Künstlerische Freiheit im Iran: "Wir fallen immer weiter zurück"

Die iranischen Filmemacher Jafar Panahi und Mohammad Rassulof wurden zu harten Strafen verurteilt. Ein Gespräch mit ihrem Kollegen Rafi Pitts, der heute in Paris lebt.

"Bislang ist es noch keiner Diktatur gelungen, KünstlerInnen davon abzuhalten, sich auszudrücken": der iranische Filmemacher Rafi Pitts. Bild: reuters

taz: Herr Pitts, haben Sie damit gerechnet, dass die Strafen gegen Ihre Kollegen Jafar Panahi und Mohammad Rassulof so hart ausfallen werden?

Rafi Pitts: Ich habe mit einer Verurteilung gerechnet, aber nicht mit sechs Jahren Haft und zwanzig Jahren Berufsverbot. Aber es ist schwer zu sagen, was im Iran noch alles passieren wird. Alles ist inzwischen möglich. Noch nie in der Geschichte des Kinos wurden Filmemacher verurteilt, ohne dass sie einen Film gedreht haben, sondern nur weil sie vorhatten, einen Film zu drehen.

Die Anwälte können bis Ende Januar Widerspruch gegen das Urteil einlegen. Wie schätzen Sie deren Aussichten ein?

RAFI PITTS wurde 1967 in Mashad geboren und wurde mit seinen Spielfilmen "It's Winter" (2006) und "Zeit des Zorns" bekannt. Letzterer lief 2010 im Wettbewerb der Berlinale und kritisiert die geringen Bewegungsfreiräume im Iran. Pitts kehrte nach dem Filmfestival nicht mehr nach Teheran zurück. Zum 11. Februar ruft er zu einem zweistündigen internationalen Solidaritätsstreik für die beiden inhaftierten Kollegen Panahi und Rassulof auf.

Deswegen habe ich den offenen Brief an Herrn Ahmadinedschad geschrieben und die internationale Filmindustrie zu einem zweistündigen Streik am 11. Februar, unserem Revolutionstag, aufgerufen. Um Aufmerksamkeit zu erzeugen, um diese Eskalation des Wahnsinns zu stoppen. Vielleicht bringt sie das ja zur Vernunft.

Glauben Sie das wirklich?

Ob mir das nun gefällt oder nicht: In meinem Land haben viele Menschen Ahmadinedschad gewählt. Sie haben keine Mehrheit mehr, die hat 2009 für die Grüne Bewegung votiert. Trotzdem: Wir müssen ja zusammenleben. Also: In meinem Land regiert ein Präsident, der von Revolutionsgarden geschützt wird. Beide berufen sich unentwegt auf die Revolution und auf Freiheit im Namen der Revolution. Wenn das 32 Jahre nach der Revolution für sie bedeutet, dass sie die Freiheit haben, jeden Künstler und jeden Journalisten einzusperren, der Fragen stellt, dann muss ich als Künstler diese Haltung spiegeln.

Mehr als 80 Prozent der heutigen Bevölkerung war zum Zeitpunkt der Revolution noch nicht mal geboren. Die Rede von der Revolution hört sich sehr anachronistisch an.

Richtig. Umso mehr ist es an der Zeit, die Regierung nach ihren Zielen und nach ihrer Legitimation zu befragen - und zwar in ihrer eigenen Sprache. Natürlich würde die Presse in Frankreich mit Sarkozy ein anderes Vokabular wählen als ich in meinem Brief an Ahmadinedschad. In meinem Land aber dreht sich eben noch alles um die Revolution von 1979. Und sie tun einfach so, als gebe es keine neuen Entwicklungen, als hätten die Massenproteste nach den Wahlen nie stattgefunden, als wäre niemand gestorben.

Deshalb reagiert das Regime so empfindlich, wenn diese Realitätskonstruktion kritisiert wird?

Ja. Es kriminalisiert uns als Antirevolutionäre. Deshalb müssen wir fragen: Was genau meint ihr mit "Im Namen der Revolution"? Sie müssen definieren, was Revolution für sie bedeutet, damit wir eine Wahl haben, uns für oder gegen das von ihnen vertretene Gesetz zu entscheiden.

