Kritik an Baerbocks Iran-Politik: „Es braucht klare Parteinahme“

Die iranischen Revolutionsgarden gehören auf die EU-Terrorliste, sagt CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Außenministerin Baerbock agiere zu zaghaft.

Eine Frau im Ganzkörperschleier steht als schwarze Gestalt im Schnee

Solidarität mit den Menschen im Iran: Eine Frau steht Mitte Januar in einem Park in Teheran Foto: Morteza Nikoubazi/ Nur/imago

taz: Herr Röttgen, sind Sie ein feministischer Außenpolitiker?

Norbert Röttgen: Ich halte es nicht für richtig, ein außenpolitisches Ziel zu verabsolutieren. Das führt zu unlösbaren Widersprüchen. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich mich für die Inhalte einsetze, die man mit feministischer Außenpolitik verbindet, dann bejahe ich das.

Was wäre feministische Außenpolitik in Bezug auf Iran?

Norbert Röttgen

57, war von 2014 bis 2021 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und sitzt seit 1994 für die CDU im Bundestag. Von 2009 bis 2012 war er Bundesumweltminister.

Mit feministischer Außenpolitik wird ja der Einsatz gegen systematische Unterdrückung von an den Rand gedrängten Gruppen einer Gesellschaft verbunden. Im Iran lehnt sich zum ersten Mal seit 1979 wieder das ganze Volk gegen ein brutales Machtregime auf. Angeführt wird die Bewegung von Frauen. Wenn es einen evidenten Anwendungsfall für deutsche oder europäische feministische Außenpolitik gibt, dann ist es jetzt der Iran.

Das heißt konkret?

In der aktuellen Situation der Revolution gibt es nur A oder B. Sind wir für die Freiheit oder für den Fortbestand eines Terrorregimes? Ich meine, es braucht unsererseits eine klare Parteinahme für das sich auflehnende Volk gegen die brutalen Unterdrücker.

Sie sprechen von einer Revolution, nicht nur von Protesten. Warum?

Freiheit Der Iran hat eine seit November inhaftierte Spanierin freigelassen. Wie der spanische Außenminister José Manuel Albares am Sonntag mitteilte, wurde die Frau am Vortag aus der Haft entlassen. Die iranischen Behörden hatten sich nie offiziell zur Festnahme geäußert. Sie erfolgte während der landesweiten Proteste gegen die Führung in Teheran. Die iranische Justiz hält eine ganze Reihe Bürger:innen mit westlichen Pässen fest, von denen die meisten eine doppelte Staatsbürgerschaft haben. Für Empörung sorgte zuletzt das von der iranischen Justiz verhängte Todesurteil gegen den deutsch-iranischen Exil-Oppositionellen Jamshid Sharmahd.

Menschenrechte Der UN-Menschenrechtsrat kommt ab Montag in Genf zusammen. Erwartet wird auch eine Rede von Außenministerin Annalena Baerbock zur Lage im Iran. (afp, taz)

Was wir sehen, ist eine Bewegung des Volkes. Die Proteste sind im ganzen Land, in Dörfern, Städten, überall. Die Basaris (Händler, d. Red.), die Arbeiter, die Studenten sind mit dabei. Und das Ziel ist der Sturz der Regierung. Wenn eine Regierung erst mal den Hass des Volkes so entschieden gegen sich hat, weil sie alle – vor allem die Jungen – um ihre Lebensperspektive und Freiheit beraubt, dann wird es schwer für sie.

In Ihrer Solidarität mit der Protestbewegung sind Sie sich also mit der grünen Außenministerin im Grunde einig?

Ich sage mal so: Ich verstehe nicht, warum Frau Baerbock nicht mit mir einig ist. Warum sie die feministische Politik, die sie propagiert, ausgerechnet in einem so eindeutigen Fall nicht anwendet, geht mir über die Hutschnur. Warum braucht die deutsche Außenministerin, wenn im Iran eine junge Frau, Jina Mahsa Amini, brutal vom Regime ermordet wird, Tage, bevor ihr überhaupt etwas dazu einfällt?

Baerbock hat sich unter anderem im UN-Menschenrechtsrat erfolgreich für eine unabhängige Untersuchung der iranischen Verbrechen eingesetzt. Sie spricht sich dafür aus, die iranischen Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen. Das ist doch genau Ihre Forderung!

