Lange Museums-Nacht: Kunst und Würstchen für alle

Vor zehn Jahren fand die erste Lange Nacht der Museen statt. Heute ist die Berliner Erfindung ein Exportschlager.

Nofretete erträgt den Andrang in die Museen mit Würde Bild: AP

Sphärische Gong-Klänge am Pergamonaltar genießen, dann raus nach Oberschöneweide ins Brauereimuseum und abends ans Kulturforum zum Oberkreuzberger Nasenflötenorchester: Am Samstag findet zum 21. Mal das größte Museumsspektakel Berlins statt, die Lange Nacht der Museen. Zehntausende werden sich wieder in die BVG-Shuttlebusse drängen, um bis 2 Uhr morgens zwischen 110 Museen, Sammlungen und Gedenkstätten hin und her zu fahren.

Was vor zehn Jahren von der Marketingagentur "Partner für Berlin" ersonnen wurde, um mehr Besucher in abgelegene und kleine Museen zu bekommen, ist eine feste Institution im Kulturkalender der Stadt - und eine der größten Erfolgsgeschichten des Kulturbetriebs.

Zweimal im Jahr bieten die Museen zum Pauschalpreis Spektakuläres, Skurriles, Schönes und Banales an. Längst nicht mehr nur in Berlin: Die Lange Nacht der Museen ist ein Erfolgsrezept, dem von Rostock bis Buenos Aires weltweit bereits mehr als 120 Städte folgen. Und: Das Format der Langen Nacht, das thematisch gebündelte Event zum Flatrate-Preis, wurde auf unzählige andere Bereiche übertragen. So gibt es in Berlin unter anderem die Lange Nacht der Wissenschaft, des Shoppings, der Hotelbars und des Döners. In Theatern und Rundfunkanstalten ist "Lange Nacht" längst zum Synonym für Event geworden.

Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Stadtrallye, Bildungsexkursion und Volksfest. Sie verheißt Kulturgenuss ohne Zeigefinger, Museumsbesuch ohne Staub und viele Gemeinschaftserlebnisse. Und sie hat die Museumspädagogik revolutioniert. Doch was war daran revolutionär, Besuchermassen einen ganzen Abend lang von einer Ausstellung zur nächsten zu kutschieren? Um das zu verstehen, muss man sich bewusst machen, wie es in den Museen und in der Republik zuging, bevor Volker Hassemer, damals Chef von "Partner für Berlin", die Idee mit der späten Rundtour hatte.

Die Öffnungszeiten von Geschäften und Ausstellungen waren 1996 noch streng reglementiert, von Liberalisierung war nur selten die Rede. So wurde erst 1996 durchgesetzt, dass Geschäfte jeden Samstag bis 16 Uhr öffnen können - statt bisher nur einmal im Monat beim traditionellen Langen Samstag. Museen öffneten morgens und schlossen spätestens um 18 Uhr. Zu den Öffnungszeiten durfte das Publikum kommen und die Exponate ansehen. Mehr Annäherung an das Publikum fand nicht statt. Von Errungenschaften wie Audioguides oder Blindenführungen war man noch weit entfernt.

Die Lange Nacht versprach da einen Tabubruch: Nachts ins Museum - das hatte was von Nachts-ins-Hallenbad-Einbrechen oder nach dem Zähneputzen noch Schokolade essen. Außerdem drehte diese Idee die Logik des Museumsbesuchs um: Sie brachte die Museen an die Leute, nicht umgekehrt. Das Publikum setzte sich in den Bus und konnte den ganzen Tag so viele Museen besichtigen, wie es wollte - und dabei ganz unbeflissen auch mal eines auslassen oder zwischendrin ein Würstchen essen.

