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Künstlerin über Terror-Mahnmal in Kassel„Die Farben feiern das Leben“

Ein Kunstwerk erinnert jetzt an die Opfer rechten Terrors, Halit Yozgat und Walter Lübcke. Ein Gespräch mit Künstlerin Natascha Sadr Haghighian.

Die Lichtskulptur „86° WALTER HALİT“ von Natascha Sadr Haghighian auf dem Dach des Kasseler Regierungspräsidiums Foto: RP Kassel/Christian Schauderna
Sophie Jung

Interview von

Sophie Jung

taz: Frau Sadr Haghighian, was war Ihr erster Gedanke, als Sie angefragt wurden, ein Kunstwerk in Gedenken an den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zu entwickeln?

Natascha Sadr Haghighian: Als Erstes fiel mir positiv auf, dass das Kunstprojekt auf eine Initiative von Mitarbeitenden des Regierungspräsidiums zurückgeht. Mein Impuls war aber: ‚Wo ist Halit Yozgat?‘ Schon Jahre davor hatte ich mit anderen das ‚Tribunal NSU Komplex auflösen‘ initiiert. Wir hatten auch Forensic Architecture mit einer Untersuchung über den Mord an Halit Yozgat beauftragt und über die Anwesenheit des Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme in dem Internetcafé, in dem Yozgat erschossen wurde. Ich konnte nicht an Walter Lübcke denken, ohne auch an Halit Yozgat zu denken.

taz: Sind Sie auf Widerstände gestoßen, das Kunstwerk auch dem NSU-Opfer Halit Yozgat zu widmen?

Sadr Haghighian: Es gab wohl Leute, die das unangemessen fanden. Aber gerade, weil die beiden Personen sich in vieler Hinsicht unterscheiden und doch beide in Kassel von Nazis ermordet wurden, fand ich es wichtig, sie zusammen zu denken und zusammen zu erinnern. Das Regierungspräsidium hat aber sehr offen auf meinen Entwurf reagiert und sich die Geste auch zu eigen gemacht. Das fand ich gut.

taz: Die Lichtskulptur auf dem Dach des Kasseler Regierungspräsidiums wurde durch Spenden finanziert. Warum nicht von öffentlichen Geldern?

Sadr Haghighian: Die Art der Finanzierung zeigt, dass das Kunstwerk auf eine Initiative von unten zurückgeht. Es gab ein gemeinschaftliches Interesse an seiner Umsetzung. Die umfassende Webseite des Projekts ist hingegen aus öffentlichen Mitteln finanziert. Beim Öffnen der Seite findet sich nun ein Disclaimer, dass die dargestellten Inhalte der künstlerischen Freiheit entsprechen und nicht den Ansichten des Landes Hessen oder der Stadt Kassel.

Ich fand das eine sehr begrüßenswerte Distanzierung. Sie stellt das Verhältnis zwischen Künstlerin und Staat ziemlich akkurat dar. Für das Regierungspräsidium war es auch alleine deshalb notwendig, da Andreas Temme ja weiterhin dort arbeitet. Er wurde vom Landesamt für Verfassungsschutz dorthin versetzt, schon unter Lübcke.

Der Regierungspräsident hat demnach eine Fürsorgepflicht für seine Angestellten und dies steht im Widerspruch zu den Pflichten und Motivationen des Kunstwerks. Temmes Anwesenheit im Internetcafé wird auf der Website ausführlich besprochen. Und das muss auch so sein.

taz: Wie lässt sich das Ansinnen, über rechtsterroristische Mordtaten aufzuklären, in ein ästhetisches Objekt überführen?

Sadr Haghighian: Ich hatte vor der Anfrage schon zehn Jahre antirassistische Arbeit gemacht, mich mit den Kämpfen der Migration beschäftigt, bin mit vielen Menschen im engsten Austausch gewesen. Das war eigentlich die Grundlage für alle ästhetischen Entscheidungen.

taz: Warum haben Sie entschieden, nur die Namen „WALTER“ und „HALİT“ auf Ihrer Lichtskulptur stehen zu haben?

Sadr Haghighian: Eine Hauptforderung der Familie Yozgat war, die Holländische Straße in Kassel, wo Halit Yozgat wohnte und ermordet wurde, in Halit-Straße umzubenennen. Ismail Yozgat hat immer gesagt: ‚Ich möchte die Halit-Straße oder ich möchte meinen Sohn zurück.‘ Das hat sich für mich verbunden mit der Tradition von ‚Say Their Names‘.

