Kulturbotschaft Lichtenberg: Eine Werkstatt für die Kunst

Das Refugium für ehemalige Künstler aus dem Tacheles darf am Freitag zur 11. Langen Nacht der Bilder öffnen – für nur einen Tag.

Zwei Männer auf einem Baugerüst: die Künstler Lucas Böttcher und Tim Roeloffs

Werkeln am Zufluchtsort in Sachen Kunst: Lucas Böttcher (li.) und Tim Roeloffs Foto: Leonard Laurig

Noch ist der Bauzaun, der die Zufahrt zum Hof der Kulturbotschaft Lichtenberg versperrt, mit einem Vorhängeschloss versehen, das Unbefugte am Betreten des Geländes hindern soll. Genauso wurde es vom zuständigen Amt angeordnet, denn eine Nutzungsgenehmigung für das Haus gibt es noch nicht.

Einst thronte das dreistöckige Backsteinhaus eindrucksvoll auf der weitläufigen Industriefläche der Herzbergstraße 53. Hier wurden früher Autos repariert und Tierhäute gegerbt. Nun verfällt das Gebäude hinter der improvisierten Absperrung. Die Fassade hat ihren ursprünglichen Farbton verloren, hier und da schwarze und vergilbte Flecken, einige Fenster sind vermauert, an manchen Ecken verlieren die Steine an Substanz.

Nur ein beschriftetes Klebeband auf dem Briefkasten deutet darauf hin, was seit über einem halben Jahr hier entsteht. Es ist die neue Heimat der ehemaligen Tacheles-Künstler Tim Roeloffs und Lucas Böttcher und letzter Zufluchtsort für rund ein Dutzend Kunstschaffende aus aller Welt, die noch immer vom ausschweifenden Künstler*innen-Dasein in der freien Szene träumen. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Tim Roeloffs erscheint am Zaun und öffnet das Schloss. Er trägt Militärjacke und Trucker-Cap. Die Schuhe verschwinden in den weiten, abgelatschten Beinen der hellen Camouflagehose. Das Wort Atelier hört er nicht gerne, „Werkstatt“ nennt er die Räume, in denen er und seine Kolleg*innen arbeiten.

Früher eine Garage

Zeitungen, Kartons und Werkzeuge liegen auf dem Boden und den Tischen. Eine rote Hebebühne zeugt von der einstigen Nutzung als ehemalige Garage. „Die müssten wir mal verkaufen“, sagt Roeloffs beiläufig, „funktioniert ja noch.“ Unter den opulenten Kunstwerken und zufälligen Gegenständen fällt sie trotz ihrer wuchtigen Gestalt kaum auf. An den Wänden hängen bunte Gemälde – Papierschnipsel, Fotos und Buchstaben formen großflächige Kompositionen, die Themen wie Antikapitalismus, Antifaschismus, Wohnungsnot und Gentrifizierung vermitteln. Collagen, die Roeloffs einst zum Erfolgskünstler machten.

Anfang der 90er Jahre zog der Niederländer in das vom Umbruch gezeichnete Berlin und fand Anschluss in einem besetzten Kaufhaus in der Oranienburger Straße, das fortan zum Mittelpunkt der autonomen Kunstszene werden sollte. Das Kunsthaus Tacheles wurde zu einer Institution, und mit ihm seine Künstler*innen. „Kommunistisches Disneyland“ nennt er die Zeit, in der nichts bedeutungsvoll erschien, außer der Kunst und dem leichtblütigen Streben nach Freiheit. Der Traum ging weiter, als unter den Scharen von Touristen*innen, die in dieser Zeit in das Kunsthaus strömten, plötzlich Donatella Versace auftauchte und vor Roeloffs Collagen stehen blieb. Auf der Suche nach Inspirationen für ihre neue Kollektion schien sie die richtigen Motive gefunden zu haben und beauftragte Roeloffs mit weiteren Arbeiten.

