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Künstlerische Stadtführung durch BerlinEine Flaschenpost, die verbindet

„Beton Berlin“ bringt mit Führungen an ungewöhnlichen Orten Kunst in Ecken Berlins, die sonst kaum bis gar keine Beachtung finden. Nun läuft die Förderung aus.

Hier wird eine Flaschenpost in die Spree versenkt: Teil der Performance „Beton Berlin“ Foto: Christof Zwiener

Es ist Frühherbst am Ufer hinter der East Side Gallery im Zentrum Berlins. Alisa Tretau bindet Schnüre um ein paar Plastikflaschen und wirft sie in die Spree. In ihnen befinden sich Zettel. Nahe der anderen Uferseite ragt der letzte Pfeiler der 1945 gesprengten Brommybrücke wie ein Fixpunkt aus dem Fluss. Auch Tretau blickt dorthin.

„Heute werden wir über sichtbare und unsichtbare Brücken gehen“, erzählt sie. Dann fordert sie das Publikum auf, Teil der Performance zu werden, indem je­de:r eine Flasche aus dem Wasser zieht. Auf den Zetteln befinden sich Aufgaben für den Weg. Dinge wie „beobachte Lücken und Brücken“ oder „kommentiere, was du siehst“.

Abseits davon ist Reden während der Wanderung unerwünscht. Dann zieht die Gruppe beinahe schweigend am Spreeufer entlang: vorbei an krächzenden Krähen und Touristengruppen. Eine Teilnehmerin berührt mit der linken Hand alle möglichen Oberflächen, die sich ihr bieten: Fassaden, Holzplanken, Plakate, den Münzschlitz eines Fotoautomaten. Christof Zwiener summt derweil die Melodie von „Wind of Change“. Er ist selbst Künstler und organisiert seit 2022 die Veranstaltungsreihe „Beton Berlin“, zu der er Tretau für ein Gastspiel eingeladen hat.

Vergessener Fußgängertunnel

„Ich will Menschen an nicht etablierte Orte in der Stadt bringen und damit einen Spannungsbogen zum Kunstwerk schlagen“, erklärt er das Konzept. Das reicht von einem unter Amazon-Paketen versteckten Mähroboter auf der kleinen Grünfläche unter der Warschauer Brücke bis hin zur lärmenden Soundperformance in einem fast vergessenen Fußgängertunnel im Grunewald. Der genaue Ort der etwa einmal monatlich stattfindenden Events wird erst am Tag der Veranstaltung bekannt gegeben. Bis zu 80 Gäste ziehen diese Darbietungen laut eigenen Angaben an.

weitere Informationen zu Beton Berlin

www.beton-berlin.com

Seine Projekte im öffentlichen Raum stattfinden zu lassen, bildet die Grundlage Zwieners kreativer Arbeit. So begann er 2024, den Gertraudenhain anzupflanzen – einen Tiny Forest am Spittelmarkt. Angefangen hat er aber mit etwas ganz anderem: zwei Quadratmetern, die es bis nach Kalifornien geschafft haben.

So klein ist das einstige DDR-Pförtnerhäuschen, das er 2013 vor der Verschrottung bewahrte. Den Glas- und Metallkasten verwandelte er in einen Raum für wechselnde Interventionen. Broiler wurden darin schon gegrillt, genauso wie Konzerte gegeben wurden. Zum 25. Jubiläum des Mauerfalls fragte das „Wende Museum“ bei Los Angeles das Werk als Leihgabe an, wo es bis heute steht.

Mit der Umwelt verknüpfen

Seitdem initiiert Zwiener immer wieder Projekte, die Menschen mit ihrer Umwelt in Kontakt bringen sollen, und schließt sich dabei mit Gleichgesinnten wie Tretau zusammen. Sie kommt aus der Theaterregie und entschied sich bewusst dafür, auch abseits der Bühne künstlerisch zu wirken. „Um an Orte zu gehen, an denen die Klimakrise erlebbar ist“: Wie die Spree und ihr niedriger werdender Wasserstand.

Im Rahmen der Performance nimmt sie sich bewusst zurück und gibt keinen Pfad vor. „Für mich ist das auch eine Übung, um loszulassen. Ich bin eigentlich ein totaler Kontrollfreak“, gibt sie zu. Dass die Gruppe sich dazu entschied, über die Schiller- statt die Oberbaumbrücke die Spree zu kreuzen, sei völlig offen gewesen.

Der Weg danach führt entlang der Kreuzberger Köpenicker Straße, von einer industriellen Backsteinfassade zur nächsten, vorbei an Eventspaces, Logistikzentren und einem Weinladen. Nach knapp einer Stunde erreicht die Gruppe eine Terrasse auf der anderen Uferseite. Und plötzlich sieht man ihn wieder, den Pfeilerfuß der Brommybrücke, wie er unbeirrt im Fluss steht.

Ein Fluss als Lebensader

Nun dürfen die Teilnehmenden ihre Flaschenpost öffnen und die darin versteckten Geschichten vortragen. Sie handeln von den fiktiven Brücken auf den Euroscheinen, der Spree als Lebensader, als natürlicher Grenze und natürlich von Karl Rudolf Brommy, dem namensgebenden Befehlshaber der ersten gesamtdeutschen Marine.

Jeder Textschnipsel wirkt wie ein Denkanstoß, was an diesem Ort verbindet und was entzweit. Tretaus „Brückenschlag“ endet, wie er begann, indem die Gäste ihre Zettel wieder in die Flaschen stecken, diese am Stahlgeländer festschnüren und anschließend zurück in die Spree werfen. Dort bleiben sie, bis jemand Neues sie für sich entdeckt.

2026 wird es erstmals keine Förderung für „Beton Berlin“ geben. Zwiener plant jedoch, das Projekt fortzuführen – interessante Künst­le­r:in­nen und Locations gibt es ohnehin zur Genüge. Zum Schluss verrät er noch, was es mit dem Projektnamen eigentlich auf sich hat.

Denn an ein bestimmtes Baumaterial sind die Auftritte gar nicht gebunden. „Beton ist dauerhaft, aber ich mache eigentlich das genaue Gegenteil“, erklärt er. Im Vordergrund stehe das Flüchtige, das er lediglich für die Nachwelt dokumentiere. Und so mag auch hier der Schein trügen, wenn sich demnächst wieder eine Menschengruppe in einen der unscheinbaren Winkel der Stadt verirrt.

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