Krimi-Autor Petros Markaris: Ein Grieche aus Istanbul

Petros Markaris war einst Zementverkäufer. Über sein Leben, die griechische Krise, den Sommer in Athen und seinen neuen Roman „Offshore“.

Ein alter Mann mit Halbglatze von der Seite steht vor einem orange-braunem Haus

Wuchs in Istanbul auf: Petros Markaris Foto: Andreas Fanizadeh

„Ich liebe Athen im Sommer, weil es so ruhig ist“, sagt Petros Markaris. Gerade erscheint „Offshore“ im Zürcher Diogenes Verlag. Sein zehnter Kriminalroman mit Kommissar Kostas Charitos in der Hauptrolle. Den Gast aus Deutschland empfängt Markaris in einem kurzärmeligen schwarzen T-Shirt – weißer Schriftzug über der Brust: „Negra y Criminal“ – in seiner Wohnung im Athener Norden. Markaris, geboren 1937, spricht akzentfrei Deutsch. Er ist der wohl bekannteste und erfolgreichste Gegenwartsschriftsteller Griechenlands. Dabei fand er nur über Umwege zum Beruf des Autors und Übersetzers. Und ein „richtiger“ Grieche seit Geburt an ist er auch nicht.

„Weißt du, wenn du in den 1940er und 1950er Jahren, aus einer Minderheit stammend, in Istanbul groß wurdest, dann hat dein Vater entschieden, was aus dir wird“, sagt Markaris, während er dem Gast in seinem Athener Apartment Filterkaffee serviert. Als Sohn eines armenischen Kaufmanns und einer griechischen Mutter, besuchte er im türkischen Istanbul das St.-Georgs-Kolleg, eine österreichische Schule. Sein Vater, sagt Markaris schmunzelnd, glaubte weiterhin an eine große Zukunft des im Ersten Weltkrieg untergegangenen Habsburgerreichs. Ende der 1950er Jahre musste Petros Markaris zum Volkswirtschaftsstudium nach Wien.

Ein für den weiteren Werdegang des jungen Mannes so folgenreicher wie produktiver Irrtum. „Die einzige Verteidigungslinie, die mir damals blieb“, sagt der heute 80-Jährige, „war ein ganz elender Wirtschaftsstudent zu werden.“ Er frönte seinen tatsächlichen Leidenschaften, beschäftigte sich mit deutschsprachiger Literatur und begann Brecht oder Goethe ins Neugriechische zu übertragen. Doch dies galt als brotlose Kunst. „Irgendwann entschied mein Vater, dass das Spiel zu Ende sei.“ Unvorstellbar für die Eltern damals, dass der Sohn für seine „Verdienste um die deutsche Sprache“ einmal in der Bundesrepublik mit der Goethe-Medaille geehrt würde.

Also ging es Mitte der 1960er Jahre für Petros Markaris von Wien nach Athen. In die Zementbranche, wo er Exportleiter einer griechischen Fabrik werden sollte. „Mein Vorteil war, dass ich viele Sprachen konnte“, sagt er, die Hände gefaltet, leicht nach vorn gebeugt in seinem zum Schutz vor der Sonne abgedunkelten Wohnzimmer. Er hält Rückschau ohne Hochmut, auf eine Biografie, in der vieles für das Kind armenisch-griechischer Eltern aus der Türkei auch anders hätte kommen können. Als Verkäufer griechischen Zements bereiste er den gesamten Mittleren und Nahen Osten. In seiner Freizeit las und übersetzte er weiterhin Brecht und Goethe. Er verstand sich gut mit dem Unternehmer, auch als er 1976 entschloss, sich fortan ganz der Literatur zu widmen. Da hatte er sich bereits als Übersetzer und Dramatiker einen Namen gemacht.

Zweifel und Selbstironie

1971, es war die Zeit der griechischen Militärdiktatur, schummelte sich sein Theaterstück „Die Geschichte des Ali Retzo“ an der Zensur vorbei. Es wurde ein sensationeller Erfolg. Markaris freundete sich mit dem Filmemacher Theo Angelopoulos an. Markaris erinnert sich: „Theo kam ins Thea­ter und bot mir eine Mitarbeit an. Ich sagte: gerne, aber ich habe keine Ahnung vom Drehbuchschreiben. Theo sagte: Macht nichts, ich bringe es dir bei. Er wollte wohl unbedingt jemanden in seinem Stab haben, der etwas von Brecht verstand.“ Markaris wurde zum Ko-Drehbuchautor von Angelopoulos, der 2012 verstarb.

Wenn man Markaris Prosa liest, meint man eine gewisse Nähe zur Dramatik zu erkennen. „Aber vor allem auch zum Film“, widerspricht der Autor. „Ich plane und erzähle meine Geschichte im Grunde unterteilt nach filmischen Sequenzen.“ Markaris sieht sich zudem in der Tradition von Schriftstellern wie Victor Hugo, Charles Dickens oder Manuel Vázquez Montalbán. Den modernen Kriminalroman betrachtet er als „einen unmittelbaren Nachfahren des bürgerlichen Roman des 19. Jahrhunderts“.

Ich fragte mich: Wie wäre es, wenn das Geld nach Griechenland zurückkehrt? Hätten die Griechen etwas gelernt?

