Kultrussenfilm: "Aber es ist die reine Wahrheit!"

Heute läuft im Kino "Russendisko" an, die Verfilmung des Buchs von Wladimir Kaminer. Der bekennt: "Für mich ist Berlin nach wie vor die einzige Großstadt".

Jetzt auch als Film: Kaminers Russendisko. Bild: dpa

taz: Wladimir, wie gefällt dir die Verfilmung deines Romans „Russendisko“?

Wladimir Kaminer: Sehe ich das richtig, dass alles, was ich sage, dann in der Zeitung steht? Im Ernst: Der Film ist schon schön. Zum Austoben. Etwas für junge Menschen. So sollte Disco sein. So sollten auch Filme sein: Zum Knutschen. Dazu ist Kino da – um Menschen zusammenzubringen, um sie zu animieren, etwas miteinander zu unternehmen.

Man knutscht, schaut ab und zu hin und verliert den Anschluss trotzdem nicht.

Wladimir Kaminer, 1967 in Moskau geboren, kam 1990 nach Berlin und erhielt „humanitäres Asyl“ in der damals noch bestehenden DDR. Er begann, im Kaffee Burger die „Russendisko“ zu veranstalten und dort aufzulegen, er trug Texte auf Lesebühnen vor und veröffentlichen sie – zuerst in der taz. Seine Geschichtensammlung „Russendisko“ aus dem Jahr 2000 wurde ein Bestseller mit mittlerweile über einer Million verkaufter Exemplare, es folgten weitere erfolgreiche Bücher. Heute läuft die Verfilmung von „Russendisko“ in den Kinos an, mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle. Als ich Kaminer anrufe, reagiert er zunächst genervt, weil er schon so viele Interviews zum Film geben musste. Dann sagt er doch zu. Wir treffen uns bei herrlichem Frühlingswetter in einer kleinen Eisdiele in der Nähe des Mauerparks.

Ganz genau. Andererseits ist es natürlich auch eine wichtige Geschichte. Sie ist ein Teil meiner Biografie und der Biografie von Hunderttausenden, die Anfang der Neunziger aus Russland kamen. Eine Geschichte über Hoffnung und völlige Ahnungslosigkeit, was die Zukunft bringt. Es ist gut, wenn diese Geschichte immer mehr jungen Leuten zugänglich gemacht wird.

Der Film zeigt eine Stadt voller Aufbruch. All die Brachflächen, die Brandmauern, die illegalen Bars in Ostberlin: Wer das miterlebt hat, der kann ganz schon wehmütig werden.

Geh doch nach Leipzig! Ich empfinde Berlin heute nach wie vor als spannende Stadt. Sie ist nie eine typische Touristenmetropole geworden. Auch die große Leere, die vielen Freiräume – die gibt es immer noch. Wir sitzen hier am Mauerpark, meine Nachbarn haben schon vor Jahren eine Initiative zur Bepflanzung des Mauerparks gegründet. Die kämpfen um jeden Baum.

Berlin war Anfang der Neunziger eine Ankunftsstadt. Die Lage war so unübersichtlich, dass es völlig egal war, woher man kam.

Das ist doch immer noch so! Ich habe heute den ganzen Tag Leute auf der Straße Spanisch sprechen hören, was mich wundert, weil doch Spanien jetzt im Frühling wunderbar sein muss. Für mich bleibt Berlin nach wie vor die einzige Großstadt. Hier ist es unaufgeregt. Es müssen auch nicht dauernd alle Bewohner für irgendwelche Events in Reih und Glied aufgestellt werden, um Größe zu beweisen. Man hört von Städten wie Dortmund, die feiern, dass gerade der größte Weihnachtsbaum der Welt aufgestellt wird. Wer zum Teufel braucht den größten Weihnachtsbaum der Welt?

Wo zum Teufel liegt Dortmund?

Eben. Es ist doch ein Zeichen der Weltoffenheit, wenn sich etwas ganz Großes ganz klein anfühlt. Beinahe dörflich. So wie wir hier sitzen: Das fühlt sich nicht gerade urban an. Und es gibt nach wie vor Ruinen. Vor uns Baugerüste, hinter uns Baugerüste. Außerdem sind die Deutschen ja so gründlich. Wenn das eine Haus fertiggestellt ist, ist das andere schon längst wieder kaputt. Die werden hier doch nie fertig!

Und was ist mit der Gentrifizierung?

Prenzlauer Berg hat sich nicht gentrifiziert. In dieser Straße sind keine teuren Läden entstanden. Zum Beispiel: An der Ecke war eine große Apotheke, die ein bisschen versucht hat, sich auf die jungen Leute hier einzustellen, und hauptsächlich Vitamine verkauft hat. Der Apotheker hat immer im Hinterzimmer geraucht. Da wusste ich schon: Der schafft es nicht. Und tatsächlich ist die Apotheke pleitegegangen. Dann sollte da ein Restaurant aufmachen, aber wir haben ja schon zwei Inder, die demselben Mann gehören: Goa I und Goa II. Und nun also Goa III. Das hat hier keine Zustimmung gefunden. Die Anwohner wollen Vielfalt, verschiedene Kulturen. Also machte der Inder ein mexikanisches Restaurant auf. Da saßen dann die gleichen Inder drin, nur mit Sombreros. Das wurde nicht akzeptiert. Drei Monate haben sie das ausgehalten. Dann haben sie gesagt: Zum Teufel mit diesem mexikanischen Quatsch. Wir machen das, was wir am besten können. Jetzt haben sie ein Restaurant für „indische Spezialitäten“ aufgemacht. Das klingt wie eine Geschichte aus meinen Büchern. Aber es ist die reine Wahrheit!