Was passiert, wenn die beiden Vornamen zusammenstehen? Die ganzen Unterschiede dieser beiden Menschen werden gelevelt und nur die Namen gesagt. Dann habe ich auf einem Stadtplan von Kassel die Wohnorte von Walter Lübcke und Halit Yozgat verbunden. Lässt man beide im Regierungspräsidium zusammenlaufen, entsteht dieser eigenartige Winkel von 86 Grad. Das scheint zunächst wie ein technisches Verhältnis, aber es ist auch ein räumliches.

Im Interview: Natascha Sadr Haghighian

Natascha Sadr Haghighian, geboren 1967, ist Künstlerin, die sich in ihren meist installativen Arbeiten mit Themen der Kollektivität und Migration beschäftigt. Sie vertrat 2019 Deutschland auf der Kunstbiennale von Venedig. Mit ihrem Entwurf „86° WALTER HALİT“ gewann sie einen Wettbewerb für ein Kunstwerk in Gedenken an Walter Lübcke. Anfang September wurde es in Kassel eingeweiht. Begleitend wurde eine Website mit einem Vermittlungsteil über die rechtsterroristischen Morde an Walter Lübcke und Halit Yozgat veröffentlicht: 86grad.net

taz: Farbe, Schriftzug und Winkel Ihrer Lichtskulptur irritieren die strenge Architektur des Regierungsgebäudes, warum?

Sadr Haghighian: Es ist ein 50er-Jahre-Bau, der in seiner Zurückhaltung Neutralität ausdrücken will. Aber Neutralität geht jetzt nicht mehr. Da ist ein Schnitt passiert und dieser Schnitt muss sichtbar, das Gebäude neu ausgerichtet werden. Der 86-Grad-Winkel ist fast ein Gebäudewinkel, aber nicht ganz. Die Namen setzte ich wie ein zusätzliches Stockwerk aufs Dach. Das orientiert sich in den Maßen am Bau und lässt die Namen da hinschauen, wo diese beiden Menschen gewohnt haben und auch ermordet wurden: nach Wolfhagen-Istha und in die Holländische Straße.

Ein anderer Bruch mit der Neutralität des Baus geschieht durch die Farben. Weißes Licht gilt als neutral. Wird es gebrochen, entstehen Spektralfarben. Aus dem Farbkreis habe ich einen 86-Grad-Winkel rausgenommen. Es entsteht ein Farbverlauf, zum Beispiel von Orange bis Magenta.

taz: Sind die Farben nicht gefällig, wie bei einer Werbetafel?

Sadr Haghighian: Das Feature der Sichtbarkeit von weit her war wichtig. Aber es ging mir nicht um Gefälligkeit. Es sind emotionale Farben, die man erst mal nicht mit Trauer verbindet. Sie feiern das Leben und zeigen Präsenz. Das Objekt leuchtet von allen Seiten, auch tagsüber. Es wird auch von Google Maps aus sichtbar sein und darin eine Art Kompassnadel erzeugen. Wir wollten zeigen: Was die Nazis versuchen auszulöschen, lässt sich nicht wegkriegen.

Zur Eröffnung kamen erstmals die Familien von Halit Yozgat und Walter Lübcke zusammen. Rechts im Bild die Künstlerin Foto: Jürgen Linke

taz: Bei Kunst im öffentlichen Raum können schnell Vorwürfe aufkommen, Lichtverschmutzung zum Beispiel. Das kann politischen Gegnern gute Argumente liefern.

Sadr Haghighian: Das Kunstwerk kam mit einem sehr erfahrenen Team zustande, das teilweise pro bono gearbeitet hat. Wir haben uns genau erkundigt und bemüht, es umweltverträglich umzusetzen. Das ausgewählte Farbspektrum beeinträchtigt laut Umweltamt auch nachts Tiere nicht. Es wird aber sicher Leute geben, die das Kunstwerk trotzdem angreifen wollen. Auch ein Grund, warum das Objekt auf dem Dach steht.

taz: Wohin zeigen die Namen auf der Lichtskulptur symbolisch, zu den Tatorten oder zum Zuhause der Ermordeten?

Sadr Haghighian: Zum Zuhause, das angegriffen wurde. Der Ort, an dem man am verletzlichsten, am wehrlosesten ist. Das ist auch das Niederträchtige an den Taten. Halit Yozgat war in Kassel zu Hause. Genauso wie Walter Lübcke. Es ist ganz simpel.

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