Schwellenängste gegenüber altehrwürdigen Museumshallen und Tempeln der Hochkultur abzubauen, war eines der erklärten Ziele der Erfinder der Langen Nacht. "Kultur darf nicht nur Sache der Kulturwilligen sein", sagt Hassemer, der Erfinder der Langen Nacht. Sie sollte auch Menschen, die sonst nie in Museen gingen, Lust auf Kunst und Geschichte machen. Um die Barrieren abzubauen, stand stets viel Populäres auf dem Programm: Die Besucher konnten unter dem Deckmantel der Kunst auf Robotern reiten, eine Brauerei besichtigen und Hanfbier trinken.

Dieses beiläufige Konsumieren von Kultur rief von Anfang an Kritik hervor. Schöngeister befürchteten eine Festivalisierung der Kultur, ein Verkommen des von Bildungsdurst motivierten Museumsbesuchs zum vergnügungsgesteuerten Event. Wer in sieben Stunden zehn Museen abklappere, so die Angst, dem ginge es nur um das Gemeinschaftserlebnis und die Sensation - das rechte Kunstverständnis stelle sich so jedenfalls nicht ein.

Natürlich ist es nicht jedermanns Vorstellung von Kunstgenuss, sich in einer Horde durch möglichst viele Museen treiben zu lassen, damit sich der Eintrittspreis auch lohnt. Doch das erzieherische Kalkül der Langen Nacht lautete: Wer einmal im Zuckermuseum Zuckerwatte gemacht hat, wird gerne mal wieder in ein Museum gehen.

Diese Hoffnung erfüllte sich schließlich aber doch nicht ganz, wie eine 2003 veröffentlichte Besucherumfrage belegte: Die Lange Nacht, so das Fazit, erreiche "vor allem die typischen Museumsbesucher". Doch selbst deren Horizont kann während des Events noch erweitert werden. Denn wer kennt schon alle 170 Museen, die Berlin zu bieten hat?

Die Lange Nacht hat es geschafft, Häuser wie das Anti-Kriegs-Museum, das Bröhan-Museum oder das Heimatmuseum Charlottenburg-Wilmersdorf zumindest zweimal im Jahr zu Publikumsmagneten zu machen. "Das ist wie mit einem Veranstaltungskalender und einem Telefonbuch", sagt Hassemer: "Das ganze Telefonbuch werden Sie nie durchlesen, den Veranstaltungskalender schon."

Natürlich bleiben viele trotzdem immer bei den Buchstaben mit den meisten Einträgen hängen. Auf der Website der Langen Nacht wird Besuchern zur Frustvermeidung deshalb empfohlen, erst "kleinere oder abseitige gelegene Häuser" zu besuchen, bevor man versucht, eine der hoffnungslos überfüllten Orte wie die Museumsinsel zu entern. In zehn Jahren ist die Besucherzahl kontinuierlich von überschaubaren 23.000 auf mehr als 200.000 angewachsen. Für Museen und Busfahrer ist die Lange Nacht deswegen inzwischen oft mehr Stress als Freude.

Doch trotz des Nerv-Faktors haben Museumsgänger der Langen Nacht viel zu verdanken: Sie brachte den Eventgedanken in die Museumspädagogik. Sie ist die Urform dessen, was sich darin als neuer Ansatz durchgesetzt hat: Spaß und Publikumsnähe. Inzwischen kann man in Ausstellungen übernachten, picknicken und sich von jungen Frauen Erklärungen geben lassen, auf deren T-Shirts "Lassen Sie uns über Kunst reden" steht. Man wird im Bus zu einem Wasserschloss gefahren, wo man zwischen Ausstellungsbesuch und abendlicher Performance mal eben in den See hüpfen kann. Und selbst die Hüter der Hochkultur meckern nicht über modernes Tanztheater im Pergamonmuseum. Denn trotz all der MoMAs, schönen Franzosen und anderer Superevents, die Kunst als Rummel vermarkten - es gibt noch genügend Phasen, in denen man in stiller Andacht durch ein halb leeres Museum wandeln kann. Etwa an einem der regelmäßigen "Langen Tage" unter der Woche nach acht Uhr abends.

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