Kugelbomben-Prozess: Auftakt mit Widersprüchen

Im Jahr 2010 werden Polizisten auf einer Demo durch eine Kugelbombe verletzt. Jetzt müssen sich drei Männer dafür verantworten – wegen versuchten Mordes.

So groß wie diese war die Berliner Kugelbombe dann wohl doch nicht. Bild: dpa

Mehr Menschen als erwartet waren an jenem Samstag vor gut vier Jahren zur Demonstration gegen die Krisen- und Sparpolitik der Bundesregierung gekommen. Eingeladen hatte ein Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und linksradikalen Gruppen, 20.000 Menschen waren dem Aufruf gefolgt. Es war voll und eng, aber friedlich – zunächst.

Kurz vor dem Rosenthaler Platz dann plötzlich ein gewaltiger Knall auf der Torstraße, weißer Rauch breitete sich aus. Die Polizei zählte vierzehn Verletzte, zwei Beamte mussten im Krankenhaus behandelt werden. Später wird klar: Eine sogenannte Kugelbombe, ein in Deutschland nicht zugelassener Feuerwerkskörper, ist detoniert.

Stefan S., einer der beiden verletzten Polizisten, war am Montag als Zeuge geladen, als vor dem Landgericht Berlin der Prozess gegen drei junge Männer eröffnet wurde. Die Anklage gegen sie wiegt schwer: Versuchten Mord will die Staatsanwaltschaft ihnen nachweisen. Einer der drei habe am 12. Juni 2010 die Kugelbombe gezündet und auf die Polizisten geworfen, die anderen beiden hätten neben ihm gestanden und die Aktion „in Vorfreude auf die Detonation“ beobachtet.

"Plötzlich dieser Riesenknall"

Stefan S., der auch als Nebenkläger auftritt, hat nach eigenen Angaben nicht gesehen, wer etwas mit der Explosion zu tun gehabt haben könnte. Die Situation sei vorher bereits unübersichtlich gewesen, sagte S. am Montag, dann „plötzlich dieser Riesenknall“. S. erlitt eine Verletzung am Oberschenkel, war lange krankgeschrieben und entschied sich danach, nicht mehr „auf der Straße“ zu arbeiten. Großveranstaltungen mit Feuerwerk, wie etwa zu Spielen der Fußball-WM, seien für ihn schwer erträglich.

Noch im Krankenhaus war S. zu dem Vorfall vernommen worden. Bei seiner Aussage vor Gericht sagte er nun vieles, was im Protokoll der Vernehmung von damals fehlt. Anderes steht dort, obwohl S. jetzt bestreitet, sich jemals daran erinnert zu haben, etwa detaillierte Angaben zum Ort der Explosion. Diese Widersprüche erklärte S. mit dem Schock, unter dem er damals gestanden habe. Die Verteidigung ließ mit ihren Fragen dagegen ihre Vermutung erkennen, die Diskrepanz der Aussagen könne auf eine Form der Beeinflussung schließen lassen – ob nun unbewusst durch nachträglich erhaltene Informationen wie etwa die vielen Videos zu dem Vorfall. Oder bewusst durch Absprachen mit Kollegen.

Der Fall löste damals eine aufgeladene Debatte aus: Der damalige Innenminister Thomas de Mazière (CDU) sprach von einem „Angriff auf die Demokratie“, der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach warnte vor einer „Gewaltspirale wie in den siebziger Jahren“. In den Tagen nach der Demo berichteten viele Medien noch von einem „Sprengstoffanschlag“ mit einer „Splitterbombe“, später stellten sich diese Vermutungen als falsch heraus. Viele DemoteilnehmerInnen und veranstaltende Gruppen distanzierten sich von der Aktion – und kritisierten gleichzeitig, dass die Debatte über Gewalt gegen Polizisten die inhaltlichen Botschaften der Demonstration überlagere.

Anwalt Sven Lindemann, der einen der Angeklagten vertritt, sprach am Montag von einer „klar politisch motivierten Anklage“, der Vorwurf des versuchten Mordes sei völlig überzogen. Ob den Angeklagten überhaupt etwas nachgewiesen werden könne, bezweifelt er.

Die Angeklagten wurden damals kurz nach der Demonstration festgenommen, wenig später jedoch aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen. Nun sind offenbar doch genug Indizien für einen Prozess zusammengetragen worden. Für den nächsten Prozesstag sind die beiden Zivilpolizisten geladen, deren Beobachtungen die Angeklagten belasten sollen.

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