Krimi-Klassiker im Sommerloch: Mein Freund Ripley
In „ Der amerikanische Freund“ lässt sich entdecken, wie Dennis Hopper aus einem kleinen Fernsehspiel großes Kino macht. Vorspulen ist aber erlaubt.

Sommerzeit, Klassikerzeit! Man nimmt sich die dicken Bücher vor, entschleunigt schon bei der Auswahl und erst recht beim Lesen. Mit Filmen geht das auch. Viele können allerdings Filme, die vor, sagen wir 1990 gedreht wurden, gar nicht mehr anschauen: Mein Gott, wie lang das alles dauert! Und wie alt das ist! Das Frauenbild, das Männerbild, das ewige Standbild! Alles steht still, sagen unsere Tiktok-Hirne, das halt ich nicht aus!
Und in der Tat wurde es etwa nach der ersten von zwei Stunden schwierig für mich, „Der amerikanische Freund“ von Wim Wenders aus dem Jahr 1977 ohne Benutzung der Zehn-Sekunden-Vorspulfunktion am Laptop weiterzugucken.
Die ersten 60 Minuten – kein Problem, schließlich ist das Ding ja nicht zuletzt ein echter Krimiknaller, nach dem Roman „Ripley’s Game“ von Patricia Highsmith.
Die Exposition der Story – die wie immer bei Highsmith nicht unbedingt aus der Schlüssigkeit ihre Power zieht –, die Bilder eines wunderschön kaputten winterlichen Hamburgs auf der Schwelle der Gentrifizierung, die Eindrücke aus Paris, wo der Prozess der Digitalisierung längst begonnen hatte, die Schwenks nach New York, die immer eine riesiges Sehnsuchtspotenzial haben nach einer tatsächlich neuen Welt; und dann die deutschen Objekte, die man aus der eigenen Jugend noch kennt, der Käfer mit der kleinen Heckscheibe, die Telefone mit Wählscheibe und dem schrillen Alarmklingeln, die Kleidung, der man das Kratzen ansieht, und die Wohnungen, deren Geruchsmischung aus Weichspüler, Staub und Zigarettenrauch man noch in der Nase hat – Klassiker eben, die einen bei der Stange halten!
Die Vorwegnahme der Dinge
Was ich am „Amerikanischen Freund“ aber vielleicht am überraschendsten fand, ist die Vorwegnahme der Dinge und Verhaltensweisen, die wir heute nicht mehr aus unserem Leben wegdenken können – nur auf niedrigerem technischem Level: Statt Mobiltelefonie wird telegrafiert, Ripley macht Selfies mit der Sofortbildkamera und unterhält eine Art monologischen Blog mit einem Kassettendiktiergerät.
„Der amerikanische Freund“, in der Arte Mediathek, bis 30. September 2025
Überhaupt natürlich – Ripley, überhaupt Dennis Hopper! Wie großartig ist der! Wie hebt er den Film auf internationales Niveau, während aus Bruno Ganz „Das kleine Fernsehspiel“ im ARD-Nachtprogramm nie ganz rausging.
Und doch, gerade in diesem Spätsommer und trotz aller offensichtlichen und von Cineasten längst ausgiebig erörterten handwerklichen Mängel dieses Films: Wenn es wie jetzt schon früher dunkel wird und sacht nach Herbst zu riechen beginnt, da waren die zwei Abende, die ich mit dem charmanten Killer Ripley und dem durchs Leben stolpernden Jonathan, mit seiner engelhaft geduldigen Frau Marianne – bis circa 1980 waren Männer unzurechnungsfähige Vollbetreuungsbedürftige, die sich gleichzeitig alles erlauben durften – und den anderen, teils berühmten Gestalten verbringen durfte, doch nicht schlecht investiert.
Und dann ist es ja so mit dem Klassikernachhilfeunterricht im Sommer: Es ändert tatsächlich was Existenzielles, ob man ein Kunstwerk nun kennengelernt hat oder nicht; es ändert was am eigenen Leben. Es ist wie eine Reise, mit deren Erinnerungen man fortan leben darf.
„Der amerikanische Freund“ wird wahrscheinlich kein Freund fürs Leben, ich werde ihn mir wahrscheinlich nicht noch mal ansehen. Aber er hat mich doch verändert. Das ist das, was Kunst kann. Und soll. Und muss.
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