Kurz-Doku „Tradwives“ beim ZDF: Hübsche, junge Kulturkämpferinnen
In den USA sind „Tradwives“ ein Trend und die Übergänge zum Trump-Lager fließend. Die ZDF-Doku kratzt allerdings nur an der Oberfläche.
KNA | Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm, die kocht und backt. Ihr Mann gibt ihr einen Kuss, bevor er zur Arbeit fährt. Auf dem Küchentisch stehen Blumen, im Schrank hängen hübsche Kleider. Mit diesen zunächst mal recht allgemeinen Bildern beginnt eine Doku über die sogenannte Tradwife-Bewegung in den USA. Tradwives – so nennen sich Frauen, die sich als „traditionelle“ Ehefrauen und Mütter verstehen und diesen Lebensstil propagieren: sich dem Ehemann unterordnen, viel Sex haben, gemeinsam beten.
Gleich die erste Protagonistin der Doku „Tradwives: Sittsam, hübsch, perfekt“ ist erfolgreiche Influencerin: über 770.000 Follower auf Instagram, mehr als 19 Millionen Likes auf Tiktok. Der Film zeigt, wie sie für einen Beitrag lächelnd Milch in einen Topf gießt – und erwähnt en passant, dass sie damit rund 18.000 Dollar pro Monat verdient. Damit deutet die lediglich 25-minütge Doku eine Dissonanz immerhin an: Frauen, die nach außen eine Hausfrauenrolle propagieren, sind in Wahrheit erfolgreiche Unternehmerinnen, sobald sie mit Kooperationen und Reichweite Geld verdienen. An dieser Stelle hätte eine klare Benennung gutgetan.
Widersprüche und ideologische Aufladung
Ebenso, wenn 3.000 junge Frauen zwischen 17 und 19 Jahren an einem Treffen der rechtspopulistischen Organisation Turning Point USA teilnehmen und „den Feminismus“ ablehnen – obwohl ihnen ohne frühere Frauenrechtsbewegungen vermutlich die Möglichkeit fehlen würde, sich überhaupt frei für ihre jeweiligen Lebensentwurf entscheiden zu können. Doch hier zeigt sich, wie ein vermeintlich privates Lebensmodell ideologisch überhöht wird. Aus dem „Privaten“ wird ein „Wir gegen die anderen“. „Die anderen“ – das sind angeblich Feministinnen, die für „toxische Weiblichkeit“ stehen, wie es eine Kongressteilnehmerin nennt und gleich als größtes Problem des Landes bezeichnet.
„Tradwives: Sittsam, hübsch, perfekt“, 25 Minuten, in der ZDF-Mediathek
Auch die Nähe zum Trump-Lager wird sichtbar. Auf dem gleichen Kongress für junge Frauen tritt – es ist noch Wahlkampf – Lara Trump, die Schwiegertochter des heutigen Präsidenten, auf, spricht offen über die bevorstehende Wahl und fragt, wer Donald Trump wählen werde. Jubel brandet auf. Das macht deutlich, dass diese Bewegung nicht selten politische Überschneidungen nach rechts hat. Immerhin differenziert der Film: nicht jede Tradwife ist automatisch rechts. Auch kritische Stimmen finden Platz – etwa, wenn die veranstaltende Organisation als „Gelddruckmaschine“ bezeichnet wird.
Eine zusätzliche Brisanz erhält das Thema durch eine aktuelle Entwicklung, die bei der Produktion wohl niemand voraussehen konnte: Der Gründer von Turning Point, Charlie Kirk, der in der Doku selbst einen kurzen Auftritt hat, wurde bei einer Veranstaltung in Utah am 10. September – einen Tag nach der Veröffentlichung der Doku in der Mediathek – angeschossen und starb kurz darauf.
