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Künstliche IntelligenzSchreiben unter Verdacht

Seht her, hier wird noch geschrieben! Wo Texte zunehmend hybrid entstehen, muss die Geschichte vom „reinen“ Schreiben besonders laut erzählt werden.

Alles KI oder was?Je bedrohter die traditionelle Autorschaft wird, desto theatralischer also ihre Darstellung? Foto: Westeind61/imago

W er glaubt, generative künstliche Intelligenz verändere nur das Schreiben derer, die sie nutzen, irrt gewaltig. Sie hat bereits alle Schreibenden erfasst – ob sie wollen oder nicht. Die einen werden zu Meta-Autoren oder Text-Kuratoren, die Inputs orchestrieren und maschinelle Outputs in ihre Erzählungen einbauen. Längst ist bei ihnen die Grenze zwischen Planen, Schreiben und Redigieren verwischt. Kontexte verstehen, die eigene Position reflektieren, Quellen kritisch überprüfen – all das ist für sie wichtiger geworden als das handwerkliche Schreiben.

Doch selbst die anderen, die sich der KI komplett verweigern, können nicht mehr außerhalb des KI-Diskurses schreiben. Denn das Perfide ist: Nicht KI-Nutzende müssen Transparenz herstellen, sondern Selbstschreibende müssen zunehmend beweisen, dass ihre Texte menschengemacht sind. Ich selbst habe zum Beispiel früher obsessiv den Gedankenstrich benutzt, jetzt zügle ich mich, weil das Gerücht umgeht, man erkenne ChatGPT-Texte an dem Satzzeichen. Ja, selbst der authentischste Stil kann unter KI-Verdacht geraten!

Diese absurde Umkehr zeigt sich überall. Büchern werden Disclaimer, also Haftungsausschlüsse beigefügt: „Human Authored“. Es werden KI-Detektoren entwickelt und in Verlagen und Universitäten zum Einsatz gebracht. Der Verdacht ist zur Grundhaltung geworden, auch, weil er sich kaum ausräumen lässt. Weder gibt es Kriterien dafür, ab wann ein Text als KI-generiert gilt, noch lässt es sich wirklich zuverlässig prüfen.

Besonders anschaulich, geradezu als eigenes Genre, wird das Selbstschreiben auf Tiktok bekundet. Regelmäßig tauchen in meinem Feed Clips junger Autoren auf, die ihr Schreiben regelrecht überinszenieren: die Angst vor dem weißen Blatt, Schreibblockaden, wie oft sie ihren Roman neu anfangen mussten oder (das ist besonders beliebt) wie viel Wörter sie an einem Tag geschrieben haben. Sie zeigen sich in sonnengefluteten Cafés mit glänzenden MacBooks und präsentieren handbeschriebene Moleskine-Notizbücher. Diese stark romantisierten Videos schreien förmlich: Seht her, es wird noch geschrieben!

Ein letztes großes Aufbäumen des Schreibens

Je bedrohter die traditionelle Autorschaft wird, desto theatralischer also ihre Darstellung? In ihrer Summe wirken die Videos jedenfalls wie ein letztes großes Aufbäumen des Schreibens. Ein stiller Versuch, das Schreiben sichtbar zu machen, gerade weil es sich so rapide verändert. Die Videos zeigen allerdings nicht das Schreiben selbst, sondern nur eine nostalgisch eingefärbte Vorstellung davon.

Auffällig ist, dass KI in solchen Videos fast nie offen thematisiert wird. Wenn überhaupt, dann rechtfertigend: „Ich nutze KI, aber nur fürs Worldbuilding.“ „Nur für die Recherche.“ „Nur, um die Satzstruktur zu verbessern.“ Das „nur“ soll signalisieren: Das eigentliche Schreiben liegt noch in meiner Hand. Doch Welten erschaffen, recherchieren, an der Satzstruktur arbeiten – all das ist Schreiben. Während die Erzählung vom „reinen“ Schreiben gebetsmühlenartig vorgetragen wird, hat sich die Praxis längst verändert. Das Pensum vieler sogenannter „BookTok-Autoren“ wäre ohne KI eigentlich kaum erklärbar.

Wo Texte zunehmend hybrid entstehen, muss die Geschichte vom „reinen“ Schreiben also besonders laut erzählt werden. Dabei geht es nicht nur um eine Rechtfertigung Dritten oder einer wie auch immer gearteten Öffentlichkeit gegenüber, sondern auch vor sich selbst. Bei KI-unterstützten Texten ist die Stimme zugleich die eigene und eine andere. Dieser Zustand, verantwortlich zu sein, ohne vollständig verantwortlich zu sein, hat eine eigentümliche Schwere. Vielleicht, weil sie für uns Autoren – im Vergleich zu Kuratoren oder Regisseuren – eine neuartige Erfahrung ist?

Annekathrin Kohout ist Autorin und Kultur­wissenschaftlerin in Leipzig.

Die teils verzweifelte Ästhetisierung des Schreibens ist Ausdruck von Abwehr und Sehnsucht, aber auch ein Signal, für das Geschriebene Verantwortung zu übernehmen. Und es ist ein wichtiges Signal: Heute zu ­schreiben heißt, weniger beweisen zu müssen, dass man dazu fähig ist – sondern, dass man es ernst meint.

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2 Kommentare

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  • "Heute zu ­schreiben heißt, weniger beweisen zu müssen, dass man dazu fähig ist – sondern, dass man es ernst meint."

    Ja, verdammt! :)

  • Ist das nun wirklich so neuartig? Ghostwriter, Anonymisierung, Künstlernamen etc. kannte man auch vorher schon. Ausserdem bin ich überzeugt, dass die Qualität (auch die zukünftige) von insbesondere längeren, kreativeren Texten die KI erstellen soll, niemals genügend sein wird um halbwegs belesene Menschen von ihrer 'Menschlichkeit' zu überzeugen - vielmehr völlig überschätzt wird. Wenn die ernsthaften Schreiber ihre Originalität in diesem Sinne erkennen können, kann das auch positive Seiten haben. Beispielsweise dass die verschwinden, die es eben nicht ernst meinen, oder in belangloser Massenproduktion kantenlos werden.