Kritik an der Deutschen Welle: Macht und Missbrauch

Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Deutschen Welle haben sich an die taz gewandt. Sie sagen, das Arbeitsklima sei von Drohungen und Machtmissbrauch geprägt.

Die Fahne der Deutschen Welle

Rauhes Klima bei der Deutschen Welle Foto: imago

BERLIN taz | Wenn in es in einem Unternehmen zu Vorwürfen sexueller Gewalt kommt, dann gibt es immer zwei Geschichten. Zum einen die des konkreten Falls: der mutmaßliche Täter, das mutmaßliche Opfer, die Ermittlungen. Und zum anderen die Geschichte der Unternehmenskultur. Die beginnt schon lange vor dem Ereignis und dauert darüber hinaus. Das Betriebsklima ist entscheidend, wenn es darum geht, ob Betroffene sich melden – und ob Täter mit Konsequenzen rechnen müssen.

In den vergangenen Monaten sind Mitarbeitende der Deutschen Welle (DW) auf die taz zugekommen, weil sie, wie sie sagen, seit Jahren unter dem Betriebsklima im Auslandssender leiden. Auch ein Artikel im britischen Guardian hat sich diese Woche mit internen Beschwerden über die Deutsche Welle auseinandergesetzt. Das Arbeitsklima beim Sender wird darin als vergiftet beschrieben, eine anonyme Mit­ar­bei­te­r*in wird mit den Worten zitiert „Die DW ist ein Sumpf.“ Es ist die Rede von Rassismus, Mobbing und systematischer Unterdrückung von Kritik. Das ist besonders brisant, weil es bei der DW einen noch nicht geklärten #MeToo-Fall gibt.

Die Vorwürfe wiegen so schwer, dass über 80 Mitarbeitende aus verschiedenen DW-Redaktionen (diese Zahl nennt jedenfalls der Sender) am Mittwoch eine Gegendarstellung als offenen Brief an den Guardian verfasst haben. Zwar seien die beschriebenen Vorgänge inakzeptabel und müssten aufgeklärt werden. „Aber das Arbeitsumfeld, welches Sie in Ihrem Artikel beschreiben, hat keine Ähnlichkeit mit dem Newsroom, in dem wir heute arbeiten.“ Dieser sei „eine hochprofessionelle, freundliche und positive Arbeitsumgebung“.

Worum geht es also? Die taz hat in den vergangenen vier Monaten mit ehemaligen und gegenwärtigen Mit­ar­bei­te­r*in­nen der DW gesprochen, darunter ein Mitglied des Personalrats. Es geht um mehrere Gemengelagen, die der Text im Guardian zum Teil vermischt. Einige sind längst bearbeitet, andere bleiben offen – und sorgen in der Belegschaft für Frust.

Vorfälle und Beschwerden

Zum einen ist da der #MeToo-Fall, bekannt seit August 2019 durch einen Bericht der Zeit. Ein DW-Moderator soll 2016 in Berlin zwei Mitarbeiterinnen sexuell belästigt und eine weitere auch vergewaltigt haben. Der Beschuldigte, der alles bestreitet, hat den Sender im August 2018 verlassen, die Ermittlungen laufen noch.

„Wir wussten alle, dass er zu Übergriffen neigt“, sagt ein Redaktions­mitglied. „Aber er hatte Macht, weil er ein Star war“

Bis heute warten die Mitarbeitenden auf eine Klärung der Vorfälle. Sein Weggang wurde gegenüber der Belegschaft mit „Erschöpfung“ begründet, was Kol­le­g*in­nen irritierte. „Wir wussten alle, dass er zu Übergriffen neigt“, sagt ein Redaktionsmitglied. „Aber er hatte Macht, weil er ein Star war und weil er ein gutes Verhältnis zum Redaktionsleiter und zum Intendanten hatte.“

Zweitens ist da der Fall eines Teamleiters in der Sportredaktion, der durch rassistische und antisemitische Aussagen und durch Mobbing aufgefallen war. Dieser Fall wird im Guar­dian hervorgehoben, obwohl man ihn als abgeschlossen betrachten könnte. Denn aus Gesprächen mit Mit­ar­bei­te­r*in­nen wird klar, dass der Mann seit Anfang 2018 nicht mehr beim Sender arbeitet. Aus einer internen Beschwerdemail von November 2017 an die damalige Chefredakteurin Ines Pohl wird aber auch klar, dass der Fall zuvor ein Jahr lang verschleppt und Hinweise nicht mit der nötigen Entschlossenheit verfolgt wurden.

