Kulturzentrum für alle: Angepackt statt abgerissen

Vor gut einem Jahr rettete die Genossenschaft Polygenos das "Poly-Haus" in Oldenburg. Seitdem kämpft sie darum, es als Treffpunkt für alternative Stadtkultur zu erhalten.

Fremdköper in der Oldenburger Innenstadt: das Poly-Haus. Im zukünftigen Kommunikations- und Kulturraum sind die Arbeiten in vollem Gang. Bild: Manuela Sies

OLDENBURG taz | Zwischen Pferdemarkt und Lappan gelegen, hat das „Poly-Haus“ in Oldenburg einen prominenten Standort. Aber so richtig will sich das Gebäude nicht in seine Umgebung aus modernen Neubauten einfügen. Die Fassade ist verwittert. Überreste alter Efeuranken durchziehen das Mauerwerk wie graue Adern. Ja, das Poly-Haus ist in die Jahre gekommen. Aber trotzdem ist es ein belebter Ort. Das Gebäude ist seit einem Jahrzehnt ein Treffpunkt für die alternative Szene der Stadt. Vor allem durch den Club Polyester im Erdgeschoss des Gebäudes, von dem es auch seinen Namen hat. Mit seinem Kulturprogramm aus Konzerten, Lesungen und Slam-Poetry ist er zu einem festen Anlaufpunkt geworden. Die Gäste mögen ihr liebevoll genanntes „Poly“, und damit auch das Haus.

Entsprechend groß war dann im Herbst 2013 auch das Echo, als es hieß: Gebäude sanierungsbedürftig, zu hohe Kosten, Verkauf. „Investoren waren sofort da, aber die hätten das Haus abgerissen und neue Fassaden hochgezogen“, erzählt Nicole Gast. Sie gehörte zu den ersten Unterstützern, die sich damals um Polyester-Inhaber Stefan Mühlhaus zusammentaten. „Ein Verkauf hätte das Aus für den Club und Rausschmiss für die Mieter, zum Beispiel das Freifeld Festival, bedeutet.“ Bezahlbaren Raum in vergleichbarer Lage zu finden, wäre schwierig gewesen, so Gast. Auf lange Sicht wäre also ein Stück Stadtkultur verloren gegangen. Deshalb war den Unterstützern schnell klar, dass das Haus erhalten werden muss. „Uns ging es nicht nur darum, den Club und den vorhandenen Mietraum zu retten“, erklärt Nicole Gast. „Wir haben damals schon langfristig gedacht und hatten die Idee, hier eine Plattform für alternative Stadtkultur zu schaffen.“ Das Poly-Haus sollte zu einem Kulturraum werden, in dem sich Menschen austauschen, Ausstellungen, Diskussionen und kreative Projekte stattfinden können.Und dafür würden sie die Hilfe vieler Menschen benötigen, wussten die Unterstützer. Der Kaufpreis lag bei 275.000 Euro, die sie innerhalb von vier Monaten aufbringen mussten.

Ein ehrgeiziges Ziel, das die Unterstützer ganz im Geiste ihrer Zukunftsvision vom Poly-Haus organisierten wollten: basisdemokratisch und aus der Gemeinschaft heraus. Also gründeten sie innerhalb kürzester Zeit die Genossenschaft „Polygenos Kulturräume eG“ und begannen, öffentlich um Genossen und Genossinnen zu werben, mit deren Hilfe sie den Kaufpreis aufbringen wollten. „Diese Zeit war wie ein Krimi. Optimismus und Zweifel haben sich abgewechselt. Niemand von uns konnte sich zurücklehnen“, erinnert sich Nicole Gast, heute Polygenos-Sprecherin. Die Gründung und Arbeit einer Genossenschaft sei für alle neu gewesen. „Wir hatten vorher locker im Team gearbeitet. Und auf einmal mussten Organe benannt und rechtliche Vorgaben eingehalten werden.“ Zu diesen internen Prozessen sei der Zeitdruck gekommen.

