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Kung-Fu-Film aus ItalienKampfkunst in der Trattoria

Im neuen Film von Gabriele Mainetti sucht die Kung-Fu-Heldin Mai nach ihrer Schwester. Und erkundet zwischendurch auch mal Rom mit der Vespa.

Mei (Yaxi Liu) gibt ihr Können weiter Foto: DCM

Die Kombination aus chinesischer Kampfkunst und italienischer Hauptstadt, die der deutsche Titel zusammenbringt, erzeugt bereits eine gewisse Reibung. Die jeweiligen filmischen Klischees, die damit assoziiert sind, wollen nicht recht zusammenpassen, das Genrekino mit den kühnen Nahkampf­choreografien und die Kulisse der Ewigen Stadt mit ihren romantischen Assoziationen. Der italienische Schauspieler und Regisseur Gabriele Mainetti setzt den Kontrast in seinem Film „Kung Fu in Rome“ von Anfang an mit einem Selbstbewusstsein ein, das signalisiert, dass er sich um solche Grenzziehungen wenig schert.

Ungewöhnlich ist schon der Auftakt der Handlung, der nach China im Jahr 1995 führt. Nachdem Texteinblendungen an die „Ein-Kind-Politik“ erinnern, die dort von 1979 bis 2015 galt, sieht man auf einer Art verlassenem Bauernhof einen Vater mit zwei kleinen Töchtern beim Kung-Fu-Training. Die Liebe habe sich eben nicht immer an die Regeln gehalten, erklärt die Einblendung.

Der Film

Kung Fu in Rome“. Regie: Gabriele Mainetti. Mit Yaxi Liu, Enrico Borello u. a. Italien 2025, 138 Min.

Als sich auf der Landstraße ein Fahrrad nähert, wird eines der Mädchen von der Mutter im Innern des Hauses in einen Schrank gezerrt. Die erwachsene Mei (Yaxi Liu) schildert später, dass das ihr Leben war: Sie musste zu Hause im Verborgenen bleiben, während ihre Schwester Yun zur Schule ging, sich mit Freunden traf und ihr hinterher von all dem nur erzählen konnte.

Der eigentliche Plot setzt ein mit Mei, die mit einer Gruppe von verschreckten jungen Frauen in einem Lieferwagen sitzt und durch düstere Tunnel und Hinterhöfe schließlich bei einem Frauenhändler landet. Dessen grobe Worte lassen wenig Zweifel daran, welches unerfreuliche Schicksal die Frauen erwartet.

Kreativer Einsatz von Tischkanten und Hardwarediscs

Aber was sich als düsterer Sozialthriller anlässt, verwandelt sich binnen Sekunden in dynamisches Martial-Arts-Kino: als nämlich Mei an der Reihe wäre, sich auszuziehen, stattdessen aber den Frauenhändler­schergen zeigt, wie man mit gezieltem Kickboxen und kreativem Einsatz von Tischkanten, Hardwarediscs oder Küchenreiben einen Pfad der Verwüstung im Bordell-und-Restaurant-­Imperium des Mr Wang (Chunyu Shanshan) hinterlässt.

So kämpft sich Mei durch verschiedenste Räumlichkeiten, an Kunden, Gästen und Angestellten vorbei und oftmals mitten durch sie hindurch, aber am Ende ist sie ihrem Ziel, ihre Schwester Yun zu finden, nicht näher gekommen. In den Straßen des bunten römischen Stadtviertels Esquilino gelandet, verfügt sie lediglich über die Adresse einer Trattoria da Alfredo, um als Nächstes nach Yun zu fragen.

Schon zuvor erzählte Mainetti eine Geschichte über einen italienischen Superhelden

In der Trattoria dann kommt es endgültig zum Kulturclash. Als Mei sich, entschlossen wie eine Furie, in die Küche vorkämpft, kriegt sie lediglich den kleinlauten Marcello (Enrico Borello) zu fassen, der vom eigenen Leben schon geprügelt genug zu sein scheint, als dass er groß Widerstand leisten wollte.

