Kulturpalast in Warschau: Vom Symbol der Sowjetmacht zur kulturellen Heimat
Den Kulturpalast, einst ein Geschenk Stalins, möchten viele Polen nicht mehr missen. Nun feiert das gigantische Bauwerk seinen 70. Geburtstag.
O h, was ist das?“, schreit eine amerikanische Touristin laut auf, als die alte Straßenbahn am Warschauer Kulturpalast vorbei rumpelt. „Is this the Polish Empire State Building?“ Zwei polnische Teenager mit langen blonden Haaren grinsen breit. Eine sagt: „Gut, dass Morawiecki ihn nicht abgerissen hat!“
Die andere 16-Jährige steht auf, lacht und drückt auf den Halteknopf: „Ja, was anderes als die Stalintorte aus Moskau kannte der halt nicht.“ Alle drei steigen aus. Die zwei Mädchen wollen zum Tanzunterricht in den Jugendpalast, die Amerikanerin will den Kulturpalast entdecken und mit dem Aufzug möglichst weit hochfahren. Die Gelegenheit ist günstig, denn der Palast feiert ab dem 22. Juli ein paar Tage lang seinen 70. Geburtstag.
Vor acht Jahren träumte Polens damaliger Premier Mateusz Morawiecki davon, das verhasste Geschenk Josef Stalins an das „polnische Brudervolk“ von 1955 in die Luft zu sprengen. Dann wäre das Zentrum Warschaus nur noch ein gigantischer Schutthaufen aus Granit, Marmor, Glas und Stahl gewesen.
Aus irgendeinem Grund fanden die damaligen Parteifunktionäre der nationalpopulistischen „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), dass die Sprengung ein großartiges Geschenk der Partei an die Einwohner Warschaus sei – insbesondere zum 100. Jahrestag der Wiedererlangung der Unabhängigkeit im November 2018.
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Auf dem historischen Müllhaufen
Dass dabei auch vier Theater, fünf Museen, die Kinoteka, die Kongresshalle, die Privathochschule Collegium Civitas, einige Abteilungen der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN), ein Hallenbad sowie Kunstateliers, Bars und Cafés auf dem historischen Müllhaufen gelandet wären, kümmerte die PiS kaum. Wichtiger erschien ihnen die Überwindung des Traumas, das sie durch den Kommunismus sowjetischen Typs bis 1989 erlitten hatten.
Doch die Partei hatte nicht damit gerechnet, dass sie mit ihrem Plan Proteste auslösen würde. Denn der Kulturpalast war zwar im sowjetischen Zuckerbäckerstil gebaut worden, mit 237 Metern Höhe auf 5 Hektar Fläche und vier gigantischen Gebäudeflügeln – ein ganz Warschau beherrschendes Symbol der Sowjetmacht. Doch mit den Jahren waren dort Generationen von Polinnen und Polen aufgewachsen, der Palast zur kulturellen Heimat vieler junger Leute geworden.
Heute will ihn kein Mensch mehr sprengen. Für Dorota Zmarzlak, die Direktorin und Herrscherin über 9.000 Säle, ist der Managerposten ein Traumjob. Sie hat einen besonderen Lieblingsort. Im 30. Stock befindet sich die für alle zugängliche Aussichtsplattform, doch mit einem weiteren Aufzug geht es noch höher. „Die Aussicht hier ist großartig“, sagt sie auf dem 40. Stock, über sich die acht Meter hohe Turmuhr und darüber noch das Nest eines Falkenpaars, das gerade Küken aufzieht.
Über das Internet und eine Kamera kann jeder das Falkenpaar beobachten. „Wir wollen so transparent wie möglich sein“, sagt sie. Eigentlich kommt sie hoch, wenn sie mal Abstand von Marmor, Stein und Kristalllüstern braucht: „Warschau, der Himmel und ich“, seufzt sie.
Keine Aufmärsche mehr
Ringsum sind neue Wolkenkratzer hochgeschossen, sodass der Kulturpalast heute nicht mehr so gigantisch wirkt wie in den 1950er Jahren. 40 Stockwerke weiter unten, auf dem Plac Defilad, finden schon lange keine kommunistischen Aufmärsche statt. Vor Kurzem wurde dort das erste Gebäude seit 70 Jahren fertiggestellt: das Museum für moderne Kunst.
Der Flachbau wirkt von der Straße aus wie ein überdimensionierter Schuhkarton, von oben wie ein Raumschiff, das in Warschau kurz zwischengelandet ist, und von innen – mit einem durch große Fenster inszenierten Blick auf den Kulturpalast – wie eine Zeitenwende.
Jetzt ist nicht mehr der Kulturpalast umstritten, sondern das Museum. Doch für den 70. Geburtstag hat sich auch der Platz davor fein gemacht. Statt grauem Beton gibt es viel Grün. Blumen, Bäume, Sträucher, Bänke und eine Fontäne laden dazu ein, einen Moment im Schatten des Bauwerks zu verweilen.
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