefahr durch Islamist*innen hingewiesen. Paschinjan hatte zudem der Türkei vorgeworfen, Tausende Söldner*innen aus den Kriegsgebieten in Syrien und Libyen in den Südkaukasus verlagert zu haben. Auch Russland teilte mit, plausible Hinweise zu haben.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow zeigte sich nach Angaben aus Moskau in einem Telefonat mit seinem iranischen Kollegen Mohammed Dschawad Sarif besorgt über diese Entwicklung. Der Iran ist Nachbar von Armenien und Aserbaidschan und hatte eine Vermittlung in dem Konflikt angeboten. Russland hat die Konfliktparteien zu einem sofortigen Abzug der Kämpfer*innen illegaler Terrorgruppieren aus dem Nahen Osten aufgefordert. Sollte sich ein Einsatz dieser Kämpfer*innen bewahrheiten, dann hätte der jahrzehntealte Konflikt eine neue Dimension. Harte Beweise für den Einsatz von Söldner*innen gab es nicht.

Offizielles Gremium für die Vermittlung zwischen den beiden verfeindeten Ex-Sowjetrepubliken ist die so bezeichnete Minsker Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Gruppe forderte ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen sowie eine Rückkehr an den Verhandlungstisch. Zuvor hatten US-Präsident Donald Trump, Macron und Kremlchef Wladimir Putin in einer gemeinsamen Erklärung die Einhaltung der Waffenruhe und einen Dialog gefordert. Während sich Armenien offen zeigte für Verhandlungen, lehnte Aserbaidschan ab.

UN-Generalsekretär António Guterres bedauerte, dass die Kampfhandlungen auch nach dem Appell Frankreichs, der USA und Russlands weitergingen. Er forderte die Konfliktparteien auf, umgehend alle Feindseligkeiten zu beenden, damit sich das menschliche Leiden in der Region nicht noch weiter verschlimmere. Zu lösen sei der Konflikt nicht militärisch, sondern nur auf dem Weg des Dialogs.

Zerbrochene Waffenruhe

Mit Unterstützung der Türkei betonte Aserbaidschan mehrfach, Armenien das Gebiet entreißen zu wollen. Das gas- und ölreiche Land hat in den vergangenen Jahren deutlich aufgerüstet und ist dem völlig verarmten Armenien militärisch überlegen. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev hatte damit gedroht, sich das Gebiet militärisch notfalls zurückzuholen. Er kritisierte, dass die jahrelangen Verhandlungen für sein Land keine Fortschritte gebracht hätten.

Die beiden Ex-Sowjetrepubliken kämpfen seit Jahrzehnten um die bergige Region, in der rund 145.000 Menschen leben. Berg-Karabach wird von Armenien kontrolliert, gehört aber völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan. In einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor rund 30 Jahren verlor Aserbaidschan die Kontrolle über das Gebiet. Es wird heute von christlichen Karabach-Armenier*innen bewohnt. Seit 1994 gilt eine brüchige Waffenruhe.

Der Präsident von Berg-Karabach, Araik Arutjunjan, traf sich nach eigenen Angaben in der vergangenen Nacht mit Soldat*innen. Dabei sei er auch an die Front gegangen, berichteten armenische Medien. Dort werde er mehr gebraucht als „hinten“, meinte Arutjunjan demnach. „Wir werden unser Heimatland mit Ehre verteidigen.“

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