Kritik an Bioökonomie-Strategie: Fahrradschläuche aus Löwenzahn

Die Umstellung auf nachwachsende Rohstoffe kommt nicht gut voran. Umweltschützer fordern einen grundlegenden Kurswechsel.

Zuckerrohr-Ernte in Ägypten

Zuckerrohrernte in Ägypten: Zucker ist ein wichtiger Rohstoff für die Produktion von chemischen Substanzen mittels Biofermenter Foto: dpa

BERLIN taz | Seit Jahren verharrt die Bioökonomie in der deutschen Öffentlichkeit im „Was-es-nicht-alles-gibt-Modus“: Fahrradschläuche aus Löwenzahn, Pullis aus Milch, Dübel aus Rizinusöl, Zahnpasta mit Bakterien oder Waschmittel mit Enzymen – alles Produkte auf biologischer Grundlage, alles Beispiele für die Bioökonomie. Auch auf dem großen „Bioeconomy Summit“ des Bioökonmierates in Berlin vergangene Woche sind solche Produkte wieder präsentiert worden.

Die Produktschau klingt interessant, mitunter etwas putzig, keinesfalls aber nach einem epochalen Wandel. Doch genau den beschreibt der Begriff der Bioökonomie.

Fassbarer wird er, wenn er nicht über Produkte beschrieben wird, die es schon gibt, sondern darüber, was es in einer solchen Wirtschaft eben nicht mehr oder kaum noch geben wird: fossile Rohstoffe – kein Öl, keine Kohle, kein Erdgas. Dieses „Energiesparbuch“ der Erde wird nicht mehr angetastet, die Bioökonomie lebt von den laufenden Einnahmen des Planeten, von dem, was Pflanzen, Tiere, Enzyme, Bakterien hergeben.

Ist die allgemeine Definition noch konsensfähig, gehen die Vorstellungen, was genau sich hinter dem Konzept Bioökonomie verbirgt, weltweit deutlich auseinander. Von Biospritstrategien über biotechnologischen Hightechanwendungen in der Medizin bis zu ganzheitlichen Ansätzen zur Nutzung nachwachsender Rohstoffe ist alles dabei.

Mit 700 Teilnehmern aus 82 Ländern war der Kongress des Bioökonomierates vom 24. bis 26. November in Berlin das größte Event der Branche bisher.

Das Abschlusskommuniqué benennt fünf Prioritäten, um eine biobasierte Wirtschaft zu fördern, unter anderem:

Ernährungssicherheit und den Schutz der Ökosysteme

die wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenarbeit fördern

die Ausbildung vorantreiben.

Um einen Überblick darüber zu bekommen, in welche bestehenden, relevanten Diskurse sich die Community der Bioökonomie einschalten kann – und welche Schwerpunkte für Forschung und Entwicklung künftig sinnvoll wären, hat der Bioökonomierat, ein einflussreiches Beratungsgremium der Bundesregierung aus Wissenschaftlern und Wirtschaftsvertretern, eine Umfrage unter 300 Experten in 49 Ländern durchgeführt. Die Resonanz sei überwältigend gewesen, die Antworten ausgesprochen spannend, sagt Ulrich Hamm, Leiter des Fachgebiets Agrar- und Lebensmittelmarketing der Universität Kassel, der die Studie zusammen mit dem Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung aus Karlsruhe durchgeführt hat.

Künstliche Photosynthese

Aus den Antworten der befragten Wissenschaftler, Unternehmer, Politiker, Umweltaktivisten und Verbraucherschützer haben sich sieben Schwerpunktthemen kristallisiert, in denen die Bioökonomie zu Problemlösungen beitragen könnte, darunter „Biobasierte Städte“, „neue Ernährungssysteme“, „Bioraffinerien“ oder „Nachhaltige Konsumentenmärkte“. Einige der Themen, etwa die „Künstliche Photosynthese“, würden von den Experten zwar als relevant betrachtet, doch würden sie zugleich als mittelfristig technisch nicht umsetzbar eingeschätzt. Zukunftsmusik, also.

Bei anderen „Flagship-Projects“ wird es konkreter: Auf die Frage, wie zum Beispiel die weiter wachsenden Megacities lebenswert gemacht oder gehalten werden können, bietet die Bioökonomie laut der Umfrage schon kurzfristig Antworten. Etwa könnten mineralische Baustoffe wie Sand oder Zement durch nachwachsende wie Holz ersetzt werden; Trinkwasser, dass durch Abwasserkanäle rauscht, könnte schon in der Toilette nach festen und flüssigen Bestandteilen getrennt und beispielsweise enthaltenes Phosphor zurückgewonnen werden.

