Kuba-Kunst in Braunschweig: Stereotype Motivwelten

Zeitgenössische kubanische Kunst ist für Europäer schwierig zu dechiffrieren. Dieses Problem stellt sich derzeit bei der Ausstellung von Wilfredo Prieto.

Surrealismus mit minimalistischen Tendenzen: Beide Richtungen verarbeitet der kubanische Künstler Wilfredo Prieto in seinen Objekten. Bild: Stefan Stark

BRAUNSCHWEIG taz | Unverkennbar sind zum einen Anleihen an den Surrealismus einer frühen europäischen Moderne. Zum anderen auch minimalistische Tendenzen, die sich aus US-amerikanischen Vorbildern der 1960er-Jahre speisen, die eines Donald Judd etwa. Beide Richtungen verarbeitet Prieto in seinen Objekten. Da steht etwa, mitten im Raum, eine große, leere Ganzglasvitrine ohne jeglichen Sockel auf dem Parkett – ihr Titel: Heroe.

Aber wer oder was wird hier glorifiziert? Man muss dann noch einen speziellen Humor Prietos mit ins Kalkül ziehen, um zu verstehen: In einer Art Super-Minimalismus wird hier diese Kunstgattung bis ans Ende sinnlicher Erfahrbarkeit getrieben. Materialität wird zu Transparenz, Farbigkeit einzig noch aus einer stofflichen Eigenart gewonnen, visuelle Präsenz auf ihren reflektierenden Widerschein reduziert. Im Anwesenden wird somit das Abwesende kommentiert, was natürlich auch umgekehrt funktioniert. Und immer sind Titel und Objekt als gedankliche Schöpfungseinheit zu lesen, selbst wenn, wie im radikalsten Fall, das eigentliche Objekt nicht mehr auftritt. So in Prietos Raum europäisch romantischer Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Lediglich kleine Etiketten mit Bildtiteln hängen an den Wänden, anstelle der Exponate dieser kunstgeschichtlichen Spielart. Aber jeder wird wohl in etwa ähnliche Bilder assoziieren, sind Waldinneres bei Mondschein oder die Polderlandschaft mit Kühen doch Stereotype universeller Motivwelten.

Wilfredo Prieto wurde 1978 auf Kuba geboren, hat an der Akademie für bildende Künste in Havanna studiert, wo er bis heute lebt. Nun hat das sozialistische Land erst Anfang 2013 seine prohibitive Ausreisepolitik gelockert, die Kubaner waren bis dahin seit fast einem halben Jahrhundert Gefangene ihrer Insel. Gut möglich, dass auch die Kulturproduktion nach wie vor einer ideologischen Konformitätskontrolle unterliegt – und etwa versteckte Formen subversiven Impetus entwickeln muss. So erklärt sich vielleicht ein ganz spezifisch ironischer Humor, den beispielsweise auch das kubanische Künstlerduo Los Carpinteros in seinen Installationen aus amerikanischen Barbecues pflegt.

Opportun also, wenn sich dieser so umfänglich an Phänomenen US-imperialistischer Realweltlichkeit abarbeiten kann, wie etwa in dem Objekt absurder Kombinatorik Prietos: eine Mango und ein Blackberry-Handheld, verbunden mittels Gummiband. Wer darin keine Metapher global dominierter (Agrar-)Märkte durchschimmern sieht, sondern nur die zufällige Begegnung von Nähmaschine und Regenschirm auf dem Seziertisch eines Lautréamont, übersieht in diesem Fall das Offensichtliche, ganz Unverhohlene.

Auf einmal erhält auch die leere Glasvitrine einen anderen Interpretationsspielraum: War nicht auch schon der amerikanische Minimalismus eine böse Ausbeutung – kunstfreudiger Erwartung nämlich, der er nicht weiteres bot als das, was man ohnehin sah? Sicherlich eine Fragestellung, aber gereicht Systemkritik zu autonomer Kunst? Hier schweigen kuratorischer Subtext, Katalogbeiträge und auch der Künstler.

In der Remise des Braunschweiger Kunstvereins hebt der Berliner Florian Auer derweil zur globalen Medienkritik an. Der 1984 Geborene fertigt aus dem schwarz-weißen Adidas-Fußball, der 1970 zur Optimierung schwarz-weißer Fernsehbilder der Weltmeisterschaft erfunden wurde, zusammen mit plastischen Fußballertrikots eine sportive Gesamtinstallation. Nur haben die Bälle ihre visuelle Vorherrschaft eingebüßt: Sie sind parkettfarben wie der Boden.

Wilfredo Prieto „The View of the Garden of Helene Hollandt“ sowie Florian Auer (mit Seth Pick) „You’re live“: bis 15. Februar, Kunstverein Braunschweig
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