Krieg zwischen Kurden und IS: Gestorben für Kobani

Nicht nur Kurden verteidigen die syrische Stadt Kobani. Ein linker, türkischer Aktivist fiel dort Anfang Oktober im Kampf gegen die Dschihadisten.

In Istanbul wird um Suphi Nejat Ağırnaslı getrauert. Screenshot: Direnisteyiz.org

BERLIN taz | Dass in den Reihen des „Islamischen Staates“ zahlreiche Dschihadisten aus aller Welt kämpfen, ist bekannt. Auch bei den Belagerern von Kobani sollen kurdischen Quellen zufolge zahlreiche türkische Islamisten kämpfen. Überprüfbar ist diese Angabe jedoch nicht. Schwer zu überprüfen ist auch, was die syrisch-kurdische PYD immer wieder betont: Kobani würde nicht nur von syrischen Kurden verteidigt, sondern auch von christlichen Assyrern oder sunnitischen Arabern, die in den Reihen ihrer „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) oder der mit ihr verbündeten Organisation Burkan al-Firat kämpfen würden.

Im Ausland kaum bekannt ist auch, dass der syrisch-kurdischen Miliz türkische Freiwillige angehören. Es gibt dazu keine verlässlichen Zahlen, auf Nachfrage der taz bestätigten kurdische Kreise nur, dass sich in den vergangenen Tagen „mehrere Dutzend“ türkische Staatsbürger der YPG-Miliz angeschlossen haben.

Bereits im August kam Suphi Nejat Ağırnaslı zur YPG. Er war 30 Jahre alt und hatte an der staatlichen Elite-Universität Boğaziçi Soziologie studiert. In türkischen Medien tauchte sein Name zum ersten Mal bei seiner Festnahme im Frühjahr 2011 auf. Vorgeworfen wurde ihm die Mitgliedschaft in der KCK, dem politischen Arm der türkisch-kurdischen PKK. Einen Haftbefehl gab es seinerzeit nicht. „Wären meine Freunde nicht gewesen, hätte man mich verschwinden lassen“, sagte er später in einem Interview, auf die Praxis türkischer Sicherheitskräfte aus den neunziger Jahren anspielend, als Hunderte linke und kurdische Oppositionelle „verschwanden“.

Ağırnaslı blieb auch nach seinem Master-Abschluss linker Aktivist. In Internetforen schrieb er über die „Wiederbelebung der kommunistischen Bewegung“, zitierte Althusser, Spivak und Negri/Hardt oder beschäftigte sich mit der gewerkschaftlichen Organisation von freien Autoren. Trotz dieser Referenzen auf neuere Theoretiker war er Mitglied der verbotenen, orthodoxen Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP).

Er kam aus einer linken Familie

Dabei stammte er aus eher bürgerlichen Verhältnissen. Und aus einer linken Familie. Schon sein Großvater Niyazi war in den sechziger Jahren Abgeordneter der Arbeiterpartei und gehörte 1971 zu den Rechtsanwälten des türkischen Studentenführers Deniz Gezmiş, seine Eltern benannten ihn nach zwei 1921 ermordeten Gründern der historischen Türkischen Kommunistischen Partei.

In der YPG legte sich Ağırnaslı den nom de guerre Paramaz Kızılbaş zu. „Kızılbaş“ ist eine Bezeichnung für die türkischen und kurdischen Aleviten, die zu den entschiedensten Gegner der AKP gehören. Paramaz war der Kampfname von Matteos Sarkissian, einem armenischen Sozialisten, der gegen das zaristische Russland wie gegen das osmanische Reich für ein unabhängiges sozialistisches Armenien kämpfte und 1915 in Istanbul hingerichtet wurde.

Dass sich Suphi Nejat Ağırnaslı diesen Kampfnamen auswählte, war ein politisches Statement. Denn er war weder Alevit noch Armenier. Und er war kein Kurde. Wie am Wochenende bekannt wurde, fiel er am 5. Oktober bei der Verteidigung von Kobani in Hände von IS-Kämpfern. Zwei Tage darauf gab die YPG seinen Tod bekannt. Sein Leichnam, so meldet die türkische Tageszeitung Birgün, sei immer noch bei den Dschihadisten.

Ağırnaslı ist nicht der erste türkische Linke, der in „Rojava“, also den von syrischen Kurden kontrollierten Gebieten ums Leben gekommen ist. Bereits im September vorigen Jahres starb dort Serkan Tosun, auch er ein Mitglied der MLKP, bei Gefechten mit der islamistischen al-Nusra-Front.

„Ich habe meinen Sohn, meinen Genossen, meinen Bruder verloren“, zitierten türkische Medien seinen Vater Hikmet. „Er hätte ein glänzendes Leben vor sich haben können. Aber er entschied sich für die revolutionäre Solidarität. Ich verneige mich vor ihm voller Respekt.“

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