Kulturwissenschaftlerin über Sci-Fi: „Ist Wirklichkeit tatsächlich stabil?“

Zur Zukunft des Science-Fiction: Utopie darf nicht alles ausformulieren, sagt die Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser.

In Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ spielt der neurotische Bordcomputer Hal eine wichtige Rolle. Bild: dpa

taz: Frau Harrasser, warum muss Wissenschaft die Science-Fiction, die ja aus dem Hier und Heute entkommen will, immer wieder als Spiegel unserer Gegenwart lesen?

Karin Harrasser: Ernst Bloch und Theodor Adorno haben die zutreffende Beobachtung gemacht, dass es in einer Science-Fiction, die die Zukunft „voll auspinselt“, schon wieder vorbei ist mit der Utopie. Wirkliche Utopie, im Sinne eines politischen Einspruchs gegen das, was ist, muss festhalten an der Möglichkeit, ein anderes Leben zu beginnen. Deshalb kann sie das, was kommen soll, eben nicht völlig ausformulieren. Denn dann verbaut man ihren entweichenden Charakter. Von daher bietet kommerzielle Science-Fiction oft nicht mehr als eine technokratisch verengte Perspektive auf eine Welt, die der Gegenwart gerade nicht entkommt.

Hat kommerzielle Science-Fiction überhaupt eine Zukunft? An den Kinokassen sind andere eskapistische Genres, nämlich Fantasy- und Comicverfilmungen, deutlich erfolgreicher. Es ist viel Zeit vergangen seit der Popularität eines Jules Verne.

Die klassische Sci-Fi im 19. Jahrhundert glaubte noch an die Unvermeidlichkeit des Fortschritts, also daran, dass Wissenschaft und Technik uns verlässlich in die Zukunft katapultieren würden. Diese Idee ist spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg zerbrochen, mit der Atombombe und dem Holocaust. Danach kam es zu einer Auflösung der klassischen Form.

Die Comics haben viele Elemente übernommen, das setzt sich fort ins aktuelle „Avengers“-Blockbuster-Kino. Aber ornamental dazu bildeten sich alle möglichen Varianten, die philosophisch hoch interessant sind, in der Literatur etwa in den Romanen von Stanislaw Lem, Philip K. Dick oder William Gibson. Dort findet ein Nachdenken statt über Fragen von Technizität und Medialität. Heute gibt es in der Sci-Fi alles, von den durchgedrehtesten Spekulationen bis zum simpel gestrickten Sensationskino. Manchmal berührt sich auch beides.

Leider halten sich die Spekulationen der Sci-Fi oft in Grenzen: Da werden uns zwar radikal andere Welten, aber nur die immer gleichen Körper- und Geschlechterverhältnisse angeboten. Wie kommt das?

Ich bin nicht sicher, ob ich dem zustimmen kann. In den neunziger Jahren waren die „Alien“- oder „Terminator“-Filme interessant, was die Verrückung von Geschlechterverhältnissen betrifft. Allerdings hat sich die soldatische Frau, die zugleich super sexy sein muss, inzwischen als Standardinventar durchgesetzt, wie ja auch bei den „Avengers“. Interessanter als die Hauptfiguren sind aber oft die Monstrositäten, die sich drumherum ansiedeln.

Ein Film, der mich ins Grübeln gebracht hat, war „Under the Skin“ von Jonathan Glazer. Der stellt zwar die Frage nach dem Anderen, danach, was das Menschliche überhaupt sein soll. Er nutzt dafür aber eine klassische, fast sexistisch abgefilmte weibliche Figur. Das Zusammentreffen eines sehr freien Nachdenkens übers Menschsein und einer Kamera, die nicht anders kann, als den Hintern von Scarlett Johansson zu filmen, fand ich sehr irritierend.

Dieses Spiel mit normativen Wahrnehmungsweisen einerseits, mit abenteuerlichen Möglichkeitswelten andererseits ist durchaus interessant in den neuen Produktionen. Aber sie brauchen weiterhin als Kontrastmittel das Ultranormale. Der utopische Entwurf muss sich andauernd, wie in einem Pingpong, abstoßen von der Konstruktion einer angeblichen Normalität, die mir zumeist gar nicht so selbstverständlich ist. Ist die Wirklichkeit, in der wir leben, tatsächlich so stabil? Vielleicht reicht deshalb auch die „Arthouse-Science-Fiction“ nicht sehr weit.

Die Person: ist Professorin für Kulturwissenschaft an der Kunstuniversität Linz, zudem verschiedentlich kuratorisch tätig, z. B. NGBK Berlin, Kampnagel Hamburg, TQ Wien.