Die dritte Gemengelage hat mit einem Beschwerdeschreiben einer Gruppe von Mitarbeitenden zu tun und mit der Art, wie die Senderleitung darauf reagierte. Der Brief wird im Oktober 2018 von 16 Mitgliedern der Sprachredaktion Arabisch am Standort Berlin verfasst. „Wir, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der arabischen Redaktion und von der Produktion, sind zutiefst besorgt“, beginnt das Schreiben. Anlass ist damals, dass in der Redaktion ein Mann einer Kollegin gedroht hat, „ihr den Finger zu brechen“. (Der Mann hat in der Zwischenzeit „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ erfahren, teilt die DW auf Anfrage mit).

Die Ver­fas­se­r*in­nen des Briefs allerdings wollen „darauf aufmerksam machen, dass der Vorfall keineswegs isoliert zu betrachten ist“. Man habe „leider den Eindruck, dass die Führungskultur in der arabischen Redaktion zu einem Großteil auf Demütigungen, Einschüchterungen und Manipulation“ basiere. Der Brief kritisiert aber auch die Leitung des Senders. „Viele von uns haben in den vergangenen Jahren Rat und Hilfe innerhalb der Deutschen Welle gesucht. Uns wurde signalisiert, dass diese Missstände bereits bekannt seien. Eine konkrete Aussicht auf Verbesserung wurde uns aber nicht in Aussicht gestellt.“

Die Welle weltweit

Die arabische Redaktion ist eine von 30 Sprachredaktionen des Auslandssenders Deutsche Welle, der, anders als andere öffentlich-rechtliche Sender, nicht aus Rundfunkbeiträgen, sondern aus Steuermitteln finanziert wird. Von ihren Standorten in Bonn und Berlin und mit etwa 3.000 Mit­ar­bei­te­r*in­nen sendet die DW täglich Nachrichten- und Magazinsendungen in die ganze Welt.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ihr gesetzlicher Auftrag ist, das „Verständnis der Kulturen“ zu fördern, daher produzieren die Sprachredaktionen je ein komplettes fremdsprachiges Programm. So auch die arabische, die, wie Mitarbeitende berichten, von jeher von Konflikten geprägt ist. Politische Spaltungen der Zielländer spiegeln sich auch in der Redaktion wider, heißt es. Es ist auch die Redaktion, in der der Moderator tätig war, der wegen Vergewaltigungsvorwürfen gehen musste.

Der Beschwerdebrief entsteht in einer Zeit, in der die DW-Leitung verspricht, stärker gegen Machtmissbrauch im Haus vorzugehen. Ausgelöst durch die Belästigungsvorwürfe beim WDR – und vermutlich auch, um das unentschlossene Verhalten gegenüber dem Sportredakteur wiedergutzumachen – startet DW-Intendant Peter Limbourg im Mai 2018 zusammen mit der Verwaltungsdirektorin Barbara Massing eine Null-Toleranz-Kampagne gegen Machtmissbrauch. Limbourg und Massing besuchen die Redaktionen, ermutigen Mitarbeitende, sich zu äußern, wenn sie betroffen sind. Die #MeToo-Vorwürfe gegen den Moderator kommen in dieser Zeit ans Licht.

Die Mit­ar­bei­te­r*in­nen der arabischen Redaktion, mit denen die taz gesprochen hat, sagen, sie hätten sich dadurch bestärkt gefühlt, ihre Beschwerde über ihre Redaktionsleitung zu verfassen. Allerdings berichten sie, der Brief habe nicht etwa zu Verbesserungen, sondern zum Gegenteil geführt. Sie geben an, nach der Kritik von ihrer Redaktionsleitung benachteiligt worden zu sein oder weiter benachteiligt zu werden. Sie wollen aus Furcht um berufliche Konsequenzen nicht namentlich genannt werden. Es handelt sich um „feste Freie“ mit eingeschränktem Kündigungsschutz. Die Benachteiligungen, die sie beklagen, umfassen Schichtkürzungen und die plötzliche Zuteilung von Aufgaben, die nicht der Qualifikation entsprechen, sowie einen Entzug von Verantwortung.