Das brachte ihm nicht nur Geld und die Aufmerksamkeit der Szene, sondern auch die der Politik. Der damalige Bürgermeister Klaus Wowereit lud ihn ins Rathaus ein und machte ihn zum Kulturbotschafter Berlins. Man wusste das Erfolgsimage der Kunstszene für die Stadt zu nutzen. Die Marketingkampagne „be Berlin“ entstand, dessen Urheber, nach eigenen Angaben, Roeloffs ist.

Heute kann er sich davon nichts mehr kaufen. Zu den jährlichen Empfängen im Rathaus gehe er nicht mehr. „Da gibt es kein Bier, nur Sekt“, resümiert Roeloffs die Sinnlosigkeit dieser Veranstaltungen.

Motorradclub als Nachbarn
Tim Roeloffs, Künstler

„Kunst entsteht eben aus dem Chaos“

Dass er und seine Kunst heute in ein Industriegebiet in Lichtenberg ausweichen müssen, hätte er damals nicht gedacht. Die Bedingungen seien nicht optimal, aber man versuche sich zu arrangieren. „Wir sind froh, überhaupt hier zu sein“, sagt Lucas Böttcher, der gemeinsam mit Roeloffs die Kulturbotschaft gegründet hat.

Anfang des Jahres einigte man sich mit dem Eigentümer auf einen für vier Jahre befristeten Mietvertrag, der eine zehnprozentige Mitnutzung des Objekts durch den Motorradclub „Wolfsritter“ vorsieht. Die Unterschied zwischen den beiden Mietparteien könnte nicht größer sein. Man missfällt, aber toleriert sich. Die Biker seien außerdem immer nur freitags in ihrem Clubraum, beschwichtigt Roeloffs.

Nun steht er mit Böttcher in einem heruntergekommenen Raum, der bald Ausstellungsfläche für hochkarätige Gemälde, Videoinstallationen und ausgefallene Performances sein soll. „Ziel ist es, aus dem Haus ein begehbares Gesamtkunstwerk zu gestalten“, so Böttcher.

Doch noch stehen sie mit diesem Vorhaben am Anfang. Aus der maroden Holzdecke ragen lose Bretter hervor, Kabel hängen von der Wand, der löchrige Fußboden wurde zum Teil mit schwarz-weißen Platten bedeckt. Alles ist angefangen, noch nichts fertig.

500.000 € Strafe angedroht

Bedenken, dass sie bis zur offiziellen Eröffnung am Freitag (dem 14. September) nicht fertig werden, haben sie aber nicht. „Wir werden in den nächsten vier Jahren nicht fertig sein, alles so zu gestalten, wie wir wollen“, scherzt Böttcher. „Kunst entsteht eben aus dem Chaos“, fügt Roeloffs hinzu. Eine Einstellung, die sie aus Tacheles-Zeiten mitgenommen haben und nun im Industriegebiet von Lichtenberg weiterleben.

In einigen Ecken des Hauses lassen sich die ambitionierten Pläne bereits erkennen. Bis zum Freitag wird sich in den Räumen der Kulturbotschaft noch einiges getan haben. Denn dann findet hier die erste Werksausstellung statt, unter anderem mit Werken des Regisseurs Jürgen Böttcher, Vater von Lucas Böttcher und als Maler unter dem Pseudonym Strawalde bestens bekannt.

Das zuständige Amt hatte eine öffentliche Nutzung des alten Industriegebäudes bisher untersagt, weil keine Nutzungsgenehmigung vorliegt. Jetzt darf das Kunsthausprojekt im Rahmen der 11. Langen Nacht der Bilder für Gäste öffnen, aber eben nur für diesen einen Tag. Unter dem Motto „500.000 Euro“ – das ist die absurde Strafandrohung des Amtes bei Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen – wird es ab 15 Uhr eine offene Malaktion für Kinder geben, anschließend weitere Performances mit Musik und Film und um 19 Uhr die ­offizielle Ausstellungseröffnung.

Wie es nach diesem Tag weitergeht, wissen Roeloffs und Böttcher noch nicht. Fest steht: sie wollen erst mal hier bleiben. Ob sich das Amt davon ärgern lassen wird, oder am Ende nur der ansässige Motorradclub, bleibt abzuwarten. Der 14. 9. ist nämlich ein Freitag.

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