Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern: Die Hoffnung ist polnisch

Im Landkreis Uecker-Randow hetzt die NPD besonders heftig gegen Polen. Dabei profitiert die Region im Osten Mecklenburg-Vorpommerns von der offenen Grenze.

Bushaltestelle in Löcknitz mit Hetzplakat der NPD. Bild: Imago/Norbert Fellechner

LÖCKNITZ taz | Jessica Przybylski ärgert sich über ihre Heimat. Das liegt nicht daran, dass Jugendlichen nicht viel geboten würde in Löcknitz im Landkreis Uecker-Randow, hier ganz im Osten von Mecklenburg-Vorpommern, wo auf Feldern Strohballen in der Sonne trocknen. Eine idyllische Gegend, eigentlich.

Dass sich die 15-Jährige ärgert, liegt an der rechtsextremen NPD, die vor der Landtagswahl, die am kommenden Sonntag stattfindet, hier präsenter ist als die anderen Parteien. In keinem anderen Landkreis hat die NPD bei den letzten Wahlen 2006 so viele Stimmen erhalten. Um die 14 Prozent waren es hier in der Grenzregion zwischen Deutschland und Polen, 23 Kilometer westlich von Stettin.

Jessicas Eltern sind vor vielen Jahren aus Polen hierher gekommen, sie selbst wurde hier geboren. Jetzt ist sie gerade in die elfte Klasse gekommen. Sie findet es erschreckend, dass auch in ihrer Klasse einige sagen, dass sie die NPD wählen würden.

Zusammen mit Paul Gast, dem zweiten Schülersprecher am Gymnasium, will sie vor der Wahl einen Aktionstag organisieren, das Motto: "Bunt statt braun".

Landtagswahl: Am kommenden Sonntag sind Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Laut Umfrage (Forschungsgruppe Wahlen, 26. 8.) kann die SPD mit 35 Prozent rechnen, die CDU mit 28, die Linkspartei mit 16,5, die Grünen mit 8 Prozent, NPD mit 4,5 und FDP mit 4 Prozent.

Koalitionen: Seit 2006 regiert eine SPD/CDU-Koalition. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) wird vermutlich weiter regieren können, sowohl Rot-Schwarz als auch Rot-Rot und Rot-Grün sind rechnerisch möglich.

NPD: Spitzenkandidat ist der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs, der 2010 wegen Volksverhetzung verurteilt wurde. Sein Stellvertreter Tino Müller kandidiert in Uecker-Randow. (taz)

Gerhard Scherer findet das gut. Er ist der Schulleiter der Europaschule, in der ein Teil der Schüler aus Polen kommt und die Deutschen Polnisch lernen können. Toleranz, das ist das, um was es geht, sagt er. Scherer redet sich schnell in Rage, sein Kopf wird rot.

Er will es nicht hinnehmen, "dass sich die NPD so breit macht". Deshalb sage er seinen Schülern immer wieder: Es ist egal, welche Partei ihr wählt, Hauptsache nicht NPD.

Das Gymnasium gibt es bald zwanzig Jahre, ein anderes Beispiel deutsch-polnischen Zusammenlebens ist ganz neu. Es liegt am Rande eines Wohngebietes, ein einladendes Gebäude mit Glastüren, über dem Sandkasten ein Sonnensegel.

Als der Bürgermeister vor einer Woche den deutsch-polnischen Kindergarten eröffnete, sprach er von einem Paradies. 41 von gut 250 Kindern sind polnisch und die Nachfrage steigt.

Denn seit einiger Zeit ziehen wieder Familien hierher, vor allem aus Polen. Wojciech Weglewski kam vor vor knapp drei Jahren. Er hat für seine Familie ein Haus gekauft, weil es hier deutlich günstiger ist als in Stettin. Weglewski hat dort eine Sprachschule, doch seine Kinder gehen hier in die Grundschule und die neue Kita. Ihm gefalle es hier, sagt er.

Einwohnerzahl wächst

Wegen der Zuzüge ist die Einwohnerzahl von Löcknitz wieder gestiegen, auf derzeit 3.200 Einwohner. "Wir müssen hier keine Wohnungen abreißen, im Gegenteil", freut sich Bürgermeister Lothar Meistring von der Linkspartei.

"Ohne die Ausländer wäre hier gar nichts los", sagt Jessica Przybylski. Viele Polen kommen hierher, um einzukaufen.

Doch auch wenn manche der neuen Einwohner Jobs schaffen, die Arbeitslosigkeit im Landkreis ist weiterhin hoch. Wenn dann einer der größten Arbeitgeber Mitarbeiter entlässt, ist die Verunsicherung groß.

Gut eine halbe Autostunde ist es von Löcknitz nach Torgelow zur Eisengießerei, die Teile für Windkraftanlagen baut. Weil die Lage sich verdüstert hat, will das Unternehmen jetzt bis zu 200 Zeitarbeiter loswerden. Schnell hieß es, dass diese Beschäftigten bald durch Leiharbeiter aus Polen ersetzt würden - ein Thema für die NPD. Auf einem ihrer Plakate steht: "Polen offen? Arbeit futsch!"

Zu wenige protestierten

Am vergangenen Dienstag sind NPD-Leute angereist und mit Trommeln und Transparenten durch Torgelow gezogen. Politiker von SPD, Linkspartei und CDU haben dagegen protestiert, doch sie waren deutlich weniger.

Das mit den polnischen Leiharbeitern stimme so gar nicht, sagt Peter Krumhoff, Geschäftsführer der Eisengießerei. Es sei noch nicht entschieden, ob von den 130 Stellen in der Putzerei welche ausgelagert werden und wenn ja, wie viele.

Sollte es dazu kommen, könnte der Dienstleister natürlich auch polnische Arbeiter einsetzen. Wieso auch nicht im Europa der Arbeitnehmerfreizügigkeit?, fragt er. Hat das Unternehmen da nicht der NPD in die Hände gespielt, indem es die Entscheidung jetzt bekannt gab? "Der Zeitpunkt ist nie richtig", sagt Krumhoff. "Dass die NPD damit Wahlkampf macht, das tut uns auch Leid."

Vom Saarland lernen

Nicht alle glauben, dass die NPD mit ihren Anti-Polen-Parolen überhaupt noch viele Menschen erreicht. Siegfried Wack war 18 Jahre lang Bürgermeister im Saarland, nahe der französischen Grenze. Nach der Wende kam er hierher, um zu zeigen, "wie wichtig es ist, dass man gut mit den Nachbarn zusammenlebt".

Er wurde Landrat, baute die Deutsch-Polnische Gesellschaft auf und war viele Jahre ihr Vorsitzender. "Am Anfang gab es eine latente Antihaltung gegenüber den Polen", sagt er. "Das hat sich schon deutlich verbessert."

Aber dass für manche die Polen immer noch die Sündenböcke sind, das findet Jessica Przybylski einfach ärgerlich. Es ist einer der Gründe, warum sie nach dem Abitur wegwill, knapp zwei Jahre wird sie noch zur Schule gehen. Solange will sie immer wieder rüber nach Polen fahren, zum Ausgehen.

"Stettin ist eine richtige Clubstadt", sagt sie. Die deutsche Seite kann da absolut nicht mithalten.

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