Krimi von Olga Tokarczuk: Erstickt an einem Rehknochen

Das Œuvre der Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk ist vielschichtig. Mit „Gesang der Fledermäuse“ legt sie einen vegetarierfreundlichen Krimi vor.

Rehe auf der Wiese

Ob die Rehe wohl Rache genommen haben? Foto: dpa

Wie gut, dass so ein Literaturnobelpreis auch immer Wiederveröffentlichungen mit sich bringt. So ist mit Olga Tokarczuks „Gesang der Fledermäuse“ nun ein besonderer Kriminalroman (wieder) zu entdecken.

Er spielt dort, wo die Autorin lebt: im schlesischen Berggrenzland zwischen Polen und Tschechien. Erzählt wird er von Janina ­Duszejko, einer pensionierten Lehrerin, die einmal pro Woche in der Dorfschule Englisch unterrichtet und ansonsten zurückgezogen in einer kleinen Siedlung lebt, wo im Winter außer ihr selbst nur zwei weitere Menschen wohnen.

Olga ­Tokarczuk: „Gesang der Fledermäuse“. Aus dem Polnischen von Doreen Daume. Kampa Verlag, Zürich 2019. 352 S., 24 Euro

Wobei: Schon mit Einsetzen der Handlung ist es nur noch einer, denn der zweite Nachbar, ein notorischer Wilderer, den die Icherzählerin „Bigfoot“ getauft hatte, schafft es nicht lebend in den Roman. Die Nachbarn finden ihn zu Beginn tot unter dem Küchentisch – erstickt an einem Rehknochen. In der Küche liegen weitere Rehteile.

Den Kopf nimmt die Erzählerin mit und bestattet ihn auf dem Tierfriedhof, den sie auf ihrem Grundstück angelegt hat. Zwei Rehe hatten sich auffällig nah am Haus aufgehalten, als der Tote gefunden wurde. Kann es nicht sein, überlegt die überzeugte Vegetarierin, dass die Tiere sich an den Mördern ihrer Artgenossen rächen?

Astrologische Beweisführung

Die Polizei und ein Teil der Dorfbewohner halten sie für verrückt, umso mehr, als sie ihre Theorie mit astrologischen Beweisführungen unterfüttert. Andere halten zu ihr: Ein ehemaliger Schüler etwa, mit dem sie Werke William Blakes übersetzt. Ein Entomologe, der eines Tages zum Käferzählen im Wald auftaucht und für ein paar Wochen bei der Erzählerin einzieht.

Die Frau, die den Secondhandladen im Dorf führt. Sie alle teilen nicht unbedingt die starken Überzeugungen der Erzählerin, aber doch ihre Kritik an der Selbstverständlichkeit, mit der Menschen Tiere töten. Dagegen steht die Mehrheitsgesellschaft, die diese Tötungspraxis für ihr gutes Recht hält – Jäger, Polizisten, Pfarrer. Ein paar von ihnen kommen nach und nach auf unnatürliche Weise ums Leben. Und: Bei jedem dieser Todesfälle scheinen Tiere im Spiel gewesen zu sein.

Der „Gesang der Fledermäuse“ hat alles, was ein Kriminalroman braucht. Das fängt bei der Protagonistin an, die eine klassische unzuverlässige Erzählerfigur ist und deren Hang zu Mystifikationen und Visionen suspekt erscheint. Sie ist aber auch eine intelligente, originelle Persönlichkeit, die Ansehen genießt.

Vielleicht ist es ja ihre Krankheit – offenbar leidet sie an Diabetes –, die ihren Ansichten jene kompromisslose Schärfe verleiht und ihren Wirklichkeitsbezug je nach Tagesform schwanken lässt? Oder erhöhte Sensibilität?

Die Umgebung der Erzählerin jedenfalls erscheint wie ein mystischer, multidimensionaler, gewalttätiger Ort, wo irgendwo dunkle Kräfte verschiedenster Art am Werk sind. Und an der Oberfläche herrscht eine aggressive Stimmung im „Land der neurotischen Individualisten, von denen jeder […] seine unzweifelhafte Überlegenheit zur Schau stellt“, wie die Erzählerin Polen beschreibt. Anders gehe es auf der anderen Seite der Grenze in Tschechien zu: „Dort können die Menschen ruhig miteinander diskutieren, und niemand zankt sich mit dem anderen.“ Dass diese Grenze so nah ist, wird am Ende ihr Glück sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.