Der Termin: Vom 6. bis 10. Mai findet im Kino City46 in Bremen die mittlerweile 20. Ausgabe des Internationalen Filmsymposiums statt, das in diesem Jahr unter dem Titel steht: „Die Zukunft ist jetzt. Science Fiction-Kino als audiovisueller Entwurf von Geschichte(n), Räumen und Klängen“.In ihrer Keynote stellt Karin Harrasser Filme und Texte der künstlerischen Avantgarde vor, die mit dem Genre Science-Fiction operieren, um aktuelle Formen der Kontrollgesellschaft zu reflektieren.

Die Erfahrung der Instabilität unserer Gegenwart – im Erleben von Risiko und Prekarität, im Zwang zur Flexibilität – bildet auch den Horizont Ihrer Forschungen zu Sci-Fi und der künstlerischen Avantgarde. Sie untersuchen, wie darin aktuelle Formen der Machtausübung verhandelt werden, die auf bestimmten Kopplungen zwischen dem Körper des Menschen und den ihn umgebenden Technologien beruhen.

Die Frage, was sich in Mensch-Maschine-Konstellationen abbildet, interessiert mich schon lange Zeit. Historisch betrachtet werden darunter völlig verschiedene Dinge verhandelt. Klassisch ist der arbeitende Körper, der Roboter, der für die Fließbandarbeit optimiert ist. Das ist die Regierung des Körpers über die maximale Extraktion physischer Energie am Anfang des 20. Jahrhunderts. Das ändert sich ab 1950, mit der Automatisierung von Produktion.

Der wichtigste Moment wird dann die Extraktion von kognitiven und affektiven Prozessen. Da kommt die Kybernetik ins Spiel und ein völlig anderes Maschinenmodell. Damit verändern sich auch die Figuren der Sci-Fi. Nun haben wir nicht mehr die Arbeiter, sondern die neurotischen Maschinen, wie zum Beispiel HAL in Kubricks „2001“. Die Kybernetik ist der Schlüsseldiskurs, da sie Modelle der affektiven und physischen Selbstregulierung schafft, in denen die individuelle und die gesellschaftliche Ebene quergeschlossen werden.

Eine zentrale Figur Ihrer Forschung ist Oswald Wiener.

Wiener war Dichter und Performer, aber eben auch Kybernetiker. Von ihm stammt das wahnsinnigste und interessanteste Zeitdokument dazu: „die verbesserung von mitteleuropa“ von 1969. Der Text erfindet den „Bio-Adapter“, ein Gerät, das nach und nach einen menschlichen Körper einschließt und das gesamte Empfinden durch eine virtuelle Realität ersetzt. Die wird nicht eingespielt durch eine fremde Macht, wie in „Matrix“, sondern speist sich aus den Imaginationen der zu „Adaptierenden“. Jeder Einzelne ist isoliert und befindet sich in einem Feedback-Loop mit seinen Begehrensformen. Das Irre daran ist, dass Wiener das als neuen Modus des Regierens entwirft.

Gerade die Künste gelten heute oft als Stichwortgeber dieser neuen, liberalen Regierungsformen.

Dass die Künste mit ihren Versuchen, die Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, so etwas wie die Vorläufer der neoliberalen Regierungstechniken darstellen, ist mittlerweile eine gängige Lesart. Ich finde die Warnung zwar nachvollziehbar, bin aber nicht sicher, ob dieses Argument so einfach aufgeht. Künstler wie Oswald Wiener oder Elfriede Jelinek sind nicht so naiv zu sagen, wir stellen uns jetzt mal das ganz Andere vor und damit sind wir schon in der Freiheit. Beide betonen, dass die Transgression neue Gewaltstrukturen enthält. „Wir sind Lockvögel, Baby“ von Jelinek ist eine präzise Analyse, wie sich in der Gegenkultur ganz harte Machismen artikuliert haben.

Aber auch die Politik hat die Macht des Erzählens erkannt und in Beschlag genommen, etwa, um uns mit immer neuen Schreckensszenarien neue Sicherheitsgesetze zu verkaufen.

Narrative des Katastrophalen sind Bestandteil der suggerierten Vorhersehbarkeit. Da hat eine Umkehr stattgefunden. Im 19. Jahrhundert und noch um 1950 waren es die optimistischen Szenarien, die politisch eingesetzt wurden. Heute sind es die Katastrophenszenarien im Modus der Provision. Niemand traut sich mehr, positive Zukunftsszenarien zu lancieren. Außer vielleicht die Marketingabteilung von Apple.

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