Kulturhauptstadt Mons: Drachen im Hochzeitssaal

Im Bergbauland: Die belgische Drachenstadt Mons, eine wenig beachtete wallonische Provinzmetropole, darf sich 2015 als Europas Kulturhauptstadt bezeichnen.

Blick auf den großen Platz von Mons. Bild: pommes.fritz123 / Lizenz: BY

Fünf Jahre nach dem Ruhrgebiet steht schon wieder eine Kohleregion auf dem Schild: Mons wird Europas Kulturhauptstadt 2015. Mons? Wer war schon mal in Mons, dieser unscheinbaren, abgelegenen Gemeinde mit gerade mal 91.000 Einwohnern? Auf Flämisch heißt Mons Bergen und ist Sitz des Nato-Headquarters. Wie soll man sich in diesem wallonischen Bergarbeiterabseits gut 50 Kilometer südwestlich von Brüssel gigantische Kulturspektakel wie im Ruhrpott 2010 vorstellen?

Der Stadtführer mit der frechen Schiebermütze grätscht gleich mal dazwischen: "Ein Bergwerk haben wir hier nie gehabt!" Das wallonische Kohlerevier, das erste und einst größte in Kontinentaleuropa, habe es bis Anfang der 60er Jahre "nur in der Umgebung gegeben".

"Mons selbst ist immer ein Verwaltungszentrum gewesen, eine Universitäts- und Kulturstadt." Allerdings: Es gebe das falsche Image "ganz sicher auch noch unter vielen Belgiern". Eine Klischeefalle, die auch das Ruhrgebiet gut kennt.

Mons, die Stadt auf dem Hügel, war schon 2007 ein bisschen Kulturhauptstadt. Luxemburg feierte damals zusammen mit allen umliegenden Regionen als Partner, so auch mit der Wallonie. Mons war dabei.

Allgemein: Im Internet unter mons.be, mons2015.eu, belgien-tourismus.de, paysdemons.be

Anreise: Per Bahn über Brüssel (Köln-Mons ab 2 Stunden 49 Min). Mit dem Auto via E 42 über Aachen, Lüttich, Namur

Restaurant: Les enfants gatés. Eine Offenbarung an Menü-Gaumenfreuden zu sehr passablen Preisen. Rue de Bertaimont 40, Mons. Tel/Fax (00 32) 65 72 39 73.

Köstlichkeiten: "Côtelette à lberdouille", eine stadttypische Schweinerei in Estragonsahne. Nicht zu verwechseln mit der Bredouille, in die einen das lokale Bier St. Feuillien bringen kann, ein wuchtiger malziger Achtprozenter

Unterkunft: Hotel St. James, in altem Bürgerhaus, fußläufig zur Stadt. DZ 80 Euro. hotelstjames.be

Unaufgeräumte City

Das hatte Gründe: Aus Mons stammt Elio Di Rupo, 59, Chef der wallonischen Sozialisten, einer der großen Strippenzieher in der belgischen Politik. Der mehrfache Landesminister ist seit 2001 auch Monser Bürgermeister. Und was Di Rupo für Mons tun kann, das passiert auch.

Ein Spaziergang durch eine angenehm unaufgeregte und in manchen Ecken unaufgeräumte City. Neben Kohlegeruch fehlt auch der fossile Geschwistergestank, weil viele Sträßchen von Mons für Autos gesperrt sind - für Belgien eine Kulturrevolution. Zwischen den vielen patinareichen Cafés fallen Plakate auf mit Hinweisen auf Créativité, auf Les Artists, Spectacle, das Carré des Arts. Neulich war "Nacht der Poeten", bald ist wieder "Internationales Liebesfilmfestival". Durchs Gemäuer einer Probebühne donnert a capella Mozarts Requiem. Tänzerinnen üben voller Anmut eine Choreografie an Turnhallenseilen.

Auch Besucher sind tänzerisch integriert: Als Flaneur wird man schnell zum Stepdancer, beim Balanceakt über die glitschigen Bürgersteige mit ihrem pisaschiefen Kopfsteinpflaster.

Mons skulpturelle Antwort auf das Brüsseler Staatswahrzeichen findet sich hinterm Rathaus: der Bronzeknabe Ropieur, ein Manneken Spritz mit Wasserschlauch.

