Krise bei Nord- und Ostsee-Werften: Wirtschaft der speziellen Art

Wachsende Verluste machen den vier Genting-Werften an Nord- und Ostsee zu schaffen. Unternehmen beschwichtigt, Gewerkschaft ist noch hoffnungsvoll

Soll eigentlich das erste von vier Flusskreuzfahrtschiffen sein: Die „Crystal Bach“ Foto: dpa

HAMBURG taz | Die „Crystal Bach“ könnte das letzte Schiff gewesen sein, das auf der Genting-Werft in Wismar gebaut wurde. Am vorigen Donnerstag wurde das Flusskreuzfahrtschiff ausgeliefert, doch die Werft steckt in Schwierigkeiten. Deren Eigentümer, der Genting-Konzern aus Hongkong, hat zum zweiten Mal im laufenden Jahr eine Gewinnwarnung herausgegeben. Danach erwartet Genting für das erste Halbjahr 2017 einen Verlust von 200 bis 220 Millionen US-Dollar (169 bis 186 Millionen Euro). In 2016 hatte der Konzern bereits einen Verlust von 504 Millionen Dollar ausgewiesen – die Milliardengrenze für zwei Jahre voller Verluste ist nicht mehr fern.

Offiziell soll die schlechte Geschäftslage aber keine Auswirkungen auf die vier Werften an der Nord- und Ostseeküste haben. Ein Firmensprecher teilte mit, Genting verfolge sein Neubauprogramm weiter und setze die geplanten Investitionen an allen Standorten weiter um. Die im Bau befindlichen Schiffe würden planmäßig fertiggestellt. Die Standorte in Wismar, Stralsund und Rostock in Mecklenburg-Vorpommern sowie die Lloyd-Werft in Bremerhaven hätten lediglich Vorlaufverluste durch ihre Vorbereitung auf Neubauten im nächsten Jahr.

Grund sei unter anderem ein Verlust bei der konzerneigenen Kreuzfahrtreederei Crystal Cruises, der mit schwierigeren Wettbewerbsbedingungen sowie höheren Kosten für Marketing und der Inbetriebnahme neuer Flusskreuzfahrtschiffe begründet wurde.

Genau hier aber liegt die Schwachstelle der Werftenkon­struktion, die Genting im November 2015 an den deutschen Küsten umzusetzen begann. Zehn Passagierschiffe der Luxusklasse – drei Ozeanliner, sechs Flussschiffe und eine Megayacht – hatte Genting bei sich selbst in Auftrag gegeben. Weil das schnelle Wachstum der Kreuzfahrtbranche die Auftragsbücher weltweit gefüllt hatte, beschloss das Unternehmen, sich seine Schiffe eben selbst zu bauen. Denn vor allem China gilt als Markt der nahen Zukunft: Im vorigen Jahr buchten eine Million Chinesen eine Kreuzfahrt. 2030 sollen es mindestens acht Millionen sein.

Der Boom beim Neubau von Kreuzfahrtschiffen hält an. Das belegt eine Studie der Bremer Agentur für Struktur- und Personalentwicklung im Auftrag der IG- Metall-Küste aus dem Vorjahr.

Aufträge: 2010 wurden 22 Luxusliner in Auftrag gegeben. 2015 waren es schon 40, im vorigen Jahr 55 Schiffe.

Verteilung: Zurzeit bearbeitet die deutsche Meyer-Werft 13 Aufträge in Papenburg und sechs im finnischen Turku, 24 Aufträge hat Fincantieri (Italien), acht STX (Frankreich) und einen Mitsubishi (Japan).

Lloyd: Die neu formierte Lloyd-Gruppe hatte bislang drei und hat seit gestern 13 Aufträge an vier Standorten.

Auslieferungen: 2016 wurden neun Kreuzfahrer ausgeliefert, davon zwei von Meyer in Papenburg und einer von Meyer-Turku. 2017 liefert Genting ein Flussschiff aus, 2018 Meyer sechs Schiffe, Lloyd erstmals zwei. 2020 soll Meyer zwei in Papenburg und eines in Turku fertigstellen. Danach ist die Auftrags- und Auslieferungslage bis mindestens Mitte der 2020er-Jahre gesichert.

Und um hier von Anfang an dabei zu sein, will das Unternehmen aus Hongkong mit seinen Tochterreedereien Christal Cruises und Star Cruises und deren Tochter Norwegian Cruise Line für künftige Großaufgaben gewappnet sein. Die wenigen Passagierschiff-Werften weltweit, die Luxusschiffe der Megaklasse bauen können wie etwa die Meyer-Werft im emsländischen Papenburg, sind jedoch bis Mitte der 2020er-Jahre ausgelastet.

„So lange können wir nicht warten“, verkündete Genting-Vorstandschef Tan Sri Lim vor zwei Jahren. Er kaufte flugs die vier angeschlagenen Werften der Nordic-Gruppe an Nord- und Ostsee für 230 Millionen Euro, um sich seine Schiffe fortan in Eigenregie zu bauen, und versprach „eine jahrelange nachhaltige Auslastung der Werften“.

Allerdings ist Genting sein eigener bester Kunde – und schiebt im Prinzip nur Geld von der linken in die rechte Tasche. Bezahlt eine seiner Tochterreedereien das Schiff erst nach Auslieferung, könnte die bauende Werft Schulden anhäufen und Liquiditätsprobleme bekommen. Bei Vorkasse und Abschlagszahlungen ginge es der Werft gut und der Reederei womöglich schlechter – ein Finanz- und Wirtschaftskreislauf der speziellen Art.

Ernsthafte Sorgen über die etwa 1.400 Arbeitsplätze will sich die IG-Metall-Küste aber noch nicht machen. Genting habe rund 200 Millionen Euro in die Standorte investiert und signalisiert, dass an den Plänen nichts geändert werde, sagt der zuständige Gewerkschafts­sekretär Daniel Friedrich: „Es gibt keine negativen Überlegungen“, sagt er und schränkt sogleich ein: „Soweit wir wissen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.