Kurzgeschichten von Dantiel W. Moniz: Die Monstermädchen

Nähe, Fremdheit, Liebe und Verachtung: In den Kurzgeschichten von Dantiel W. Moniz sind Gefühle kompliziert. Rassismus zeigt sich beiläufig.

Die Autorin Dantiel W. Moniz hat den Kopf auf den Arme gestützt und sieht in die Kamera

Liebe ist bei der Autorin Dantiel W. Moniz eine Kraft mit vielen Gesichtern Foto: Marissa Pilolli

Monster und Mädchen. Mit Kontrasten zieht Dantiel W. Moniz die Lesenden in ihre Titelgeschichte „Milch Blut Hitze“ hinein, die ihr Debüt eröffnet. Darin fühlen sich Kiera und Ava, zwei 13-Jährige, manchmal genau so: wie „Monstermädchen“.

Es sei ihre Absicht gewesen, so die 1989 in Florida geborene Autorin in einem Interview, dass die Leute gleich wüssten, was sie erwarte in den elf Geschichten, in denen sie von meist weiblichen Figuren erzählt, oft People of Color wie sie selbst. Und die titelgebende Erzählung ist gleich schon einmal von einer bestürzenden und berührenden Intensität. Wiederkehrende Themen und Motive verdichten sich hier, sie ist ein guter Wegweiser.

„Rosa ist die Farbe für Mädchen“, sagt Kiera zu Beginn, doch führt dieses Rosa nicht ins plüschige Prinzessinnenzimmer, sondern vereint den scheinbaren Gegensatz von Blut und Milch. Diese färbt sich rosa, als beide ihr Blut hineintropfen lassen, um sie anschließend zu trinken: „,Blutsschwestern', murmelt Ava und fühlt sich, als sei die Zeit dehnbar geworden – noch so ein Gefühl, das sie nicht erklären kann.

Sie stellt sich vor, wie Kieras Blut von ihrem Körper aufgenommen wird und die Haut des Dünndarms durchdringt, wie sie es sich einverleibt, bis es keinen Unterschied mehr gibt zwischen ihrem eigenen und dem Blut der Freundin.“ Unter der Haut sind Ava und ihre weiße Freundin Kiera nun gleich.

Dantiel W. Moniz: „Milch Blut Hitze“. Aus dem Englischen von Claudia Arlinghaus und Anke Caroline Burger. C. H. Beck, München 2022, 230 Seiten, 23 Euro

Verstörende Fremdheit

Moniz erzählt aus Avas Perspektive von der beide Mädchen verstörenden neuen Fremdheit sich selbst, dem eigenen Körper und der Welt gegenüber. Momente kraftvoller Energie und der Zerbrechlichkeit liegen auf schwindelerregende Weise dicht beieinander in dieser besonderen Mädchenzeit, in dieser Verbundenheit.

Moniz behandelt diese Erfahrungen literarisch mit größter Wertschätzung, macht daraus feinfühlige, großartige Literatur; findet dafür ungewöhnliche, oft körperbezogene Bilder, wie das der Einverleibung der anderen über deren Blut. Beider Unruhe und unbestimmte Traurigkeit beschreibt sie als ein „Heulen“, das nie verstummt, doch sich beruhigt „zu einem Schnurren, das hinter ihren Rippen und in der Haut zwischen ihren Fingern zu Hause ist“.

Die zerreißende Ambivalenz von Mutter-Tochter-Beziehungen gerade in dieser Zeit, vereinfacht Pubertät genannt, ist ein weiteres Thema der Autorin, das sich aus ersterem ergibt. Ava möchte „das warme, braune Gesicht ihrer Mutter küssen. Es ohrfeigen, bis ihr die Hände wehtun.“

In „Die Herzen unserer Feinde“ fragt sich die Mutter einer 17-Jährigen, ob „diese nahezu universelle Verachtung, die etliche Töchter ihren Müttern gegenüber zu entwickeln scheinen, vielleicht sogar notwendig ist, damit sie sie später einmal schätzen können – ob Liebe ohne Verachtung nicht möglich ist.“

Lebensschicksale

Liebe – nicht nur die zwischen Töchtern und Müttern – ist bei Moniz eine Kraft mit vielen Gesichtern. Die Ich-Erzählerin in „Festmahl“ hasst ihren Mann geradezu dafür, dass er scheinbar weniger als sie unter dem Verlust des Kindes nach einer Fehlgeburt leidet. Fred in „Den Himmel verloren“ empfindet angesichts der körperlichen Veränderungen seiner krebskranken Frau Momente von Ekel, doch gleichzeitig sehen die Lesenden einem in sich zusammenfallenden Mann zu, der unfähig ist, seiner Liebe und Angst Ausdruck zu verleihen.

Die Kommunikation scheitert oft bei Moniz, obwohl die Menschen viel voneinander wollen, viel übereinander nachdenken. Den Erzählungen wohnt eine Bewegung des Abwehrens, Ausweichens inne, die unerwartet gebrochen wird von einem Moment der Begegnung, in dem sich der Blick aufeinander verrückt. Das gelingt nicht im Sprechen, sondern über Berührungen, eine Geste – in dieser Körperlichkeit fallen flüchtige Zartheit und stärkende Intensität ineinander.

Kommunikation scheitert oft bei Moniz, obwohl die Menschen viel voneinander wollen

Eine Spannung, die in vielerlei Variationen Moniz’ Erzählen prägt und ihren Figuren Tiefe und schillernde Lebendigkeit verleiht. So persönlich deren Erfahrungen sind, so verweist die Autorin immer auch auf die gesellschaftlichen Bedingtheiten: Rassismus offenbart sich beiläufig, in einem Satz, einer präzisen Beobachtung. Patriarchale Verhältnisse, soziale Herkunft werden miterzählt, ohne im Vordergrund zu stehen.

Milch und Blut

Milch und Blut – die Schriftstellerin Dantiel W. Moniz greift diese Worte, diese Motive immer wieder auf, verknüpft sie als elementare im Sinne von Näherung, Leben (oder dessen Negierung oder Verlust), Möglichkeit von Mutterschaft (die sie hinterfragt), Verbindung (etwa der gemeinsame „Blutkreislauf“ der Mädchen). Es ist eine eigensinnige, gegenwartsgesättigte literarische Gestaltung dieser alten Motive, mit der Moniz in diesen Geschichten auf heutige Frauen schaut, ohne sie damit irgendwie festzuschreiben.

In der Titelgeschichte, die viele dieser Momente verbindet, wird es zu einer Tragödie kommen. Wie kann eine Teenagerin eine fremde Mutter trösten, die untröstbar ist? Dantiel W. Moniz erschafft in dieser literarisch so heiklen Szene ein vibrierendes Bild von eben jener sinnlichen, körperlichen Intensität, die die Zerbrechlichkeit ihrer Figuren spürbar macht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.