Das Programm „Nachhaltige Marine Produktion“ beinhaltet etwa Algenzuchten, aus denen Chemikalien und Lebensmittel gewonnen werden können – und die gleichzeitig als Küstenschutz dienen. Die sieben Projekte will der Bioökonomierat in die Debatte über die nächsten Forschungs- und Förderschwerpunkte einbringen, die ansteht. Denn die „Bioökonomiestrategie 2030“, auf deren Grundlage die Bundesregierung Fördermittel in Höhe von 2,4 Milliarden Euro verteilt hat, läuft Ende nächsten Jahres aus.

Neue Strategie

Aller Voraussicht nach wird 2017 die nächste Bundesregierung gewählt, die über die neue Strategie entscheidet – und davon überzeugt werden muss, dass die „Bioökonomie“ auch weiterhin solch großzügige Zuwendung verdient. Da passt es gut, dass sich die Community anbietet, Lösungen für die großen Ressourcen- und Nachhaltigkeitsprobleme anzubieten. Doch gerade Umwelt- und Entwicklungsorganisationen stehen dem Konzept ausgesprochen kritisch gegenüber.

Nach dem Bioökonomiekongress in Berlin forderte ein europäisches Bündnis von kleinbäuerlichen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen aus dem Bereich Entwicklung, Umwelt und Menschenrechte einen „grundlegenden Kurswechsel der offiziellen Bioökonomie-Strategien, die von der EU und einigen ihrer Mitgliedsländer vorangetrieben werden“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Ulrich Hamm, Bioökonomierat

„Die Bioökonomie kann nicht bedeuten, dass Produktion und Konsum so weiterlaufen wie in der heutigen, fossilen Zeit“

Die in Berlin präsentierten Strategien böten die „falschen Lösungen“ für die globale Klima-, Energie- und Ernährungskrise“, und würden, ganz im Gegenteil, die Ressourcen- und Umweltkonflikte im globalen Süden eher verschärfen. Schon einmal, in den 2000ern, hätten Politik und Industrie Agrartreibstoffe vorangetrieben, kritisiert Roman Herre von der Entwicklungshilfeorganisation FIAN Deutschland, „der erwartete große Nutzen für die Umwelt blieb jedoch aus und versprochene wirtschaftlichen Chancen für Kleinbauern und -bäuerinnen entwickelten sich zu einem Desaster namens globaler Landraub“.

Zivilgesellschaft beteiligen

Diese Kritik sei doch längst „ein alter Hut“, sagt Ratsmitglied Ulrich Hamm dazu. Längst setze man nicht mehr nur ausschließlich auf Hightech, sondern denke einen nachhaltigen Konsum immer mit, nicht umsonst sei ein Flagship-Project auch die Entwicklung eines anderen, bewussteren Konsumverhaltens. „Die Bioökonomie kann nicht bedeuten, dass Produktion und Konsum so weiterlaufen wie in der heutigen, fossilen Zeit“, so Hamm, „nur auf einer anderen Rohstoffgrundlage“. Nicht nur das hätten die Experten erkannt, sondern auch, dass eine Öffnung zur Zivilgesellschaft nötig sei. „Wir haben zahlreiche Diskussionsrunden und Workshops mit NGOs aus dem Umwelt-, Verbraucher- und Entwicklungsbereich durchgeführt“, sagt der Agrarwissenschaftler, der vor allem in Sachen Biolandbau forscht.

Stimmt zwar, sagt Steffi Ober von der Zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende, die sich für eine transdisziplinäre, der Nachhaltigkeit verpflichteten und zivilgesellschaftlich eingebundenen Forschung einsetzt. Allerdings sei der Rat selbst noch immer nicht vielfältig genug besetzt, das zuständige Wissenschaftsministerium habe schließlich nur Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft berufen.

Allerdings: Nicht nur die Forschungspolitik hat einen blinden Fleck in Richtung Zivilgesellschaft, auch diese selbst sei bei dem Thema nicht engagiert genug, sagt Ober. „Die Resonanz auf das Thema ist gering, und der niedrige Ölpreis gibt ihm nicht gerade Schwung.“ Solange billiges Öl sprudelt, bleibt es wohl in der öffentlichen Wahrnehmung erst mal bei lustigen Berichten über Fahrradschläuche aus Löwenzahn und Dübeln aus Disteln.

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