Haben Sie schon eine Reaktion erhalten?

Nein.

Glauben Sie, dass Ahmadinedschad reagieren wird?

Er sollte es tun. Denn 70 Prozent der Iraner heute sind jünger als 30 Jahre. Sie wissen nicht, wofür die Revolution steht. Hossein Mussawi selbst war ein Revolutionär und Anführer der Grünen Bewegung, die legal war und jetzt plötzlich illegal ist.

Keine Definition vorzunehmen, ist doch eine prima Machttechnik. Warum sollte Ahmadinedschad sich selbst schwächen, indem er Leitlinien verkündet, auf die er sich dann verpflichten muss?

Ich weiß nicht, ob er sich damit schwächen würde. Ich weiß nur: Das Einzige, was ich machen kann, ist, ihn mit diesen Fragen zu konfrontieren. Wenn ich, der ich aus bekannten Gründen in Paris sitze, nichts sage, wie kann ich erwarten, dass jemand in Teheran etwas sagt? Insofern ist es das Mindeste, dass ich einen offenen Brief schreibe, den die westliche Presse veröffentlicht und damit die Chance erhöht, dass er zu Ahmadinedschad gelangt. Und es geht ja auch um mehr als nur meine KollegInnen im Iran.

Andere Länder könnten sich an der vorauseilenden Zensur ein Beispiel nehmen?

Natürlich. Wenn die Filmindustrie sich jetzt nicht zu einem solidarischen Zeichen zusammenfindet, dann entscheidet sich in fünf oder zehn Jahren vielleicht die nächste Regierung dazu, Menschen nicht mehr aufgrund von Taten, sondern aufgrund ihrer Absichten zu verurteilen.

Mit welchen Haftbedingungen müssen Panahi und Rassulof rechnen?

Auch das weiß im Moment niemand. Aber sehen Sie sich an, wie müde Panahi nach drei Monaten Untersuchungshaft aussieht, und rechnen Sie sich aus, wie er nach sechs Jahren aussehen wird.

Haben Ihre KollegInnen in Teheran bereits reagiert?

Die stärkste Reaktion kam bislang vom Verband der iranischen FilmemacherInnen. Sie haben alle Filmschaffenden im Westen aufgefordert, nicht am kommenden Fadschr-Filmfestival in Teheran teilzunehmen. Für die Filmemacher im Iran bedeutet das ein großes Opfer, denn dieses Festival ist für sie eine wichtige Plattform, um ihre Filme zu zeigen.

Sie haben dazu aufgerufen, für zwei Stunden die Arbeit niederzulegen - und zwar international.

Daran werden sich die Iraner ebenfalls beteiligen, da bin ich mir sicher. Aber es ist wichtig, dass es eine Solidarität außerhalb von Iran und auch außerhalb der Filmindustrie gibt. Ich weiß, dass ich damit viel verlange. Aber wenn es dazu beiträgt, Panahi und Rassulof zu retten, dann sind zwei Stunden Streik vielleicht doch nicht zu viel. In den zwei Stunden mag sich der ein oder andere vielleicht überlegen, was es bedeutet, zwanzig Jahre nicht arbeiten zu dürfen.

Welche Optionen haben FilmemacherInnen derzeit im Iran? Können sie überhaupt noch arbeiten?

Natürlich. Bislang ist es noch keiner Diktatur gelungen, KünstlerInnen davon abzuhalten, sich auszudrücken. Irgendwie. Im Iran gehen jetzt alle in den Untergrund beziehungsweise sind dort schon.

Für FilmemacherInnen gibt es damit keine Grauzone mehr?

Damit sind wir wieder am Anfang. Es weiß ja niemand mehr, was legal und was illegal ist. Vor den Unruhen 2009 haben wir Filme gemacht, die bei Missfallen entweder zensiert wurden oder im Iran nicht gezeigt werden durften. Jetzt werden Panahi und Rassulof während der Dreharbeiten verurteilt, und man wirft ihnen vor, kein Drehbuch gehabt zu haben. Wenn der Wahnsinn so weit gediehen ist, dann gibt es nur noch den Untergrund.

