Künstlerin über Feminismus und Politik: „Grundsätzlich das Absurde sehen“

Das Münchner Haus der Kunst zeigt eine Werkschau der 86-jährigen Joan Jonas. Ein Gespräch über ihre Anfangszeit in New York.

Eine ältere Dame vor der Lichtprojektion eines jungen Tigers

Joan Jonas während ihrer Performance „They Come to Us Withoug a Word II“ 2015 in Venedig Foto: Moira Ricci, VG Bild-Kunst, Bonn 2022

taz: Joan Jonas, Sie sind gerade 86 Jahre alt geworden und machen seit 60 Jahren Performances. Als Sie damit begannen, waren Sie eine der Ersten, die mit verschiedenen Medien und Aufführungspraktiken experimentierten. Wie erinnern Sie sich an die Anfangszeit?

Joan Jonas: Ich habe in den 1950er Jahren Kunst studiert und zuerst als Bildhauerin gearbeitet. Als ich Anfang der 1960er Jahre nach New York kam, suchte ich nach neuen Ausdrucksformen, einer eigenen Sprache. Wir lebten in SoHo, wo in dieser Zeit sehr viele kreative Persönlichkeiten zusammenkamen. Künstler*innen, Tänzer*innen, Komponist*innen, Filmschaffende. Wir waren befreundet und haben miteinander gearbeitet. Auch Richard Serra hat damals Performances gemacht, mit der Musik von Philip Glass. Steve Reich war dabei und die Minimalisten. Es gab da noch keinen Namen für das, was wir taten, wir probierten uns aus.

Sie lebten vier Jahre mit Richard Serra zusammen, auch er hat sich mit Materialbeschaffenheit, Form, Klang und Bewegung beschäftigt. Gab es Konkurrenzgedanken?

Es fiel mir am Anfang schwer, mich gleichberechtigt als Künstlerin zu sehen, dieses Selbstbewusstsein hatte ich nicht. Ich war sehr schüchtern. Es war ein Prozess, meine Rollenbilder zu hinterfragen.

Sehen Sie sich als Feministin?

Ja, unbedingt. Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, hört ja nicht auf. Bis heute arbeite ich viel mit Frauen, mit Tänzerinnen, Schauspielerinnen und zuerst auch mit einer Kamerafrau, bis ich meine eigene Kamera gekauft habe und so die Freiheit hatte, zu experimentieren.

Sie sprechen von der Sony Portapak, die 1965 auf den Markt kam und auch von Video-Künstlern wie Nam June Paik verwendet wurde.

Ja, diese neue Technik hat es mir ermöglicht, unabhängig zu sein. Ich bin durch New York gelaufen und habe gefilmt. Verlassene, leere Orte, die ich „Holes“ nannte. Diese Verlassenheit, so haben sich viele Künst­le­r*in­nen gefühlt, die damals nach SoHo kamen. Das hatte auch mit der politischen Stimmung zu tun, dem Vietnamkrieg, Nixon im Weißen Haus und dem Kampf der Bürgerrechtsbewegung.

1936 geboren, gilt als Mitbegründerin und bedeutende Wegbereiterin der Multimedia- und Performance-Kunst. Die mehrfache documenta-Teilnehmerin, die 2015 den US-Pavillon auf der Venedig Biennale bespielte, lebt in New York und Kanada.

War diese Politik für Sie präsent?

Sehr präsent, aber nicht in meiner Arbeit. Wenn ich auf diese Zeit zurückblicke, waren viele von uns nach innen gerichtet. Ich war keine politische Aktivistin, aber ich hatte ein Bewusstsein und eine Haltung dazu. Auch heute noch.

2020 waren Sie in einem mitgebrachten Stuhl zu sehen, wie Sie stundenlang in der Schlange vor dem Wahllokal warteten, um gegen Trump zu stimmen.

Trump ist ein Faschist und narzisstischer Dummkopf. Aber in meiner Arbeit spielt er keine Rolle.

Wie haben Sie die achtziger Jahre erlebt, als sich plötzlich niemand mehr für Performance und Videokunst interessierte?

Es war sehr schwer für mich, dass meine Arbeit plötzlich fallen gelassen wurde, als wäre sie wertlos. Aber ich habe weitergearbeitet, und in den letzten 20 Jahren war es wirklich wundervoll, auf einmal diese Anerkennung zu bekommen.

