Krieg und Gewalt in Syrien: Die letzten Zeugen werden ermordet

Kaum noch jemand riskiert, den Krieg in Syrien zu dokumentieren. Doch Khaled al Issa und sein Partner gaben nicht auf. Ein Nachruf.

Khaled al Issa fotografiert ein zerstörtes Haus

Khaled al Issa wurde 24 Jahre alt Foto: privat

Das „Auge der Wahrheit“ ist tot. Acht Tage lang lag der syrische Fotograf im Koma und einen Tag, nachdem Deutschland ihm ein Visum zugestand, erlag er seinen Verletzungen. Warum gab es für ihn keinen Rettungshubschrauber?

Khaled wurde 24 Jahre. Er stammt aus Kafranbel, dem Dorf, das mit seinen sarkastischen Kommentaren zu den Ereignissen in Syrien und der Welt international berühmt wurde. Khaled war einer der mutigsten Journalisten, die wir hatten. Er fotografierte an den gefährlichsten Orten. Mit seiner Kamera dokumentierte er den Horror des andauernden Genozids in all seinen Details, wurde bei Luftangriffen durch das Regime und dann die Russen zwei Mal schwer verletzt, aber den gezielten Anschlag auf sich und seinen Partner Hadi al Abdulla in Aleppo überlebte er nicht. Ein selbstgebastelter Sprengkörper explodierte vor der Haustür ihrer Wohnung.

Ob er etwas geahnt hatte? Wenige Tage vor seinem Tod schickte er eine Videobotschaft an seine Mutter: „Wenn mir etwas passiert, sei nicht traurig und vor allem, mach unbedingt weiter!“ Galia Rahal eröffnete 2013 das erste Frauenzentrum in Kafranbel: „Mazaya“ (Vorteil) mit dem Slogan: „Ich bin keine Last mehr, ich bin deine Kraft!“ Die 41-Jährige ist bis heute das Rückgrat der Frauenbewegungen, die im Zuge der Revolution entstand sind.

Khaleds Tod ist nicht wichtiger als der von vielen anderen. Doch ich bin erschüttert, denn es scheint, als ob die letzten Zeugen zum Schweigen gebracht werden sollen. Umso dankbarer war ich für die zunächst hoffnungsvollen Worte seiner Mutter: „Alle, die Khaled lieben und nach ihm fragen, ich war bei ihm und hab seine Hand genommen. Ich habe zu ihm gesprochen in der Hoffnung, dass er mich hört und ihm erzählt, wie sehr seine Freunde sein Lachen vermissen. Ich bin nicht daran gewöhnt, dass er mir nicht antwortet, dass ich seine heisere Stimme nicht höre. ‚Du bist stark‘, hab ich ihm gesagt, ‚dein Herz ist stark, du wirst überleben. Inschallah.‘“ Es kam anders.

„Lass deine Seele meine besuchen“

Wieder meldete sich Galia Rahal auf Facebook zu Wort. Trotz ihres Schmerzes bricht sie das Gespräch mit uns nicht ab: „Mein Leben, du heisst jetzt Märtyrer. Herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Namen! Du hast mir den Himmel geschenkt bevor du starbst, du hast mich beschützt im Leben und im Tod, geht es dir jetzt gut, mein Leben? Gott wird glücklich mit dir sein. Du warst mir näher als meine Seele, wir sind gemeinsam gewachsen, bleib in meiner Nähe, lass deine Seele meine besuchen, damit ich weiss, dass du da bist. Du bist nicht mehr Fleisch und Blut, du bist meine Seele und du wirst es bleiben.“

Sein Partner und lebenslanger Freund Hadi Abullah hat schwer verletzt überlebt. „Was soll ich jetzt machen?“, schreibt der Journalist vom Krankenhaus aus. „Mein zerbrochener Körper, meine blutenden Gedärme, mein gebrochenes Bein, meine sterbende Seele, was sollen wir ohne ihn tun? Oh, mein Khaled. Ich wünschte, ich wäre bei dir oder an deiner Stelle. Ich wünschte, du würdest mich preisen und über mich trauern. Ich wünschte, ihr Sprengstoff hätte mich in tausend Stücke gerissen. Ich möchte nicht nach dir leben. Ich bitte dich, lass deine Seele die meine rufen. Ich bitte dich bei unserer Freundschaft und dem Schmerz, den wir zusammen erlebt haben. Bitte ruf mich zu dir. Ich verspreche dir, ich werde dich um nichts mehr bitten. Khaled, meine Seele braucht dich.“

Khaled al Issa hatte sich entschlossen, in Syrien zu bleiben, als die ganze Welt entschied, über Syrien hinweg zusehen. Er und Hadi sind an die gefährlichsten Orte gereist, um zu berichten. Wir, die wir Syrien verlassen haben, sind ihren Bildern und Berichten über Facebook gefolgt. Sie waren unsere Verbindung zu unserem blutenden Land.

Khaled, du alleine hast mehr Schönheit als die ganze ungerechte Welt zusammen. Ruhe in Frieden.

Mitarbeit: Ines Kappert

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30, Anglist und Aktivist aus Aleppo. Er kam über die Balkanroute 2015 nach Deutschland. Seine Mutter und seine Schwester leben an der Frontlinie zwischen Rebellen und Assad-Regime.

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