Kriegsopfer in der Ukraine: „Unsere Leute sind einfach klasse“

Verwundete Soldaten sind im Krankenhaus in Dnepropetrowsk auf Hilfe aus der Bevölkerung angewiesen. Staatliche Fürsorge gibt es kaum.

Ein Freiwilliger sammelt in Kiew Spenden für ukrainische Soldaten Bild: dpa

DNEPROPETROWSK taz | Friedlich sieht die Millionenstadt Dnepropetrowsk in ihrem Schneegewand aus. Und auf den ersten Blick scheint es, als sei der Krieg weit entfernt. Doch der Krieg ist ganz nah, trotz Schnee und regelmäßiger Waffenstillstandsabkommen. Jeden Tag kommen neue Opfer in die Stadt, Kranke, Verletzte, Tote. Für die meisten von ihnen ist Dnepropetrowsk die erste Anlaufstelle. Sie bleiben vorerst im Metschnikow-Krankenhaus oder im Militärkrankenhaus.

In den letzten Tagen scheint der Strom der Kriegsverletzten etwas abzunehmen. Die Kämpfe sollen chaotischer geworden sein, auch die andere Seite wolle wohl die Opferzahlen gering halten, heißt es. Die Ärzte wiederum glauben, die ukrainischen Soldaten wüssten, wie sie sich vor den Geschossen der anderen Seite am besten wegducken könnten. Ansonsten reden sie nicht viel. Sie machen wortlos ihre Arbeit, den Krieg zu kommentieren ist nicht ihre Aufgabe.

Eine der wenigen, die über ihre Arbeit sprechen, ist „Oma Nina“. Alle nennen sie so. Die 60-jährige Krankenschwester sieht älter aus als sie ist. Gerne spricht sie nicht über die Arbeit, aber sie kann nicht anders, tut das meistens unter Tränen. „Sind die Soldaten einmal verletzt, fühlt sich niemand mehr für sie verantwortlich. Wenn überhaupt ein Staatsvertreter kommt, dann nur in Begleitung einer Kamera.“

Wenn die vielen Freiwilligen nicht wären, wäre es um die verletzten Soldaten sehr schlecht bestellt. „Ich bin in Dnepropetrowsk geboren und hier groß geworden. Ich habe meine Stadt immer geliebt. Aber nun bin ich richtig stolz auf sie. Unsere Leute sind einfach klasse“, sagt sie und zeigt auf das, was die vielen Freiwilligen gebracht hatten. „Am wichtigsten sind die Medikamente.“ Doch nicht nur Medikamente haben die Freiwilligen vorbeigebracht. Auch Kleidung, Schuhe, Lebensmittel, Zigaretten, Bücher.

Mit einer eintägigen Feuerpause im Osten des Landes unternahm die Ukraine am Dienstag einen weiteren Anlauf, die im September ausgehandelte, aber täglich verletzte Waffenruhe zu erneuern. Russland schlug versöhnliche Töne an und erklärte, man könne die Rückkehr separatistischer Gebiete in die Ukraine unterstützen. Am Freitag sollen in Minsk erneut Friedensverhandlungen stattfinden. Das ukrainische Militär teilte mit, die Kampfhandlungen gegen die Separatisten seien eingestellt worden. Die Führer der Separatisten erklärten, sie hätten den Bedingungen des „Tages der Ruhe“ zugestimmt. (ap)

Splitterwunden am ganzen Körper

Dima ist 29 Jahre alt. Er kann inzwischen wieder gehen. Mehrmals täglich steht er vor dem Haupteingang des Krankenhauses, mit einer Zigarette in der Hand. Einfach ist es nicht. Eine Hand ist immer noch in einen Verband gewickelt. Und wenn starker Wind bläst, schafft er es nicht, seine Zigarette mit dem Feuerzeug anzuzünden. Das, sagt er lächelnd, sei derzeit aber sein einziges Problem.

Mit 18 Jahren hatte man ihn einberufen. Nach dem Wehrdienst hatte er ein technisches Studium abgeleistet und anschließend in einer Werkstatt gearbeitet. Doch im Krieg habe er sich natürlich nicht drücken wollen, sei der Einberufung sofort nachgekommen. Nun liege er schon drei Wochen im Militärkrankenhaus, sein ganzer Körper ist von Splitterwunden übersät.

Zwar will er zurück an die Front. Dort seien seine Freunde und ein nicht zu Ende gebrachter Auftrag. Auf der anderen Seite stelle sich aber auch die Frage, warum er für einen Staat kämpfen solle, der seine eigenen Soldaten ihrem Schicksal überlasse. Glück hätten nur die verletzten Soldaten, die von der Presse oder einem Kamerateam besucht worden seien. Sofort nach Ausstrahlung der Sendung könnten diese sich vor Briefen und Paketen gar nicht mehr retten.

Wie es im Osten, wo gekämpft werde, weitergehen solle, sei absolut unklar, meint Dima. Man habe weder eine Strategie noch eine Taktik. Der Kampf erinnere an den Kampf mit einem Drachen, dessen Kopf sofort nachwachse, wenn man ihn abgeschlagen habe. „Das wird noch ewig so weitergehen.“ Und wer dort auf der anderen Seite nicht alles kämpfe: Tschetschenen, Burjaten, Russen mit Moskauer Akzent und natürlich Einheimische.

Solange es die Ukraine nicht schaffe, die Grenzen zu schließen, gehe dieser Krieg endlos weiter. „Und sie wollen die Grenzen gar nicht schließen. Sie reden nur davon. Ich glaube, denen kommt der Krieg ganz gut zupass. Und wir sind nichts als Kanonenfutter“, sagt Dima voller Bitterkeit und Resignation.

In der Bevölkerung von Dnepropetrowsk weiß man, was man in den Krankenhäusern braucht. Überall in der Stadt finden sich Aushänge. In Geschäften, in Bussen und Nahverkehrszügen bitten Freiwillige die Bevölkerung um Mithilfe. Journalisten aus Dnepropetrowsk schätzen, dass jeder sechste Bewohner der Millionenstadt einen Teil seiner Freizeit opfert, um den aus der „Antiterroroperation“ zurückgekehrten Soldaten zu helfen.

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