Krise in Armenien: Angst vor einem Militärputsch

Erstmals fodern auch führende Vertreter der Armee den Rücktritt von Premier Paschinjan. Der kündigt ein härteres Vorgehen gegen die Opposition an.

Nikol Pashinyan gestikuliert beim Sprechen mit erhobenem Zeigefinger

Nikol Pashinyan spricht zu seinen Anhängern während einer Versammlung am 25.Februar 2021 Foto: Stepan Poghosyan/Photolure/reuters

BERLIN taz | In der Südkaukasusrepublik Armenien wächst der Druck auf die Machthaber. Am Freitag bauten Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude im Zentrum der Hauptstadt Jerewan Zelte auf und forderten erneut den Rücktritt der Regierung. Sollte die Regierung dem nicht nachkommen, schloss der Oppositionspolitiker Wazgen Manukjan, der bis zu Neuwahlen eine Übergangsregierung führen will, auch die Anwendung von Gewalt nicht mehr aus. „Wir müssen jederzeit bereit sein, die Macht durch eine blitzschnelle Rebellion zu übernehmen,“ sagte er.

Demgegenüber warf Ministerpräsident Nikol Paschinjan den Streitkräften einen Putschversuch vor, nachdem am Donnerstag auch über 40 Generäle und andere Führungskräfte des Generalstabs den Premier in einer gemeinsamen Erklärung öffentlich dazu aufgefordert hatten, seinen Posten zu räumen.

„Die Armee darf sich nicht an politischen Prozessen beteiligen und muss dem Volk und seinen gewählten Vertretern gehorchen“, sagte Paschinjan am Donnerstag bei einem Auftritt auf dem Platz der Republik und gab die Entlassung des Generalstabschefs und eines seiner Stellvertreter bekannt. Und er fügte hinzu: „Ich habe euch die Schulterklappen eines Generals gegeben, aber das habt ihr mir nicht gedankt.“

Begleitet von einem starken Polizeiaufgebot hatten sich am Donnerstag Nachmittag Tausende, überwiegend Männer, versammelt, um Paschinjan zu hören. Sie skandierten „Nikol, Premierminister“- eine Replik auf die Rufe „Nikol, Verräter“, die mittlerweile zu einem Markenzeichen der Opposition geworden sind.

Härtere Gangart

2018 waren auf dem Republik-Platz Zehntausende zusammen gekommen und hatten Paschinjan im Zuge der „Samtene Revolution“ zur Macht verholfen. Seit dem jüngsten Krieges gegen Aserbaidschan um die Region Bergkarabach, der für Jerewan im November 2020 mit dem Verlust der Kontrolle über sieben Gebiete und einen Teil von Bergkarabach endete, ist Paschinjan zum „Verräter“ mutiert.

Die samtenen Zeiten seien vorbei, sagte der Regierungschef am Donnerstag und deutete damit an, dass er ab jetzt eine härtere Gangart gegenüber seinen Gegnern einschlagen wolle. Einen Rücktritt, wie von der Opposition bereits seit Wochen gefordert, oder Neuwahlen lehnt Paschinjan bislang ab.

Dass das Militär ausgerechnet jetzt öffentlich Kritik an der Regierung äußert, ist kein Zufall. „Das größte Versage dieser Regierung ist die militärische Niederlage, deren Hauptgrund die „napoleonischen“ Neigungen des Premierministers sind“, schreibt Aram Abrahamjan, Chefredakteur der unabhängigen armenischen Tageszeitung Aravot. Trotz der Warnungen von Militärexperten habe Paschinjan falsche Entscheidungen getroffen, die jetzt ins Chaos führten.

Die Armeeoffiziere sind empört über die Behauptung der Regierung, dass der Grund für die Niederlage ein Verrat des Militärs gewesen sei. Auch Paschinjan selbst hat diesen Vorwurf mehrmals erhoben. Inwieweit das den Tatsachen entspricht, ist unklar. Jedoch gebe Paschinjan den Offizieren die Schuld an der Niederlage, um sich selbst zu rechtfertigen, schreibt Abrahamjan.

Russland verspottet

Auch andere hohe Militärs haben sich den Unmut Paschinjans zugezogen. So hatte Paschinjan den Vize-Stabschef der Streitkräfte, Tigran Khatschatrjan, dieser Tage entlassen. Dieser hatte sich über Äußerungen Paschinjans lustig gemacht, die im jüngsten Konflikt um Bergkarabach von Russland gelieferten Iskander-Raketen hätten versagt.

Weil sich Teile des Militärs auf ihre Seite geschlagen haben, glaubt die Opposition jetzt, auch bei der Bevölkerung punkten zu können.Zu einer weiteren Verschärfung der Krise könnte es bereits am kommenden Montag kommen. Am 1. März 2008 und damit wenige Wochen nach der gefälschten Präsidentenwahl war es in Jerewan zu Straßenschlachten gekommen, bei den zehn Menschen getötet wurden. Paschinjan führte damals die Demonstration gegen die Regierung an und scheiterte. Die damalige Regierung ist heute in der Opposition und könnte auf Rache sinnen.

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