Aber es ist doch schade, dass man in Prenzlauer Berg nicht mehr ausgehen kann.

Das sehe ich nicht so. Es ist doch wunderbar, dass hier keine Partyhochburg mehr ist. Schau dir doch Kreuzberg an: Sie demonstrieren gegen Touristen und haben Angst, dass ihr wunderbares Biotop Kratzer bekommt. Aber das ist die Zukunft von jedem versteiften Gebilde, von jedem Glücksgarten. Sein logisches Ende ist der Untergang. Jeder, der zufällig vorbeikommt, wird den Glücksgarten falsch verwenden und sich zum Beispiel damit den Arsch abwischen.

Es kann nur überleben, wer beweglich bleibt?

Das, was wir hier besprechen, ist die alte Geschichte von Kain und Abel. Von Hirten und Landwirten. Der Hirte läuft den Tierchen nach und verändert fast nichts am Lauf der Welt. Der Landwirt dagegen duldet keine Vielfalt. Er braucht keine Berge, sondern quadratische, praktische Felder. Er braucht keine Flüsse, sondern Kanäle, um seine Felder zu bewässern. Er braucht keine Schmetterlinge und kein Vergissmeinnicht, sondern Weizen. Diese Haltung, sich konservieren zu lassen: das findet im Augenblick in Kreuzberg statt.

Und was ist mit den schlimmen Müttern aus Prenzlauer Berg?

Ich finde es gut, dass es hier so viele Kinder gibt – und das bei diesem riesigen Freizeitangebot. Die Leute hier haben trotzdem Zeit und Lust, ihre persönlichen Freiheiten freiwillig zu beschränken und sich auf so etwas Lästiges wie Kinder einzulassen. Das ist doch erstaunlich.

Nach über 20 Jahren legst du immer noch Platten auf, betreibst nach wie vor die Russendisko. Was hat sich verändert?

Für mich hat sich die Russendisko nicht verändert. Es ist das gleiche Kaffee Burger, die gleiche Tapete, der gleiche verrauchte Raum, die gleiche Scheißtechnik mit einem Limiter, sodass man die Musik nicht laut drehen kann, weil da angeblich immer noch Leute wohnen.

Bekommt man in der Russendisko immer noch so schnell Heiratsanträge? Ich habe zwei von drei Heiratsanträgen meines Lebens in der Russendisko bekommen – wohlgemerkt, ohne dass dem irgendetwas vorausgegangen wäre.

Echt? Deine Worte sind Honig auf meine Seele. Also haben wir die ganze Zeit nicht umsonst gearbeitet.

Wie lange willst du die Russendisko noch machen?

Wenn es nach mir ginge, dann hätte ich schon längst aufgehört. Es ist so anstrengend. Aber ich kann nicht, weil so viele Existenzen von der Russendisko abhängen. Meine Frau schimpft auch immer, weil sie sich vornimmt, mit dem Trinken aufzuhören, und das klappt wegen der Russendisko nicht. Am nächsten Tag kommen die Kopfschmerzen, und unsere Kinder wollen trotzdem auf den Flohmarkt gehen und Platten kaufen. Oder sie wollen mich zwingen, im Park mit ihnen Karaoke zu singen, und zwar „God Save the Queen“ von den Sex Pistols. Das musst du dir mal vorstellen: Meine Kinder hören Janis Joplin und Jimi Hendrix. Die stehen voll auf alte Musik! Darauf bin ich sehr stolz. Mein Leben hat einen Sinn gehabt.

Nun ja. Du bist heute ein reicher Mann.

Ich weiß gar nicht, was ich mit dem ganzen Geld anfangen soll. Ich habe überlegt, in die Bildung meiner Kinder zu investieren. Aber meine Tochter will Literatur an der Humboldt-Universität studieren. Immobilien will ich auch keine kaufen. Also haben wir uns den Nachbarn angeschlossen und ein paar Stadtbäume gekauft.

Würdest du sagen , dass du ein glücklicher Mensch ist?

Jemand, der von sich behaupten kann, in einer Welt voller Krieg und Not glücklich zu sein, ist entweder ein Schurke oder ein Idiot.

Aber du bist doch auch kein unglücklicher Mensch?

Ich kann mit dieser Welt mitfühlen. Ich kann diese unbedingte Liebe der Menschen, immer wieder aufs Neue auf die Schnauze zu fallen und zu scheitern, sehr gut nachvollziehen. Das macht mich glücklich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.