Panahi wies in seiner Verteidigungsrede vor Gericht darauf hin, dass der Raum, in dem seine Internationalen Preise im Teheraner Filmmuseum ausgestellt werden, größer ist, als es seine Zelle war. Wurden die Trophäen inzwischen entfernt?

Soweit ich weiß, nein. Das Regime schmückt sich noch immer mit seinem Ruhm und zerstört seine Existenz wegen einer Idee zu einem Film.

Viele deuten die Brutalität des Regimes als Zeichen der Schwäche.

Töten ist immer ein Zeichen von Schwäche. Fortschritt gibt es nur, wenn Dinge diskutiert werden dürfen. Eindeutigkeit bedeutet immer Stillstand. Im Iran bleiben wir leider nicht stehen, sondern fallen immer weiter zurück.

Sind die Tage des Regimes damit gezählt?

Rein rechnerisch, ja. Denn es hat sich total von der Jugend des Landes entfernt. Insofern ist der Wandel nicht mehr aufzuhalten. Die Frage ist nur: Geht er blutig vonstatten, und wie lange wird es bis dahin noch dauern? Auch deshalb habe ich "Zeit des Zorns" gedreht. Nimmt man einer Person jede Möglichkeit, sich auszudrücken, wird sie irgendwann explodieren.

Wie sieht es mit den Konflikten innerhalb der Regierung aus? Über Wikileaks wissen wir von einer Ohrfeige, die sich der Präsident von einem Revolutionswächter eingefangen haben soll.

Ich vermute schwer, dass sehr viele da oben mit Ahmadinedschad unzufrieden sind. Mussawi war auch Teil der Regierung. Aber mehr kann ich dazu nicht sagen.

Viele sagen, die Regierung hätte einfach Angst, dass die Bilder von der Gewalt und von den Menschen voller Hoffnung auf einen Wechsel in die Welt kommen.

Wahrscheinlich ist das sogar so. Aber es ist total verrückt, denn die Bilder kennen wir ja alle schon. Manchmal glaube ich wirklich, dass die Regierung nicht mehr weiß, was im Land vorgeht. Denn jeder im Iran weiß, dass wahnsinnig viele Leute auf der Straße waren und einige gestorben sind. Ob auf dem Land oder in der Stadt, jeder. Vielleicht sollte die Regierung mal öfter ins Internet gehen.

Unlängst wurden die Subventionen für Brot und Benzin gestrichen. Diese Aktion könnte die Regierung weiteren Rückhalt in der Bevölkerung kosten. Warum tut sie das?

Wäre ich zynisch, würde ich sagen, weil sie wollen, dass wir auf die Straße gehen und gegen sie protestieren. Noch vor zwei Jahren hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einen Brief an den Präsidenten schreibe. Ich bin keine besonders politische Person, aber ich war auch noch nie so wütend. Denn es ging ja vorwärts, in kleinen Schritten und immer innerhalb der Grenzen der Zensur, sicher, aber es bewegte sich etwas. Dass ich die Erlaubnis bekommen würde, einen Film wie "Zeit des Zorns" zu drehen, wäre noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen. Nach der Revolution von 1979 war das Kino so gut wie tot. Und dann entwickelte sich wieder eine Industrie, Abbas Kirostami hat "Der Geschmack der Kirsche" gedreht, seitdem können wir über Selbstmord sprechen. Revolutionen passieren nicht über Nacht, und Dinge lassen sich auch nicht über Nacht reparieren. Aber es gab eine vorsichtige Öffnung. Und jetzt ist es, als ob ein Zementregen auf uns niederginge und alles zerstört. Was haben wir noch zu verlieren? Was geben sie uns noch, das wir verlieren könnten?

Warum sind im Iran so viele Iraner immer noch optimistisch?

In diesem Land können Pessimisten nicht überleben. Meine Generation ist eine No-Future-Generation. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation, der hohen Arbeitslosigkeit, der Sanktionen, die nur die Bevölkerung treffen, ist es richtig schwierig, auch nur durchzukommen. Keiner weiß, was bis zum Abend passiert. Das schafft eine bestimmte Intensität, eine bestimmte Lebendigkeit und eben auch Optimismus.

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