Kunstevent in Hildesheim: Die uneitle Kunst

Lichtkunst ist niedrigschwellig – auch Laien können sich daran erfreuen. Bei der Lichtkunstbiennale „Lichtungen“ in Hildesheim hat das funktioniert.

Die Silhouette einer Person vor einer Lichtinstallation

„Origin“ von Philipp Mohr und Julian Mandernach mit dem von einem Besucher bedienten Theremin Foto: Christian Wolters

Ausnahmezustand im mittelgroßen Städtchen Hildesheim. Wie alle zwei Jahre stellen Künstler*innen aus der ganzen Welt ihre Lichtkunst im Rahmen des Festivals „Lichtungen“ verstreut in der Stadt aus, draußen und drinnen. Neben dem öffentlichen Raum verwandeln sich viele Kirchen in Ausstellungsräume – und davon hat die Stadt reichlich. Der Dom und die Michaeliskirche gehören sogar zum Unesco-Weltkulturerbe.

Chefkuratorin Bettina Pelz ist zufrieden: „Das diesjährige Thema sind die Metaphern des Lichts. Lichtphänomene als Sinnbilder sind in vielen Kulturen und Sprachen präsent. Dem gehen wir in diesem Ausstellungsprojekt nach.“ Die Gruppe Xenorama beispielsweise, die sich in der Lichtkunst-Szene bereits einen Namen in Häuserfassaden-Mapping gemacht hat, beleuchten den Innenraum der St.-Andreas-Kirche.

Betritt man das Kirchenschiff, taucht man in eine Lichterflut ein, die Wände und Decken bespielt und die räumlichen Grenzen vergessen lässt. Farbverläufe vollziehen die architektonischen Details nach, bauen sich auf und verschwinden wieder.

Herausragend ist auch das Objekt des Lichtkünstlers Philipp Mohr und des Komponisten Julian Mandernach, das skulptural im Dommuseum platziert ist. Wie eine galaktische Supernova scheinen einzelne Sternschnuppen aus einem zentralen Mittelpunkt heraus in alle Richtungen nach außen zu explodieren. Diese Sternschnuppen sind auf Stahlfäden aufgespannte, ungefähr ellenlange weiße Stangen, die durch zwei Projektoren angestrahlt werden.

Handlungsspielräume erkunden

„Origin“, wie Mohr das Objekt genannt hat, ist nicht nur eine Skulptur, sondern eine interaktive Installation. „Über das Theremin, ein altes elektrisches Instrument, kann das Objekt gesteuert werden“, erklärt Mohr, „die Zuschauer bestimmen, in welchem wechselnden Licht die Stäbe erstrahlen. Sie können so auf visuelle und auditive Art und Weise die Auswirkungen ihres eigenen Handels und ihrer eigenen Bewegung erfahren.“

Die einzige nichtchristliche religiöse Kooperationspartnerin ist die Selimiye-Moschee. „Gerne wollten wir auch mit dem jüdischen Friedhof zusammenarbeiten. Das ging leider aus Sicherheitsgründen nicht“, sagt Bettina Pelz. In der Moschee und in der St.-Mauritius-Kirche stellen die Künstlerinnen Houda Ghorbel und Wadi Mhiri aus. Feine arabische Schriftzeichen in fast übersinnlich leuch­tender grünlicher Schrift ziehen sich durch die Räume. „Es war uns wichtig, dass wir auch den interreligiösen Dialog fördern“, sagt Jule Kriesel aus dem Kurationsteam.

Dass die Selimiye-Moschee zum türkischen Verband Ditib gehört, der dem türkischen staatlichen Präsidium für religiöse Angelegenheiten untersteht, wird vom Team der „Lichtungen“ ausgeklammert. Das wirft die alte Frage auf, die sich in der Praxis von Kooperation und Bündnisarbeit immer stellt: Über welche Differenzen darf man hinwegsehen, um den Dia­log zu fördern? Wen integriert man, wer wird durch die Integration des einen ausgeschlossen?

Ohne Sponsorengeld keine Kunst

Finanzielle Kooperationspartnerin sind die Evi-Stadtwerke, die die Region Hildesheim mit Energie versorgen. „Die Evi stellen ein Drittel der Finanzierung“, sagt Chefkuratorin Bettina Pelz, „ohne die Evi wäre aus dem Projekt kein wiederkehrendes Ausstellungsformat geworden.“ Auch hier tritt die prekäre Grundfinanzierung von Kunst wieder zutage: Die öffentliche Hand fördert Kunst zu wenig. Wer etwas bewegen möchte, ist gleichsam gezwungen, sich von privaten Sponsoren und Konzernen abhängig zu machen.

Im Gegensatz zur abgeschotteten „Hochkultur“ allerdings wird bei den „Lichtungen“ die Kunst ortsspezifisch in den alltäglichen Stadtraum gebracht und somit vergesellschaftet. Philipp Mohr macht besonders die Perspektive der örtlichen wie intellektuellen Zugänglichkeit stark: „Kunst steht nie im luftleeren Raum. Meist ist sie aber sehr elitär und unzugänglich. Lichtkunst ist niedrigschwellig. Man kann auch Freude daran haben, ohne einen Master in Kunstwissenschaft zu haben.“

Das scheint zu funktionieren. Bereits am ersten Abend ist ein Großteil der Stadtgesellschaft auf den Beinen, Pelz spricht von bis zu 5.000 Besucher*innen. „Die Menschen treten in Dialog, miteinander und mit den Kunstwerken. Es ist eine der Besonderheiten der Erfahrung der künstlerischen Arbeit mit Licht, sie regt das Sehen an und öffnet neue Perspektiven.“ Der Eintritt ist frei, eine weitere abgebaute Hürde. „Ich gehe nie ins Museum“, sagt eine ältere Besucherin, „aber das hier ist in Highlight.“ Wie recht sie hat.

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