Kristina Schröder und der Linksextremismus: John Lennon? Nazis? Nicht zuständig!

Die SPD hatte Kristina Schröder gefragt, ob "Ton Steine Scherben" und John Lennon linksextremistisch seien. Nun antwortet ihr Ministerium und traut sich keine Einschätzung zu.

"Stellt euch vor, alle Menschen Leben in Frieden": War John Lennon Linksextremist? Bild: reuters

BERLIN taz | Songtitel der Rockgruppe "Ton Steine Scherben" vermitteln "nicht voraussetzungslos linksextremistisches Gedankengut" und sind in "ihrer Interpretation grundsätzlich bedeutungsoffen und in der Rezeption kontextabhängig". So steht es in einer Antwort des Familienministeriums auf eine Kleine Anfrage des SPD-Bundestagsabgeordneten Rolf Schwanitz. Allerdings würden Titel der "Scherben" oft auf Transparenten und in Graffitis von der "linksextremistischen Szene" zitiert.

Schwanitz’ Frage, wie die Bundesregierung vor diesem Hintergrund John Lennons "Power to the People" und Herbert Grönemeyers "Kinder an die Macht" bewertet, bleibt indes leider unbeantwortet. Denn für den Inhalt der Broschüre "Demokratie stärken – Linksextremismus verhindern", darunter auch die Zuordnung einiger Titel der "Scherben", sei nicht die Bundesregierung verantwortlich, sondern allein die Herausgeberin, die Münchner Zeitbild-Stiftung.

Eine interessante Argumentation, wenn man bedenkt, dass das Familienministerium diese Broschüre mit rund 120.000 Euro gefördert hat, Ministerin Kristina Schröder das Vorwort ge- oder wenigstens unterschrieben hat und sie dieses Heft für den Schulunterricht empfiehlt.

"Nicht zuständig" lautet denn auch die Antwort auf die meisten Fragen der SPD-Fraktion: Ob die Bundesregierung es für zulässig hält, dass in dieser Broschüre als vermeintliches Beispiel für die tendenziöse Berichterstattung linksradikaler Medien zwei Artikel aus den Tageszeitungen Junge Welt und Berliner Morgenpost über Auseinandersetzungen am Ersten Mai in Berlin gegenübergestellt werden, dabei aber unterschlagen wird, dass auch die Morgenpost ausführlich über den Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray berichtet hatte? Nicht zuständig.

Ob die Bundesregierung das in der Broschüre formulierte Extremismuskriterium teilt, die Sozialdemokratie sei "nicht als extremistisch einzustufen, da ihre politischen Ideen zur Emanzipation von benachteiligten Menschen auch das Ziel anderer Gruppen in demokratischen Gesellschaften ist"? Nicht zuständig.

Eine "ideologische Kampfschrift"

Ob es die Bundesregierung vertretbar findet, dass Studienergebnisse des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen über Gewalt gegen Polizisten verfälschend zitiert werden? Wie sie die Unterteilung in "antidemokratische und demokratische Antifaschisten" findet? Wie sie die wissenschaftliche Betreuung durch den Chemnitzer Politikprofessor Eckhard Jesse bewertet? Nicht zuständig.

Kein Wunder, dass Rolf Schwanitz von einer "Bewertungsverweigerung" spricht, die jedoch bei einer durch die Bundesregierung finanziell geförderten und von ihr empfohlenen Publikation nicht akzeptabel sei. Dass die meisten seiner 28 Fragen nur ausweichend oder gar nicht beantwortet werden, sieht Schwanitz als "Eingeständnis, dass es sich bei der Publikation nicht um ein fachwissenschaftlich fundiertes Magazin, sondern eher um eine ideologische und parteipolitische Kampfschrift handelt".

Für diese "unseriöse", mitunter "absurde" und als Unterrichtsmaterial "im höchsten Maße ungeeignete" Broschüre seien Steuergelder verschleudert worden. Insgesamt erwecke die Bundesregierung den Eindruck, dass ihr diese Publikation "geradezu peinlich" sei, freilich ohne dass sie sich davon distanzieren würde.

Immerhin eines räumt das Familienministerium ein: Dass nämlich die in dieser Broschüre getroffene Aussage, ein "beträchtlicher Teil" der Brandanschläge auf Autos, die in den vergangenen Jahren in Berlin verübt wurden, gehe auf "linksextremistische Gewalt" zurück, auf der polizeilichen Eingangsstatistik beruhe.

Die aber ist eine reine Verdachtsstatistik, bei der schon eine polizeiliche Vermutung für die Zuordnung einer Straftat ausreicht: "Insofern finden die Prinzipien der Unschuldsvermutung sowie die Tatsache, dass ein Ermittlungserfolg noch nicht vorliegt, grundsätzlich keine Berücksichtigung bei der Erfassung in einer polizeilichen Statistik", heißt es in der Antwort. In der Broschüre der Zeitbild-Stifung fehlt ein solcher Hinweis. Aber selbst von dieser unredlichen Darstellung mag man sich im Familienministerium nicht distanzieren.

Rechtsextremismus: Nicht zuständig

Zuvor hatte das Ministerium auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Jan Korte (Linkspartei) erklärt, dass die Tageszeitung Neues Deutschland und die Wochenzeitung Jungle World "gelegentlich Beiträge mit linksextremistischen Bezügen" aufweise bzw. "regelmäßig unter anderem Fragestellungen des linksextremistischen antideutschen Spektrums" aufgreife. Ansonsten aber sei die Bundesregierung für die in der Broschüre getroffenen Einschätzungen, na klar, nicht zuständig.

Weniger zuständig sieht man sich offenbar auch für Bekämpfung des Rechtsextremismus: "Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass im Blick auf die braune Terrorzelle aus Zwickau die Auseinandersetzung mit dem Linksextremismus an den Schulen vordringlich ist?", wollte Rolf Schwanitz wissen. Schröders Ministerium ließ diese Frage unbeantwortet.

Eine vom Familienministerium geförderte und mit einem Vorwort von Frau Schröder für den Unterricht empfohlene Publikation zum Thema Rechtsextremismus existiert übrigens nicht. Eingedenk der Qualität dieser Broschüre muss man vielleicht sagen: Ist besser so.

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