Ich habe Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Worte, weil ich nicht erkennen kann, dass sie für die Terrorlistung kämpft. Bei Frau Baerbock und ihren Beamten im Auswärtigen Amt ist immer alles rechtlich schwierig und dann nicht möglich. Dabei ist die Rechtslage eindeutig: Eine Terrorlistung der Revolutionsgarden wäre möglich, Beweismaterial gibt es genug.

Welche Konsequenzen hätte das jenseits der Symbolik?

Die Terrorlistung wäre der klare Bruch mit dem Regime, denn die Revolutionsgarden sind das Regime. Eine stärkere Sanktionseinstufung als die Terrorlistung gibt es nicht. Zurzeit reisen die reichen Profiteure des Systems noch durch Europa, lassen sich medizinisch behandeln, schicken ihre Kinder auf Elite-Unis. Für die würde es dann deutlich unangenehmer werden.

Grünen-Chef Omid Nouripour sagte im taz-Interview kürzlich, manche Abgeordnete würden ihre Leidenschaft für Menschenrechte erst in der Opposition entdecken. Kann es sein, dass er Sie damit meinte?

Nein, das glaube ich nicht. Eine solche Unverschämtheit möchte ich dem geschätzten Kollegen Nouripour nicht unterstellen. Das wäre ja, wie wenn ich ihm und den Grünen vorwürfe, Menschenrechte über Bord zu werfen, sobald man selbst in der Regierung ist.

Ihr harter Kurs gegen den Iran ist aber neu. Heute lehnen Sie Gespräche über eine Wiederbelebung des Atomabkommens von 2015 ab, das offiziell Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA) heißt. Früher haben Sie es befürwortet.

Ja, ich war immer für das JCPoA. Es war aus meiner Sicht die am wenigsten schlechte Lösung, um zu verhindern, dass der Iran die Atomwaffe bekommt. Darum habe ich es auch für einen schweren Fehler gehalten, als Trump das Abkommen 2018 aufkündigte. Die Iraner haben sich noch eine Weile nach der Kündigung an das Abkommen gehalten.

Also hat sich Ihre Position verändert?

Die Realität hat sich verändert und damit auch meine Position. Meine Analyse ist jetzt, dass das Regime am ­JCPoA kein Interesse mehr hat. Seit Jahren treibt es unter Ausschaltung der internationalen Kontrollen die Urananreicherung immer weiter voran. Mittlerweile hat Iran technologisch die Fähigkeit, waffenfähiges Uran anzureichern. Die Iraner haben auch eine Rakete. Was sie wohl noch nicht haben, ist ein Sprengkopf.

Ein Regimesturz steht möglicherweise nicht unmittelbar bevor. Wenn auch ein Atomabkommen keine Option mehr ist, was sind dann die Perspektiven einer Iranpolitik?

Eine Perspektive ist ein anderes System im Iran, das international kooperativ eingestellt ist.

Ist ein Regimesturz Aufgabe deutscher Außenpolitik?

Ein regime change ist Sache des iranischen Volks, und das wissen die Iraner auch. Was wir tun können und sollten, ist, die Menschen zu unterstützen, indem wir solidarisch sind und das Regime in seinen Möglichkeiten einschränken. Mit dem Todesurteil für Jamshid Sharmahd ist eine Neuausrichtung der deutschen Iranpolitik noch einmal dringender geworden. Wenn es jetzt keine harten Konsequenzen gibt, wird diese Methode – ausländische Staatsbürger zu entführen und als Druckmittel einzusetzen – Schule machen.

Heißt das, alle Gesprächskanäle zu schließen?

Es ist unehrlich, Solidarität zu bekunden und für die Terrorlistung der Revolutionsgarden einzutreten, aber die Gesprächskanäle offen halten zu wollen. Wenn ausländische Regierungen jetzt öffentlich mit Teheran sprechen, verleihen sie dem Regime Legitimation. Der Hohe Beauftragte der EU, Josep Borell, hat sich mit Irans Außenminister medial wahrnehmbar getroffen, und zwar in Absprache mit den EU-Außenministern. Jeder muss wissen, dass so etwas von Teheran für die eigene Propaganda ausgeschlachtet wird.