1995 veröffentlichte er mit „Hellas Channel“ seinen ersten von mittlerweile zehn Kriminalromanen. Seine letzten vier kreisten allesamt um die große griechische Pleite. Nun, in seinem neusten Krimi, „Offshore“, zieht es Markaris in die Zukunft. Griechenland wird mit frischem Geld geflutet, Konsum und Wirtschaft boomen. Vor diesem Hintergrund ermittelt Kommissar Kostas Charitos in einem rätselhaften Mordfall, verübt an einem Beamten in Athen. Man hat dem Kommissar etwas sehr schnell geständige – und ausländische – Täter serviert. Aber da die Haustür bei dem Ermordeten nicht aufgebrochen ist, lässt Markaris seinen Ermittler kriminalistisch und politisch messerscharf folgern: „Das Opfer kannte entweder die Täter, oder die Täter sind Griechen, denn Ausländern hätte er die Tür nicht aufgemacht.“ Es stimmt hier also etwas nicht.

Zweifel und Selbstironie gegenüber Nationalismen zeichnen große Schriftsteller aus. Markaris spart in „Offshore“ nicht an gekonnt eingestreuten Seitenhieben auf die griechische Mentalität, ohne seine Hauptfigur vom Spott auszunehmen. Ist Charitos gar mittlerweile das „blinde Huhn“, für das ihn Kar­rieristen in seiner Abteilung und ein undurchsichtiger Vorgesetzter halten?

Wo kommt das Geld her?

Doch auch andere aus Charitos Umfeld bleiben misstrauisch. „Wo kommt all das Geld her?“, lässt Markaris Charitos Ehefrau Adriani in „Offshore“ den neuen Konsumrausch ein ums andere Mal hinterfragen. „Viele Sterbenskranke“, meint sie vielsagend, „erleben vor ihrem Ende eine kurze Regenerationsphase.“

„Ich wollte nicht mehr in der Krise leben und gleichzeitig über sie schreiben“, sagt Markaris. „Sie hat mich erschöpft. Wir alle bekamen sie zu spüren. Ich fragte mich: Wie wäre es, wenn das Geld nach Griechenland zurückkehrt? Woher käme es, und wie würden sich die Griechen verhalten? Hätten sie etwas gelernt?“

Petros Markaris: „Offshore. Ein Fall für Kostas Charitos“. Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger. Diogenes Verlag, Zürich 2017. 360 Seiten, 20,99 Euro.

Markaris ist ein höflicher, aber auch ein angenehm streitbarer Geist. Der aktuellen Regierung des Linkspopulisten von Alexis Tsipras wirft er vor, doppeltes Spiel zu betreiben. Vordergründig „gefügig und freundlich“ gegenüber den Europäern fördere der „Altlinke“ Tsipras zu Hause das bestehende Klientelsystem, bediene seine Leute. Markaris beklagt aber auch die europäische Inkonsequenz, etwa die in der Europäischen Union herrschenden verschiedenen Steuersysteme. „Ein kleiner Unternehmer muss in Griechenland derzeit sehr viel mehr als in Bulgarien, Zypern oder Luxemburg an Steuern zahlen“, sagt er.

Denn „aus ideologischen Gründen“, um sein Klientel zu bedienen, besteuere Tsipras nun Unternehmen in Griechenland sehr hoch. So hätten viele kleinere und mittelständische Firmen ihren Sitz ins benachbarte Ausland verlegt. „Sofia ist bald zur Hälfte eine griechische Stadt“, so Markaris. Und dem griechischen Staat fehle es erst recht an Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen.

Ein gespaltenes Land

Griechenland blieb nach 1945 ein in links und rechts gespaltenes Land. Statt einer Revolte wie 1968 in der Bundesrepublik, die die Gesellschaft öffnete und mit den Grünen später das Parteiengefüge modernisierte, erlebte Griechenland von 1967 bis 1974 eine rechte Militärdiktatur. „Negra y Criminal“ – mit seiner Figur des Kostas Charitos erfand Markaris einen populären Helden, der noch von diesen Zeiten geprägt ist. Charitos stammt vom Land, ist selbst Sohn eines kleinen Polizisten. „Jemand wie Charitos hatte in den 50er Jahren zwei Alternativen“, sagt Markaris, „entweder er bleibt im Dorf und mutiert zum Bauern – oder er geht in die Stadt auf die Polizeiakademie.“ Markaris schuf also mit seinem Ermittler keinen unbefleckten Helden, sondern einen mit Geschichte durchtränkten Griechen. Aber einen mit Moral, der gewisse Aufstiegschancen in den 60ern vorfand sowie eine „positive Kultur der Armut“ kennen und leben lernte.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

„Und weißt du, was der Unterschied zu heute ist“, fragt Markaris während des Gesprächs. „Kostas Charitos hatte zwar keine große Wahl, aber nach dem Polizeistudium hat er einen festen Platz in der Gesellschaft gehabt. Heute dürfen die jungen Leute alle ihren Master machen, sie promovieren – aber sie bekommen danach keine Stelle.“

Es ist kein für immer feststehendes Urteil, das Petros Markaris hier fällt. Es ist ein im Dialog für den Moment gewonnener Vergleich, eines an Geschichte und lebendigen Austausch interessierten Menschen. Eines Autors, der es liebt, den Sommer im fiktiven Gespräch mit dem Ensemble seiner Figuren in seiner Athener Wohnung zu verbringen. Der aber auch täglich ausgeht, seine Zeitung liest, die Freunde und seine Tochter trifft. Der bis in die zweite Septemberhälfte dieses Jahres an seinem elften Kostas-Charitos-Roman arbeiten wird – und der erst vor Kurzem die Übersetzung von Johann Wolfgang Goethes „Urfaust“ ins Neugriechische erfolgreich für die Veröffentlichung abschloss.

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