Einem Mitarbeiter und Sprecher der Freien wurde Anfang 2019 gekündigt. Er sieht das als Bestrafung dafür, dass er den Brief mit initiiert hat. „Kritik wird sehr persönlich genommen“, sagt er der taz und spricht von einer „Kultur der Rechenschaftslosigkeit“ bei der DW. Er zieht auch einen Zusammenhang zwischen schlechter Führungskultur und #MeToo. „Die Fälle von sexueller Gewalt, die ich kenne, sind untrennbar mit Machtmissbrauch verbunden.“

„Nachweisbar benachteiligt“

Ein Mitglied des Personalrats bestätigt die Vorwürfe der Ara­bi­sch-­Re­dak­teu­r*in­nen. In mindestens vier Fällen seien die Un­ter­zeich­ne­r*in­nen des Briefs anschließend nachweisbar benachteiligt worden, etwa durch Schichtkürzungen. Das sei ein gängiges Druckmittel gegen Freie beim Sender. Die machen nach offiziellen DW-Angaben übrigens die Hälfte der Belegschaft aus. Der Anteil in den Sprachredaktionen liege bei bis zu 80 Prozent, sagt das Personalratsmitglied der taz. Und: „Immer wieder bemerke ich, dass ein Konflikt mit Vorgesetzten mit einer Schichtreduktion einhergeht.“ Die Programmdirektion, Verwaltungsdirektion und Intendanz übten relativ wenig Kontrolle auf die Redaktionsleitungen aus.

Der Sender selbst zeigt sich auf Anfrage entrüstet über die Kritik in den Medien und bezeichnet die Vorwürfe aus der arabischen Redaktion als falsch. Von „Einschüchterungen“ könne „nach den der DW vorliegenden Informationen nicht die Rede sein“. Das Beschwerdeschreiben sei in der Redaktion bekannt gewesen, es habe unterschiedliche Auffassungen gegeben, über die sich die Beteiligten ausgetauscht hätten.

„Intendant und Verwaltungsdirektorin haben in rund 40 Gesprächsrunden mit allen Abteilungen ihre Null-Toleranz-Haltung deutlich gemacht und dazu aufgerufen, sich frei von Ängsten und Vorbehalten bei den dafür vorgesehenen Stellen zu melden“, heißt es. Einige wenige Fälle seien daraufhin bekannt und „unverzüglich geprüft“ worden. Es gebe ein „funktionierendes Konfliktmanagement“ und einen „klaren Beschwerdeweg“. Der Intendant habe außerdem eine Richtlinie zum Umgang mit sexueller Belästigung in der DW erlassen, die die Zustimmung der Personalräte gefunden habe. „Kritik und berechtigte Beschwerden haben und werden in der DW nicht zu Nachteilen führen.“ Zu Einzelpersonalien nehme man grundsätzlich keine Stellung.

Seit März 2019 hat es mehrere Workshops zur Konfliktbearbeitung in der arabischen Redaktion gegeben. Die Un­ter­zeich­ne­r*in­nen der Beschwerde haben daran nicht teilgenommen. „Die Welle kann nicht jemanden feuern und dann einen Workshop über die Verbesserung der Kommunikation halten“, sagt ein Redaktionsmitglied.

Cornelia Berger, der Leiterin des Bereichs Medien bei der Gewerkschaft Verdi, ist der Fall bei der DW bekannt. Die Mitarbeitenden hätten ihre Beschwerden „anschaulich und nachvollziehbar dargelegt“, sagt sie der taz. Berger kritisiert, dass interne Kritik nicht anonym vorgebracht werden dürfe, und fordert eine unabhängige Untersuchung, vergleichbar mit der beim WDR: „Die Anschuldigungen, die im Raum stehen, bedürfen eines intensiven kritischen Blicks von außen.“ Vielleicht wäre dies tatsächlich der beste Weg für den Sender, um die „positive Arbeitsumgebung“ zu veranschaulichen.

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