Grandioses Jugendstiltheater

Die Grand Place ist ein landestypisches Kleinod aus sieben Jahrhunderten Baukunst. Das spätgotische Rathaus überstrahlt alles - ein Prachtbau voll knarzender Säle, geheimnisvoll düsteren Gängen, Wendeltreppen und mächtigen Bildern an den Wänden. Der Hochzeitssaal aus der Renaissancezeit ist rundum verziert mit morbiden Wandmotiven von Skeletten, Särgen, Höllenfeuern und Drachen - welch feinsinnige Symbolik für Monser Eheparadiese.

Mons hat sogar einen besonderen Riesendrachen aus Pappmaschee, der jeden Frühsommer beim Festspektakel Doudou durch die Straßen gejagt wird. Diese jahrhundertealte karnevalistische Party zählt die Unesco zum Weltkulturerbe.

Ein paar Kopfsteinpflastergassen weiter steht die Stiftskirche der heiligen Waltrudis. Ein gotisches Riesentrumm ohne Kirchturm - dafür war den Nonnen nämlich das Geld ausgegangen. Ein Stück weiter erhebt sich, fast 100 Meter hoch, ein mächtiger barocker Bergfried von frittenschlanker Statur. Der Wachturm hat nur wenig geholfen - die Franzosen nahmen Mons mit schnellem Allez. Victor Hugo hat die bauchige Turmspitze des Wahrzeichens der Stadt dann als "riesige Kaffeekanne" verspottet. Heute ist auch die Kaffeekanne Weltkulturerbe.

Mons hat ein grandioses Jugendstiltheater mit rotem Plüsch überall, das neue lichtdurchflutete Museum der Schönen Künste - und vor allem die moderne Manège de Mons für experimentelles Theater und Musik. Yves Vasseur heißt sein Intendant, und der ist auch Kulturhauptstadtkurator 2015. Der Endfünfziger, stets in den Farben der Wände seines Theaters gekleidet, nämlich kohleschwarz, will Mons nicht weniger als "endgültig umentwickeln". Kultur sei dabei "unsere einzige Chance". Die genauen Pläne für 2015 sind "noch ein Geheimnis", ein paar Stichworte lässt er fallen, wie einen großen Dramenzyklus und Vincent van Gogh als Thema. Denn: "Hier in Mons ist er erst zum Maler geworden." Van Gogh hat ein Jahr lang in einem Bergarbeiterdorf bei Mons gemalt (heute Museum "Maison de Gogh") und empfand die Umgebung "so lieblich wie Venedig oder Versailles".

Gebaut werden ein neuer Bahnhof (vom spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava), ein neues Kongress- und ein neues Kulturzentrum. "Die Stadt wird sich völlig verändern", sagt Vasseur: ein Kulturbauprogramm mit 75 Millionen Euro.

Nur zwei Blocks weiter in einer verlassenen Schule entstand die Maison Folie, Kulturwerkstatt für Bühnenprofis und Bürger. "Es funktioniert fantastisch", schwärmt Vasseur. "Humanisme urbaine" sei "ein bisschen das kulturelle Schlagwort unserer Stadt". Die alte Stadt Mons ist heute vor allem jung und lebendig: Jeder dritte Einwohner von Mons ist entweder Schüler oder Studierender.

Jenseits aller Klischees von Pils und Pommes ist Belgiens kulturelle Poleposition bemerkenswert. Kaum ein EU-Land gibt nach Studien der OECD so viel Geld pro Kopf für Kunst und Kultur aus wie die Belgier. Theaterdichte und öffentliche Zuschüsse sind hoch, Galerien und Museen gelten als nationale oder städtische Heiligtümer.

Zu den 30 wichtigsten Belgiern, die das Land bei der Expo 2010 in Schanghai präsentierte, gehören auffallend viele Kulturschaffende: Adolphe Sax (Erfinder des Saxofons), Tintin-Zeichner Hergé, Krimiautor George Simenon, der anarchistische Maler James Ensor und die ganz Großen des Pinselstrichs wie Rubens und Bruegel, obwohl die bereits malten, als es Belgien als Staat noch nicht gab.

2017 will Lüttich Expo-Gastgeber werden. Und wenn 2018 die deutsch-niederländisch-belgische Euregio Maas-Rhein unter Führung von Maastricht Europas Kulturhauptstadt werden sollte, ist das kleine unterschätzte Königreich schon wieder dabei.

Maastricht hat gerade beschlossen, bei der Bewerbung stärker auf die Vergangenheit der Region als Bergbaugebiet zu setzen. Merkwürdig: Ohne Zechen und Kohle geht offenbar nichts bei Europas Kultur.

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