Kunstausstellung zu Otto Piene: Mehr Raum und Licht, mehr Freiheit

In der Berliner Nationalgalerie wurde das Werk „The Proliferation of the Sun“ von Otto Piene reinszeniert. Fast wie in den Sechzigern.

Hier in der Version von 1967 zu sehen: Otto Pienes „The Proliferation of the Sun“. Bild: Walter Vogel

Die Berliner Nacht, so heißt es immer, hält die aufregendsten Dinge bereit. Hier erlebt man das Wildeste, Ungewöhnlichste, Irrsinnigste. Auch wenn das nicht immer stimmt, könnte es zumindest diesen Sommer wahr sein.

Wer in den nächsten Wochen einmal nachts an der Neuen Nationalgalerie vorbeiläuft, der wird ein erstaunliches Spektakel beobachten: In Abständen von wenigen Sekunden schießen dort abstrakte Bilder in wildesten Kombinationen von Blau, Braun, Grau, Pink, Gelb, Orange, Rot, Violett durch den Raum, als würde dort gerade etwas Übernatürliches geboren werden.

Betritt man das Museum, kommen zu den fast laborhaft wirkenden Farb- und Formimpressionen, die auf diverse Leinwände und auf einen dicken Ballon in der Mitte des Raumes projiziert werden und jeden Besucher als Schatten in sich aufnehmen, das Klicken eines Diaprojektors und laute Ansagen hinzu: „Projectors, please set time at five seconds“ heißt es dort, oder „set time at 15 seconds“ oder „highest speed“ oder einfach nur „the sun, the sun, the sun“.

Die Sonne kommt näher

Bis 31. August, Neue Nationalgalerie, Berlin. Katalog, Buchhandlung Walther König, Köln 2014, 237 Seiten, 29,80 Euro.

Die hier aufgeführte Reinszenierung der 1968 erstmals in New York gezeigten Diaarbeit „The Proliferation of the Sun“ („Die Sonne kommt näher“) ist Teil einer dreiteiligen Retrospektive „More Sky“ des deutschen Avantgardekünstlers Otto Piene. Weitere Stationen sind: eine Ausstellung in der Deutschen Bank Kunsthalle und ein „Sky Art“-Event am 19. Juli, bei dem drei bunte, bis zu 90 Meter hohe Objekte in den Berliner Himmel hochgelassen werden.

Die Neue Nationalgalerie, in der schon so manche Kunst in der Weite des Raums ertrank, ist der ideale Ort für diese beeindruckende Multimediaarbeit. Trotzdem hegt der Künstler als Mitbegründer der avantgardistischen Gruppe Zero, die sich in den späten fünfziger Jahren mit der Idee eines radikalen Neuanfangs der Kunst („Zero ist die Stille. Zero ist der Anfang. Zero ist Zero.“) um ihn, Heinz Mack und später Günther Uecker formte, eine gesunde Skepsis gegenüber Museen und überhaupt dem gesamten Betrieb.

„Es gibt die Kunstwelt und eine Welt der Kunst“ schreibt er in seiner manifestartigen Schrift „More Sky“. Erstere, so Piene, ist eine Form des Showbusiness, eine Maschine, in der jeder Akteur meint, etwas zu bewegen, wenn er in Wahrheit nur bewegt wird. Die Welt der Kunst hingegen, das ideale Pendant, ist offener, sie umfasst alles und jeden. Der Künstler-Bürger, wie Piene ihn nennt, ist darin ein Vehikel, um Energie freizusetzen, oder anders gesagt: Er schafft dem Menschen ein anregendes Umfeld.

Mitbegründer der Medienkunst

Ein bisschen Esoterik, man vermutet es schon, schwingt bei Piene immer mit, nur verhält sie sich so diskret und überhaupt nicht bekehrend, dass sie erträglich und sogar sympathisch ist. Vielleicht weil es ein bisschen beeindruckt, dass ein Mann in seinem Alter (86 Jahre alt), der als Mitbegründer der Medienkunst gilt und über zwei Jahrzehnte als Leiter des Center for Advanced Studies am Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrte, also einer, der mit technischen Daten und Fakten umzugehen weiß, sich einen so einfachen, fast kindlichen Blick auf die Dinge bewahrt hat.

Kunstwerke, das sind bei Piene keine Marktobjekte, sondern Energie- und Experimentierfelder, der Betrachter von Kunst betrachtet sie, weil er sich an ihr auftanken kann. Das mag kurz naiv klingen, ist es aber nicht, denn er kann es tatsächlich. Pienes Diashow gibt starke sinnliche Impulse, wer durch das 25-minütige Farb- und Lichtbad watet, fühl sich berauscht, betört, aufgeweckt.

Für die Berliner Neue Nationalgalerie, die nach dieser Ausstellung ihre Pforten für mindestens drei Jahre Renovierungsarbeit schließen wird, ist die Wahl ebenso klug wie mutig. Mutig, vor allem wegen der veränderten Öffnungszeiten, die bis Ende August auf 22 bis 3 Uhr nachts verlegt sind, mutig auch, weil der Name Otto Piene trotz wachsendem Interesse an Zero nicht jedem etwas sagt und Diakunst auch altbacken wirken könnte.

Sitzkissen und kleine Bar

Klug, weil sie das eben nicht tut, sondern jeden Besucher ganz unmittelbar einbezieht und berührt, egal ob er sich der kunstgeschichtlichen Relevanz bewusst ist oder nicht. Zwar geht die Idee von Udo Kittelmann, dem Direktor der Nationalgalerie, und Kurator Eugen Blum, die Arbeit so zu zeigen, wie man sie auch damals sah, nicht ganz auf, einfach weil sich der staatstragende Glaskasten trotz Sitzkissen und kleiner Bar mit farblich angepassten Cocktails nicht in ein rauchiges Off-Theater des New York der sechziger Jahre verwandelt, nur ist das gar nicht schlimm.

Das Erlebnis ist dem von damals wahrscheinlich trotzdem ähnlich (auch wenn das, wie eine Besucherin bemerkt, dort vielleicht noch durch bewusstseinserweiternde Drogen intensiviert wurde).

Bilder gnadenlos in Brand gesteckt

Wesentlich ruhiger geht es in der Deutschen Bank Kunsthalle zu, in der man vor allem Arbeiten der Zero-Zeit sieht, jenen Jahren ab 1958, als Piene und Mack in ihrem Düsseldorfer Atelier Ein-Abend-Ausstellungen veranstalteten und neue Wege für die Kunst im Nachkriegsdeutschland erprobten. Statt den Lichtkünstler entdeckt man Piene hier als Rauchkünstler, der seine Bilder gnadenlos in Brand steckte, sie „kochte“, wie er sagt, um, ähnlich einem Lucio Fontana, neue Tiefen und Oberflächenstrukturen auf der Leinwand zu erzeugen.

Spektakulärer und wegweisender hätte der Berliner Kunstsommer nicht beginnen können, denn „Mehr Himmel“ heißt im Sinne Otto Pienes am Ende vor allem mehr Raum, mehr Freiheit, mehr Traum.

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