Kürzungen bei Schulbibliotheken: "Die Bibliothek ist ein Segen"

Neun Schulbibliotheken in Brennpunktvierteln müssen schließen, weil laut SPD das Geld fehlt. Um die künftige Finanzierung sollen Schulen sich selbst kümmern.

Fast jeden Tag in der Schulbibliothek: SchülerInnen des Goethe-Gymnasiums. Bild: Hendrik Doose

"ABIns Leben 2004" steht auf einem knallgelben Ortsschild auf dem Hof der Luruper Schule. Darunter ein durchgestrichenes "Goethe-Gymnasium", für den Ort, den man gerade verlässt. Die Abiturienten 2004 haben es ihren Nachfolgern als Abschlussmotto hinterlassen. Ob die jetzigen Schüler gut vorbereitet "ab ins Leben" gehen werden, ist jedoch ungewiss. Denn die Hamburger SPD streicht ab Juli 2012 die Gelder für die Bibliothek des Goethe-Gymnasiums. Sie gehört zu einer von neun Schulbibliotheken in "sozialen Brennpunktvierteln", die zum Modellprojekt "Schulbibliotheken für alle Schulen" gehört.

Die schwarz-grüne Regierung stieß das Zwei-Millionen-Euro-Programm 2009 an und errichtete mit Hilfe der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (HÖB) moderne Schulbibliotheken. Dazu gehören ein multimediales Angebot, Lesezonen und Arbeitsplätze für die Schüler. Und, als wichtigste Neuerung: eine BibliothekarIn, die sich um die Pflege der elektronischen Datenbank kümmert und die Schüler berät.

Die Schulbehörde unter SPD-Senator Ties Rabe rechtfertigt die Kürzung damit, dass es sich bei den Schulbibliotheken um ein bis 2012 begrenztes Pilotprojekt gehandelt habe. Um die Bibliotheken zu erhalten, sollten die Schulen laut Behörde über alternative Modelle nachdenken. Zum Beispiel die Finanzierung aus schuleigenen Mitteln oder durch Sponsoren und Lehrer als Arbeitskräfte in der Bibliothek.

Der Schulleiter des Goethe-Gymnasiums, Egon Tegge, sitzt in seinem Büro, gerade holen dort Schüler neue Gitarren ab. "Eine professionelle Bibliothekarin kann nicht durch ehrenamtliche Arbeit ersetzt werden", sagt er. "Die Stadt will individuelles Lernen fördern und schafft die Schulbibliotheken ab. Das macht keinen Sinn!" Es gebe an seiner Schule gar nicht genug LehrerInnen, um die Bibliothek täglich besetzen zu können, außerdem seien sie ja kein Fachpersonal.

Dass eine BibliothekarIn unersetzbar ist, zeigt ein Besuch in der Schulbibliothek. Dort sitzt Tobias Zeumer direkt am Eingang. "Die Schüler können auch von zu Hause im Internet auf die elektronischen Datenbanken zugreifen", sagt der Bibliothekar. Fast 4.000 Bücher, Zeitschriften, Filme und CDs sind in einem Online-Katalog nach "Oberstufe", "Unterhaltung" oder Schulfächern sortiert. "Es gibt Bibliotheksführungen für alle Klassen, ich erkläre den Kindern, wie sie Bücher finden und die Datenbanken bedienen", sagt Zeumer. Von ihm lernen die SchülerInnen auch, wie sie mit Programmen wie Word oder Power Point umgehen, und korrektes Zitieren.

Die Sechstklässler Jan-Ole, Massi und Elias sind jeden Tag in der Bibliothek. Sie sitzen an einem Tisch und blättern in "Gregs Tagebuch". "Wir haben schon einen Brief an den Senator Rabe geschrieben", sagt Jan-Ole. "Außerdem sammeln wir Unterschriften für die Bibliothek." Massi sagt: "Wir brauchen einen Raum, in dem es nicht so laut ist wie in der Pausenhalle. Alle Schulen brauchen Bibliotheken!"

Schulleiter Tegge argumentiert ähnlich. Viele Schüler hätten zu Hause weder den Platz noch die Ruhe, um konzentriert arbeiten zu können. Die Räume sind täglich bis 17 Uhr geöffnet, gerade OberstufenschülerInnen nutzen sie nachmittags, um für ihre Facharbeiten zu recherchieren. "Diese Bibliothek ist ein Segen für sie!", schwärmt Tegge. "Wir haben hier ein niedrigschwelliges Angebot, um Schüler an die neuen Medien und Bücher heranzuführen."

Die CDU-Fraktion der Stadt ist entsetzt über die Kürzung der Fördergelder durch die SPD. Anders als von der Schulbehörde behauptet, handele es sich nicht um eine finanzielle Notwendigkeit. Vielmehr blende die SPD die "Integrationskraft des Kulturgutes Buch" aus. Die GAL sucht Kompromisse: "Wir schlagen vor, die Stellen aus nicht benötigten Mitteln für die Schulreform zu finanzieren", sagt Stefanie Berg, schulpolitische Sprecherin der Fraktion. Passend zum Thema äußerte Bildungsministerin Anette Schavan (CDU) im November, die Bildungsdebatte sei nicht nur theoretisch zu führen, sondern jede Schule solle ihre eigene Bibliothek bekommen.

Wenn man "Goethes Schulbibliothek Hamburg" bei Facebook besucht, findet man einen Eintrag vom 5. Dezember, 20.46 Uhr: "Das nächste MacBook für die Bibliothek ist da und wird eingerichtet. Gibt es etwas, das unbedingt zusätzlich an Software drauf sein sollte?" Die Schulbibliotheken haben sich längst unentbehrlich gemacht.

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