Kunstfestival „Hallen 06“: Größe als Alleinstellungsmerkmal
Bei den Berliner „Hallen 06“ ist genug Platz, Kunst in Szene zu setzen. Neben Galerien präsentieren sich dort auch Institutionen und Sammlungen.

Fünf stählerne Kakteen, fast fünf Meter hoch, entwachsen dem Betonboden der Halle B auf dem Gelände der Wilhelm Hallen im Berliner Stadtteil Reinickendorf. Sie werfen lange Schatten, die sich bei näherer Betrachtung als künstlich entpuppen. Echt ist jedoch das Schattengitter, das die Dachstruktur des alten Industriegebäudes darüberlegt. Die Skulpturen von Stefan Knauf sind im Rahmen des jährlichen Kunstfestivals „Hallen“ perfekt in Szene gesetzt.
Galerist Robert Grunenberg, der Knauf vertritt, ist zum ersten Mal dabei. „Wir wollten unbedingt mitmachen“, sagt er. Gerade der Ort habe ihn sofort überzeugt. „Architektonisch stark, viel Tageslicht, ideal für eine ortsspezifische Präsentation.“ Und somit ideal für Knaufs Kakteen. „Das Licht schimmert auf den Oberflächen, es hat fast etwas Traumhaftes – und gleichzeitig diese kühle Avantgardeness, die mich reizt“, so Grunenberg. In seiner Erdgeschossgalerie auf der Kantstraße hätte er den Kakteenhain nicht zeigen können.
5.000 Euro zahlen Galerien, um in den Hallen eine großformatige Arbeit zu zeigen, die sie in den eigenen Räumen kaum unter oder effektvoll in Szene gesetzt bekämen. Unweit der Knaufschen Kakteen schäumt eine riesige Seifenblasenmaschine von David Medalla, den Weg dorthin säumen seine kinetischen Zengarten-Skulpturen. Genau so hatte er die Arbeiten schon vor Jahren zeigen wollen, doch nie war bislang Platz gewesen. Die Galerie Mountains ist wie auch Grunenberg in diesem Jahr für den VBKI-Preis Berliner Galerien nominiert.
Kunstfestival seit sechs Jahren
Größe hat sich über die Jahre als ein Alleinstellungsmerkmal der Hallen etabliert. „Hallen 06“ ist die sechste und umfangreichste Ausgabe einer Initiative, die mal recht klein unter dem Namen „K60“ gestartet ist: 2020, mitten in der Coronapandemie, mit sieben Berliner Galerien. Drei davon, Alexander Levy, Klemm’s und ChertLüdde sind noch dabei.
„Hallen 06“, Wilhelm Hallen, Berlin-Reinickendorf bis 14. September 2025
„Die Galerien, die hier mitmachen, spekulieren natürlich schon darauf, dass sie hier Kunst verkaufen können“, sagt Unternehmer Philipp Solf, dem die Hallen gehören, und der die Veranstaltung gemeinsam mit Designer Omer Arbel und Galerist Alexander Levy initiiert hat. „Aber sie verstehen mittlerweile, dass es eher die Chance ist, sich zu präsentieren.“
Wer bei „Hallen 06“ ausstellt, wird auf jeden Fall gesehen. Rund 19.000 Menschen waren im vergangenen Jahr bei „Hallen 05“. Am Eröffnungswochenende seien es in diesem Jahr knapp 5.000 gewesen, so Solf. Er erwarte den Ansturm am zweiten Wochenende, beruft sich dabei auf Erfahrungswerte.
„Wir finden vor allem die Atmosphäre sehr gut“, sagt Anne Schwanz, die gemeinsam mit Johanna Neuschäffer die Galerie Office Impart betreibt. „Es ist ein bisschen ein Zwischending von Messe und Kunstfestival, das sowohl von der Kunstwelt, aber auch von Kunstinteressierten besucht wird.“ Sie beschreibt das Format als lebendig und zugänglich. Es gebe einen „wunderbaren Überblick der vielfältigen zeitgenössischen Kunstszene Berlins“.
Galerien aus Berlin
Tatsächlich kommen von 20 Galerien 19 aus Berlin und auch darüber hinaus gibt es diverse Verbindungen zur Kunstszene der Stadt. Die Berlinische Galerie hat an mehreren Orten auf dem Gelände Aufblastetrapoden von Abie Franklin und Daniel Hölzl installiert.
Die Sammlung Fluentum zeigt ausnahmsweise mal Videokunst, die sich nicht auf einem USB-Stick speichern lässt: die Autoinstallation „Autofiction“ von Moritz Hirsch. Und Kuratorin Shelly Lea Reich zeigt in einer Gruppenausstellung diverse von Berliner Galerien vertretene Künstler: Nicolás Lamas (Max Goelitz), Shinoh Nam (Nadan), Jack O’Brian (Capitain Petzel).
Das Mitwirken von Institutionen, Sammlungen, einzelnen Künstler:innen und kuratorischen Formaten hat bei den Hallen inzwischen Tradition. 16 solche Projekte ergänzen das kommerzielle Galerieprogramm. Vermehrt sind Aussteller vertreten, die teils gar keine Räume haben, etwa Sammlungen wie die Mercedes-Benz Kunst Collection, jedenfalls keine Räume in Berlin.
So bespielt die Kunsthalle Giessen einen Raum mit grotesk-erotischen Bildwelten von Sibylle Ruppert, einer Freundin von HR Giger. Direktorin Nadia Ismail erhofft sich davon Synergieeffekte für die Künstlerin und die Institution.
Hoffnung auf posthumen Erfolg
„Ruppert war ihrer Zeit voraus, und in einer Männerdominierten Kunstwelt wurden ihre meisterhaften Zeichnungen mit mitunter gewaltpornografischen Inhalten nicht gewürdigt“, sagt sie. „Ich hoffe, dass sie postum zu ihrem wohlverdienten Erfolg kommt.“ Die Präsenz in den Wilhelm Hallen soll dazu beitragen.
„Hallen 06“ vereint Interessen ganz unterschiedlicher Akteur:innen des Kunstbetriebs. Vor allem, scheint es, ist das Festivalformat aber fürs Publikum konzipiert. „Es ist Entertainment!“, erklärt Veranstalter Solf die Beliebtheit der Hallen im Vergleich zu anderen Kunstveranstaltungen. „Du kannst dich von unterschiedlichen Kunstgenres berieseln lassen, dich an den Arbeiten erfreuen oder darüber ärgern“, sagt er. „Gleichzeitig kannst du dir ein Glas Wein oder eine Wurst gönnen.“
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