Polygenos startete öffentliche Aufrufe, informierte in der Presse und auf Veranstaltungen im Polyester, um den Betrag aufzubringen. Ein Genossenschaftsanteil ist für 100 Euro zu haben, jeder darf so viele erwerben, wie er möchte. Das Engagement fruchtete: Über 800 Menschen aus ganz Deutschland erwarben Anteile, teils allein, teils gemeinsam. Damit ermöglichten sie tatsächlich den Kauf des Poly-Hauses. Am 27. März 2014 bekam die Genossenschaft offiziell die Schlüssel. „Das war großartig“, erinnert sich Nicole Gast. „Als wir starteten, wussten wir, dass wir etwas Großes lostreten. Aber mit dieser Dynamik hat keiner gerechnet.“

Seit diesem Erfolg ist ein Jahr vergangen, das Polyester ist an Ort und Stelle geblieben. Im Club finden regelmäßig auch Polygenos-Veranstaltungen wie Afterwork-Partys statt. Auch die anderen Mieter aus der Kreativbranche sind geblieben. Die öffentliche Präsenz sei nach dem Hauskauf zwar etwas zurückgegangen, das Engagement der Polygenos-Mitglieder und -Unterstützer aber nicht, meint Nicole Gast: „Wir arbeiten gut und eng zusammen.“ Dieses Engagement braucht Polygenos auch, denn um die Grundidee vom alternativen Kulturraum zu verwirklichen, muss erst einmal viel am Haus getan werden.

Während der erste Stock schon vor dem Kauf weitgehend instand und vermietet war, sind nun die übrigen Räume, die Dachterrasse und die Fassade dran. Erste Renovierungsarbeiten sind schon gestartet und zum Teil auch abgeschlossen. So gibt es im zweiten Stock mittlerweile einen komplett ausgestatteten Raum für die Treffen der Polygenos-Arbeitsgruppen. Hier entwickeln sich ganz im Sinne der Grundidee außerdem erste Ansätze von Vernetzung und Begegnung: Oft treffen sich Mitglieder für spontane Kreativkurse, zum Beispiel Nähen oder Siebdruck. Weitere Arbeiten sind voll im Gange. „Wir machen so viel wir können selbst, zum Beispiel Wände einreißen und andere renovieren, wir erneuern Böden und bauen Möbel“, sagt Nicole Gast.

Auf diese Weise entsteht ein Kultur- und Kommunikationsraum. Dieser soll flexibel und zu fairen, bezahlbaren Preisen vermietet werden können, zum Beispiel für Ausstellungen oder Seminare. Das Wissen für die Arbeiten kommt aus den Reihen der GenossInnen. Sie arbeiten durchweg ehrenamtlich für Polygenos. Einige Aufträge, zum Beispiel für Elektrik und die Dämmung der Fassade, müssen aber doch an Fachleute vergeben werden. Die aktuelle Sanierungsphase wird daher trotz aller Eigenleistung rund 60.000 Euro kosten. Der Gesamtbetrag wird sich auf 160.000 Euro belaufen. Das Geld kann Polygenos bisher noch nicht aufbringen. „Wir brauchen daher mehr Menschen, die sich mit uns engagieren“, so Gast. Also müssen mehr Genossen und Genossinnen her. Für diese Unterstützung muss nun erneut Öffentlichkeit hergestellt werden. „In der Gründungsphase herrschte eine andere Dynamik“, sagt Nicole Gast. „Aber wir glauben an unsere Idee. Wenn ich mir für das zweite Jahr etwas wünschen könnte, dann das wir unsere Räume fertigstellen und mit Leben füllen können.“

Wer Interesse an Polygenos hat, kann sich beim Tag der offenen Tür am 26. April vor Ort ein Bild machen. Es gibt Live-Musik, eine Ausstellung und ein Kinderprogramm. Näheres unter:
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