Im äußeren Säulengang des Hauses der Kunst ist Ihre Videoarbeit „Wolf Lights“ von 2004 als Loop zu sehen, die im April 2022 einen Monat lang, immer kurz vor Mitternacht, auf den Anzeigetafeln am New Yorker Times Square gezeigt wurde und in der die Darstellerin vor der Kulisse von Las Vegas eine Wolfsmaske trägt. Die Arbeit ist auch ein Verweis auf Dürers Kupferstich „Melencolia I“ von 1514.

Die Arbeit bezieht sich auf die Wüstenwölfe, die dort lebten, wo heute die Glitzerwelt von Las Vegas steht. Es interessiert mich grundsätzlich, das Absurde zu sehen und mit Verweisen zu Kunst und Literatur Geschichten neu zu erzählen.

Eine Installation mit vielen bunt beleuchteten großen Leinwänden

Ausstellungsansicht der Joan Jonas-Werkschau im Münchener Haus der Kunst Foto: Maximilian Geuter, VG Bild Kunst, Bonn 2022

Sie verwenden auch Musik und Klangcollagen. In „Wolf Lights“ ist es eine Komposition des Jazzpianisten Jason Moran, mit dem Sie seitdem zusammenarbeiten. Auch für Ihre Performance „Reanimation“ (2010–2012) über das Schmelzen der Gletscher, die jetzt als Video- und Klanginstallation das Herzstück der Ausstellung im Haus der Kunst bildet. Wie sind Sie sich begegnet?

Musik war schon immer ein Teil meiner Arbeit und ich verwende verschiedene Formen von Musik und Klängen. Der Künstler Adam Pendleton ist ein guter Freund von mir und machte mich mit der Musik von Jason bekannt. Für ein Projekt mit dem Dia Beacon Museum suchte ich einen neuen musikalischen Zugang und Jason sagte sofort zu.

Wo sehen Sie sich selbst im Vergleich zu anderen Performance-Künst­le­rin­nen wie Ana Mendieta oder Valie Export, um nur einige zu nennen, deren Arbeiten auch physisch sehr viel provokanter sind, während Ihre Performances eher lyrisch sind?

Ich bewundere deren Arbeiten sehr, aber ich glaube nicht, dass wir uns überschneiden. Ich wollte immer meine eigene Sprache entwickeln. Der größte Unterschied ist meine Distanz zum Publikum und dass ich nicht als ich selbst agiere. Ich habe das Gefühl, ich muss mich verwandeln, eine andere Person sein. Obwohl meine Arbeit persönlich ist und mit meinem eigenen Körper und meinem eigenen Empfinden zu tun hat.

Sie überarbeiten viele Ihrer früheren Arbeiten, wie auch die „Mirror Pieces“ von 1969, die jetzt wieder als Performance zu sehen sind.

Ja, aber irgendwann muss man aufhören und in der Gegenwart bleiben. Ich gehe nicht oft zurück, aber gelegentlich. Es interessiert mich, weil sich die Bedeutung der Arbeit ändert, wenn man sie in einen anderen Kontext stellt.

Sie verwenden manchmal gewalttätige Märchen und Erzählungen, wie in Ihrer Installation „Juniper Tree“, die Sie ursprünglich für Kinder entwickelten. Kinder sind auch Teil Ihrer Arbeit „They Come to Us Without a Word“, zu sehen war sie 2015 im US-Pavillon der Venedig-Biennale.

Joan Jonas: Haus der Kunst, München. Bis 26. Februar. Katalog 29,90 Euro

Märchen zeigen, dass man Brutalität besiegen kann, Märchen stärken Kinder. In Venedig sollte ich die USA repräsentieren, doch wie geht das überhaupt? Die USA sind ein sehr vielschichtiges, zerrissenes und auch gewalttätiges Land und ich wollte über meine unmittelbaren Bezugspunkte hinausgehen. Auch hier habe ich mit Jason Moran gearbeitet. Es sind die Kinder, die mit dieser Welt weiterleben müssen.

Trotzdem wirken Sie optimistisch.

Nun, man muss überleben. Ich habe eine positive Einstellung zum Leben und zu anderen Menschen und tue noch immer das, woran ich glaube. Die Kunst hilft mir dabei.

Wie ist es, als Performance-Künstlerin zu altern?

Ich versuche, humorvoll zu sein und keine pathetische alte Dame. Natürlich denke ich oft darüber nach, wie lange ich noch weitermachen kann. Aber arbeiten und auftreten, das kann ich noch.

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