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Krise in FrankreichMarktnonkonforme Demokratie

Kommentar von Stephan Kaufmann

Frankreich hat Schulden – und braucht Geld, vor allem für die Aufrüstung. Ein Sparpaket gegen den Willen der Bevölkerung ist aber nicht durchzusetzen.

Die französische Bevölkerung lehnt das Sparprogramm ab Foto: Jean-Francois Badias/AP/dpa

I n Frankreich stürzt die Regierung von François Bayrou über die Vertrauensfrage – und damit über ihr Sparprogramm. Die politische Krise lässt die Zinsen für französische Staatskredite steigen, womit die Finanzmärkte die Regierungen Europas – mehr als ein Jahrzehnt nach der Eurokrise – daran erinnern, was sie unter „marktkonformer Demokratie“ verstehen. Das Sparprogramm Bayrous soll Frankreich „vor dem Untergang“ (Präsident Emmanuel Macron) bewahren. Das ökonomische Problem: Ein eher schwaches Wirtschaftswachstum und eine Abfolge von Krisen – große Finanzkrise, Coronapandemie, Inflationskrise – haben die Staatsschulden Frankreichs in den vergangenen Jahren in die Höhe getrieben.

Hinzu kommt, dass Frankreich in großem Stil aufrüsten will und dafür weitere Kredite aufnehmen muss. Dies nehmen die An­le­ge­r:in­nen an den Finanzmärkten als Gelegenheit, von Paris höhere Zinsen zu verlangen. Dadurch steht Frankreich zwar nicht „vor dem Untergang“ in Form einer Staatspleite. Dennoch fehlt der Regierung jeder Euro, den sie für Zinsen zahlen muss.

Mit dem Sparpaket soll den Märkten Solidität signalisiert werden, damit die Zinsen nicht weitersteigen. Daraus folgen Frankreichs politische Probleme: Erstens lehnt die Bevölkerung das Sparprogramm ab. Zweitens verfügt die Regierung über keine Mehrheit, mit der sie die Kürzungen durchdrücken könnte. Drittens nutzt die Opposition die Situation als Gelegenheit, an Macht zu gewinnen: Bayrou fällt. Das treibt die Zinsen weiter in die Höhe. Grund dafür ist aus Sicht von Öko­no­m:in­nen und An­le­ge­r:in­nen die Kombination aus einer Opposition, die sich ihrer Verantwortung verweigert, und einer Bevölkerung, die keine Einsicht zeigt in die Notwendigkeiten eines Landes, das über große Ambitionen, aber begrenzten Kredit verfügt.

Bild: privat
Stephan Kaufmann

ist Wirtschaftsjournalist und schreibt für verschiedene Printmedien wie „nd.DieWoche“, „Frankfurter Rundschau“, „Surplus“ sowie für den Deutschlandfunk. Zu den Themen Staatsschulden, Finanzmärkte und Eurokrise hat er verschiedene Bücher und Broschüren verfasst.

An dieser Lage dürften auch Neuwahlen nichts ändern – das politische Lager ist so zerstritten, dass keine Mehrheit absehbar ist, mit der das Sparprogramm durchgesetzt werden könnte. Eine Kooperation von Konservativen mit den Rechten scheitert daran, dass sich beide einander als Endgegner ausgemacht haben und bei Zugeständnissen um das eigene politische Überleben fürchten. Aus der Sicht der Kreditgeber, der Investor:innen, ist Frankreichs Demokratie damit dysfunktional geworden. Idealerweise resultiert eine demokratische Wahl in einer eindeutigen Machtverteilung, aber auch in der eindeutigen Ermächtigung einer Regierungsmannschaft.

Die kann ihre Macht dann nutzen zur Durchsetzung unpopulärer Maßnahmen, wobei „unpopulär“ für Öko­no­m:in­nen synonym für „vernünftig“ ist. Diese Maßnahmen sind gleichzeitig legitimiert durch das Wahlergebnis, da sich die Regierung stets darauf berufen kann, im Auftrag der Bevölkerung zu handeln – schließlich ist sie gewählt worden, massiver Protest gegen sie daher letztlich illegitim.

Sparsam und sozial befriedet – eine solche marktkonforme Demokratie würde den Finanzmärkten gefallen

Sparsam und sozial befriedet – eine solche „marktkonforme Demokratie“ würde den Finanzmärkten gefallen. Schließlich „muss Politik heute mehr denn je mit Blick auf die Finanzmärkte formuliert werden“, sagte im Jahr 2000 Deutsche-Bank-Chef Rolf E. Breuer, der den Anlegern mehr zutraute als den Leuten. „Offene Finanzmärkte erinnern die Politiker etwas häufiger und bisweilen etwas deutlicher an diese Zielsetzungen, als die Wähler dies vermögen.“ Wege zu finden, „die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist“ – dieses Problem formulierte die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Eurokrise 2011.

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Angesichts hoher Schulden und steigender Zinsen wurden damals Kreditprogramme für strauchelnde Euroländer aufgelegt, die mit harten Sparauflagen verbunden waren. Für die Bundesregierung ging es dabei darum, in den Schuldnerländern den Widerstand gegen die Sparauflagen zu brechen und in den Gläubigerländern den Widerstand gegen die Kreditprogramme. Dies gelang. So musste Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi zurücktreten, nachdem er seine Parlamentsmehrheit verloren hatte. Abgelöst wurde er von einer nicht gewählten „Technokratenregierung“ unter Mario Monti, deren Vorzug darin bestand, vom Willen der Ita­lie­ne­r:in­nen unabhängig zu sein.

Ähnlich in Griechenland: Dort wollte 2011 Regierungschef Giorgos Papandreou eine Volksbefragung zu den Sparmaßnahmen abhalten. Die Gläubigerländer aber drohten mit Kreditentzug, Papandreou trat ab, an seine Stelle kam eine nicht gewählte „Expertenregierung“ unter dem Ökonomen Lukas Papadimos. Der schrieb Neuwahlen aus – zuvor aber mussten sich die großen griechischen Parteien schriftlich dazu verpflichten, im Falle des Wahlsieges die Spar­auf­lagen umzusetzen. Und im Herbst 2011 kam es in Irland zum Skandal, als eine Erhöhung der Mehrwertsteuer erst dem deutschen Bundestag vorgelegt wurde, bevor das irische Parlament darüber abstimmen durfte.

Auf diese Weise nutzte damals die Bundesregierung ihre Kreditmacht, um die Euro-Schuldnerländer zur Marktkonformität anzuhalten. Das würde heute nicht so ohne Weiteres funktionieren. Denn erstens handelt es sich bei Frankreich nicht um ein kleines Land der Euro-Peripherie, sondern um einen Kernstaat der EU. Zweitens steht Frankreich noch nicht vor einer existenziellen Finanzkrise, sondern benötigt lediglich Mittel zur Aufrüstung – gegen die auch die Bundesregierung angesichts der „geopolitischen Verantwortung“ Europas nichts einzuwenden hat.

Und drittens gäbe es einen Weg, auf dem diese geopolitische Verantwortung mit Frankreichs Kreditbedarf auch ohne Sparprogramme zu versöhnen wäre: Eurobonds, also gemeinsame europäische Schuldscheine. Gesamteuropäische Rüstungskredite, dafür wird in Frankreich kräftig geworben. Noch sperrt sich die Bundesregierung. Vielleicht aber treibt sie auch nur den Preis für ihre Zustimmung in die Höhe. Denn deutsche Kredit- und französische Militärmacht inklusive Atomwaffen – auf dieser Basis ließe sich der Motor der europäischen Integration schon antreiben.

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