Marcello, so stellt sich heraus, fühlt sich ziemlich überfordert vom Betrieb des überschuldeten Restaurants. Sein Vater Alfredo habe ihn und seine Mutter für eine chinesische Geliebte im Stich gelassen und sei spurlos verschwunden. Es braucht noch einige Actionsequenzen, bis auch Marcello begreift, dass es sich bei der Geliebten um Meis Schwester Yun handelt.

Filmische Hommage auf Rom-Klassiker

Die Ruhephase vor dem kulminierenden dritten Akt nutzt Regisseur Mainetti für einen erneuten Schwenk zu etwas ganz anderem: Er lässt Marcello und Mei auf einer Vespa durch Rom kreuzen und ausführlich Gregory Peck und Audrey Hepburn in „Ein Herz und eine Krone“ ihre Hommage erweisen: „Da links ist die Bocca della Verità!“ Aber ähnlich stur, wie Hepburns Prinzessin zu ihren majestätischen Pflichten zurückkehrt, hält Mei an ihren Racheplänen gegen Mr Wang fest.

Mit seinem Gespür für einen kühnen Genremix bestach schon Mainettis erste Langfilmregie 2015 bei „Sie nannten ihn Jeeg Robot“, der in Deutschland 2017 nur auf DVD herauskam. Darin erzählte Mainetti eine italienische Superheldengeschichte: Ein Kleinganove flüchtet in den Tiber, wo er versehentlich mit radioaktivem Abfall in Kontakt kommt. Im Folgenden lernt er die übliche Lektion, dass auf die großen Kräften auch die große Verantwortung folgt.

Mit Verweisen auf den Italowestern, auf Mafiafilme und die Popularität japanischer Mangas in Italien war „Sie nannten ihn Jeeg Robot“ nicht nur ein sehr dynamischer Kinospaß, sondern Mainetti verstand es auch, seinen Helden in einem authentischen Rom anzusiedeln und ganz nebenbei reale sozialkritische Themen aufzunehmen. In Italien erwies sich der Film als ­sleeper hit und wurde schließlich mit einer ganzen Welle von Preisen ausgezeichnet.

Frischer Blick auf die Migrationsgesellschaft

Mainettis zweiter Film „Freaks Out“ – der in Deutschland auch nicht ins Kino kam – landete 2021 sogar im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig, wo die Mischung aus ­Zweiter-Weltkrieg-Geschichte und Fantasy aber wenig Beachtung fand – obwohl Mainetti auch hier Wege ersann, die üblichen Klischees über das faschistische Italien mit einer gewissen Comic­sensibilität auszuhebeln und von Außenseitertum zu erzählen.

„Kung Fu in Rome“ ist im Vergleich zu den beiden Vorgängerfilmen Mainettis bislang konventionellster Film. Die deutsche Synchronisation, die dem Gangsterboss Annibale endlos „Cazzo!“ in den Mund legt, lässt die Dialoge erst recht abgedroschen erscheinen.

Aber was Mainetti erneut gelingt, ist die Verbindung aus Filmplot und sehr realem Schauplatz. Hier ist es das multikulturelle römische Viertel ­Esquilino, durch das er seinen Helden Marcello mit großer Offenheit für die verschiedensten ethnischen Communitys schreiten lässt.

Ähnlich wie im deutschen Kino kommt auch im italienischen die Migrationsgesellschaft sonst nur in Krimis oder in Problemfilmen vor. Mainetti lässt sie in seiner sinoitalienischen Kultur­clashgeschichte einen betont friedlichen Hintergrund bilden. Als Marcello an der Seite von ­Annibale einmal eine Wohnung ausspäht und eine Frau im Tschador mit ihrem kleinen Kind vorbeigeht, kommentiert dieser: „So weit ist es schon mit uns gekommen, jetzt halten die uns für Diebe!“ Später kocht Marcello Nudeln mit Teebaumöl – das ist italienische Toleranz am Limit.

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