Fehlende Einordnung
Was der Film aber völlig schuldig bleibt, ist Einordnung. Eine Definition von Feminismus? Fehlanzeige. Bibelstellen, die Paare aus dem Zusammenhang reißen, um ihr Rollenmodell zu rechtfertigen, bleiben unkommentiert. Auch bei Aussagen wie jener, dass Feminismus und gutes Aussehen nicht zusammenpassten, fehlt jeder Widerspruch. Dafür romantisieren junge Frauen das vermeintliche Lebensmodell ihrer Großmütter und diese „gute alte Zeit“ – ohne dass die Doku auf die Schattenseiten des Lebens früherer Generationen verweist.
Immerhin werden einzelne Aussagen als „kontrovers“ markiert, so etwa bei einem Ehepaar, das erklärt, weder sie noch er hätten Freunde des jeweils anderen Geschlechts. Doch statt diese Aussage zu hinterfragen, wird sie einfach stehen gelassen. Auch das Wort „Hater“ fällt, ohne dass zwischen Hass und möglicherweise berechtigter Kritik differenziert würde. Solche Unschärfen wiederholen sich – und lassen Leerstellen, die der Film hätte füllen müssen.
Zu wenig Raum für Aussteigerinnen
Erst nach der Mitte des Films gibt es eine andere Perspektive: Eine Aussteigerin schildert ihre Erfahrungen. Gerade einmal sieben Minuten widmet ihr die Doku, weniger als ein Drittel der Gesamtlänge. Dabei sind ihre Aussagen zentral. Sie spricht über enormen Druck, über doppelte Moral und wie schwer es ist, aus diesem Lebensstil auszubrechen – vor allem, wenn eigene finanzielle Mittel fehlen. Sie nennt den gezeigten Kongresse „Gehirnwäsche“, verweist auf die leicht zu durchschauende Fassade mancher Tradwife-Influencerinnen und macht auch sichtbar, wie sehr diese Denkweise über Generationen weitergegeben wird – wie es auch bei ihrem Ex-Mann der Fall war.
Eine Anwältin, die ehemalige Tradwives berät, schildert zudem, dass viele Frauen wegen ihrer ökonomischen Abhängigkeit nicht den Mut finden, den Schritt ins eigene Leben zu wagen. Deutlich wird auch, wie Ex-Partner Druck ausüben können, sei es bei Begegnungen im Rahmen des Sorgerechts oder durch subtile Kontrolle. Hier kratzt die Doku an einem hochrelevanten Thema, würdigt es aber nicht angemessen.
Weitere verpasste Fragen
Auch andere Aspekte bleiben außen vor. Etwa das Rollenbild der Männer als Versorger, die genug Geld, Stärke, aber auch die Verantwortung haben, um Frau und Kinder zu „tragen“. Welche Belastung dieses Ideal für Männer selbst bedeutet, wird nicht thematisiert. Und nur einmal wird eine Tradwife mit ihrer eigenen Doppelmoral konfrontiert: Vor großem Publikum ruft sie dazu auf, viele Kinder zu bekommen und eine „gute Ehefrau“ zu sein – gibt aber selbst zu, weder verheiratet noch Mutter zu sein.
Kritische Fragen zu Altersvorsorge, finanzieller Sicherheit oder dem Risiko, wenn der Alleinverdiener stirbt, werden den Frauen im Film nicht gestellt. Solche Momente hätte es aber öfter gebraucht.
Wer bisher nichts von dieser Thematik gehört hat, erhält in „Tradwives: Sittsam, hübsch, perfekt“ einen guten Überblick. Doch vieles lässt einen auch ratlos zurück. Der Film ist einerseits eindrücklich, weil er zeigt, wie schnell ein privater Lebensentwurf eine politische Dimension bekommt. Gleichzeitig bleibt er unbefriedigend, weil er zentrale Fragen nicht stellt, Widersprüche nicht ausreichend auslotet und entscheidende Stimmen zu kurz kommen. So bleibt am Ende der Eindruck: ein spannender Einblick – aber auch eine verpasste Chance.
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