Neben dem Iran ist auch Russland eine Herausforderung für die deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Sehen Sie da Parallelen?

Russland führt Krieg gegen ein Nachbarland, das Regime in Teheran gegen die eigene Bevölkerung. Putin und die Mullahs sind in ihrer Isolation verbunden und unterstützen sich gegenseitig. Was das Mullah-Regime schwächt, hilft daher auch der Ukraine. Hier haben wir uns zuletzt so sehr auf die Waffenfrage fokussiert, dass wir – die Bundesregierung, aber auch die Opposition – auf die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland zu wenig Wert gelegt haben. Allein der Umstand, dass jetzt um den Jahrestag des Kriegsbeginns über zusätzliche Sanktionen gesprochen worden ist, belegt, dass es noch Raum gibt. Ich hätte nicht den Jahrestag abgewartet, sondern die Spielräume so zügig wie möglich genutzt. Auch bei der Umsetzungskontrolle besteht Grund für Kritik.

Würden Sie im Nachhinein sagen, dass die Bundesrepublik in den ­letzten Jahrzehnten außenpolitisch gegenüber Russland, aber auch gegenüber Iran zu viele Fehler gemacht hat?

Ich weiß, Sie wollen jetzt die CDU an den Wickel bekommen.

Genau.

Nehmen wir die letzten zehn Jahre, da ist die CDU, neben der SPD, ja immer noch voll mit dabei. Da muss man sagen, dass deutsche Russland- und Energieaußenpolitik, zumindest nach 2014, also seit der Annexion der Krim durch Russland, der wohl größte Irrtum der deutschen Außenpolitik in der Nachkriegsgeschichte war.

Das müssen Sie ausführen.

Mit den Maidan-Protesten und dem anschließenden Assoziationsabkommen zwischen der EU und der Ukraine hatte sich die Ukraine entschlossen, europäisch und damit erfolgreich zu werden. Das hat Putin und sein Machtsystem unter Druck gesetzt. Darauf hat er aggressiv reagiert, sich zum Outlaw gemacht und geschworen, die politische Ordnung Europas als Ergebnis des Kalten Krieges zu revidieren. Diese aggressive und revisionistische Entwicklung der russischen Außenpolitik nicht anerkannt zu haben, sondern im Gegenteil nach einigen harmlosen Sanktionen wieder an das business as usual angeknüpft zu haben, mit Nord Stream 2 und dem Verkauf des größten Gasspeichers an Russland, das war ein wirklich katastrophaler Fehler.

Wie erklären Sie sich das?

Es gab Strukturen, die dazu geführt haben. Und zwar, erstens: das parteipolitische Interesse der SPD. Man wollte sich als Partei der Entspannungspolitik beschreiben. Zweitens: der enorme Druck der deutschen Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie. Drittens: auch unsere Arroganz ­gegenüber den Mittel- und Osteuropäern und den Balten, die wir nicht voll ernst genommen haben. Viertens: eine CDU, die diesen Konflikt mit SPD und Wirtschaft nicht austragen wollte. Und fünftens: eine überwiegend unkritische, bequeme Öffentlichkeit – unter Einschluss des politischen Journalismus.

Würden Sie ein so hartes Urteil auch für die zurückliegende deutsche Iranpolitik formulieren? Viele Re­gime­geg­ne­r*in­nen kritisieren seit Jahren, dass der Kurs zu verständnisvoll sei. Hätte man das nicht, wie bei Russland, auch beim Iran viel früher erkennen ­müssen?

Hier liegen die Dinge anders. Es ging an erster Stelle darum, zu verhindern, dass der Iran eine Atomwaffe erhält. Dass im Format der E3, bestehend aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien, plus USA, China und Russland verhandelt wurde, war schon für sich ein Erfolg. Das galt erst recht für das abgeschlossene JCPoA im Jahr 2015. Danach sind die Fehler passiert. Teheran hat in großem Stil Terrorismus in der Region finanziert, was man dem Regime im Wesentlichen hat durchgehen lassen. Die Position hätte sein müssen, dass das JCPoA gilt, aber kein Freifahrtschein für Terrorismus ist. Dann hat Trump das JCPoA gekündigt. Nun haben wir Terror – und kein Atomabkommen.

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