Le Corbusier-Ausstellung in Berlin: Monumentalität und Organik

Das Werk eines der radikalsten Architekten der Moderne soll Unesco-Welterbe werden. Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt Le Corbusier in seinen Widersprüchen

Le Corbusier und Pierre Jeanneret, Pavillon Suisse, Paris, 1930-33 Bild: vlc / vg bild-kunst, bonn 2009

Als vor zwei Wochen im andalusischen Sevilla das Unesco-Welterbekomitee seine Jahrestagung abhielt, beriet es auch über einen internationalen Gruppenantrag mit vermeintlich hoher Strahlkraft. Frankreich, die Schweiz und die Bundesrepublik, Belgien, Japan und Argentinien hatten gefordert, das Oeuvre des Architekten Le Corbusier (1887 bis 1965) in die Welterbeliste aufzunehmen.

Der Denkmalrat, dies am Rande, hat seine Entscheidung über die Bauwerke und städtebaulichen Ensembles des wohl radikalsten Ideengebers der klassischen Architekturmoderne auf die lange Bank geschoben. Dass davon nichts aus Sevilla hinausdrang, ist weniger dem Vorhaben als vielmehr der medialen Omnipräsenz über das verhunzte Dresdner Elbtal zu verdanken. Was übrigens einem Navigationsfehler gleichkam. Denn der Le-Corbusier-Vorstoß enthielt mindestens so viel Spannung wie der Rauswurf der Sachsen: Der Gruppenantrag war ein Unikum unter den Bewerbungen. Noch nie stand das Lebenswerk eines einzelnen Baumeisters zur Debatte. Zudem war der bauliche Komplex, der gleich über mehrere Kontinente verstreut liegt, ein Novum.

Welche Bedeutung der in der Schweiz geborene Architekt und Stadtplaner Charles-Edouard Jeanneret besitzt, der sich nach seiner Übersiedlung nach Paris 1917 "Le Corbusier" nannte, zeigt ab Donnerstag die Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau: "Le Corbusier. Kunst und Architektur". Auch die Welterbe-Kandidaten sind in der Präsentation vertreten - darunter die Villa Savoye (1929), jene Ikone der Moderne, die Häuser der Stuttgarter Weißenhofsiedlung (1927) oder die Unité dHabitation in Marseille und Nantes (1947/1958) und natürlich die kubistische Wallfahrtskirche Notre Dame du Haute (1955) und das Brasilia entlehnte Regierungsviertel im indischen Chandrigarh (1961).

Man könnte schon darum die Schau mit ihren massigen 380 Exponaten als Reflex oder Begleitmusik in Bezug auf den Unesco-Antrag lesen. Zumal der Hauptleihgeber, die "Foundation Le Corbusier", in Paris seit zwei, drei Jahren in dieser Sache durch Europa tourt: mit den Originalplänen, Möbeln und Modellen, Zeichnungen und Skulpturen des umstrittenen Schöpfers eleganter weißer Villen, aber auch kilometerlanger Wohnsilos und von Betonklötzen.

Doch Berlin fungiert nicht als bloßer Multiplikator der vorangegangenen Präsentationen und schon gar nicht als Neuauflage der letzten großen Le-Corbusier-Hymne im Centre Pompidou (1987). Guckt man genau hin, geht es in Berlin nicht um die Revision des Le-Corbusier-Images als "eines jahrelang zum Feindbild der Postmoderne stilisierten Architekten", wie der Kurator der Berliner Ausstellung, Mateo Kries, anmerkt.

Vielmehr zeichnet die Ausstellung mit "vielen neuen Dokumenten und Aspekten die Komplexität und Widersprüchlichkeit" des baulichen Werks von Le Corbusiers und zugleich seine besondere Rolle als bildender Künstler nach.

Darum geht auch das Konzept in den drei Abteilungen - "Kontext", "Privatheit und Öffentlichkeit" sowie "gebaute Kunst" - Le Corbusiers "Sündenfällen" nicht aus dem Weg. Die avantgardistischen Gegenentwürfe zur traditionellen Stadt und Architektur liegen gleich zu Beginn in Form von Modellen, Plänen und Dioramen vor dem staunenden Betrachter. Die "Ville Contemporaine" (1922) und der "Plan Voisin" (1925), die streng geformte visionäre Hochhausstadt für drei Millionen Bewohner auf dem Grundriss des alten Paris, provozierte schon im Herbstsalon 1925 die Öffentlichkeit.

Die Funktionen der neuen, verkehrsgerechten Modellstadt übertrug Le Corbusier in den 30er-Jahren auch auf seine Häuser. Die puristischen weißen Pavillons, die auf feinen Stelzen wie geometrische Skulpturen in der Landschaft schwebten, verkörperten elegant die Idee der "Wohnmaschine" und symbolisierten zeitgemäß die Bilder des Aufbruchs, von Mobilität - und Raum für den "Neuen Menschen".

Während sich die Rezeption der Moderne - in der Folge von Alexander Mitscherlichs Kritik - weiter in die Aussage verbeißt, Le Corbusiers Stadtplanungen seien Derivate eines "kalten Funktionalismus", deren trostlose Betonsiedlungen und urbane Entmischung "depressiv" machten, haben die bauliche Ästhetik, das schriftstellerische Werk des Architekten sowie insbesondere seine Arbeiten als bildender Künstler die Perspektiven heute erweitert.

Le Corbusiers Entwürfe bedeuteten eine "surrealistische Poetik", wie es der Architekt Juan Lahuerta im Katalog ausdrückt. Le Corbusiers Pläne für Megacities, die Wohnschlangen etwa für das neue Algier (1939) und "Villes radieuses" (1936), die ja nie realisiert wurden, assoziierten mehr ein artifizielles, "monumentales Spektakel" oder ein "Kunstwerk" als angestrebte Wirklichkeit.

Daran kann man zweifeln, zumal Le Corbusier sich dem gebauten Monumentalen nie verschloss. Richtig ist, dass der Baukörper für Le Corbusier immer auch Skulptur, Ästhetik, Licht, Farbe und Materialität blieb. Wer an den fließenden Formen auf wunderbaren Tapisserien, den abstrakten Zeichnungen und haptischen Skulpturen vorbeiflaniert, spürt die Koinzidenz von kubistischer Kunst und körperlicher, organischer Architektur, die insbesondere das bauliche Spätwerk in Ronchamp, Marseille und Indien prägten. Man könnte meinen, es träfen sich sogar Le Corbusiers narrative Architektur und die Postmoderne.

Die Ausstellung präsentiert, ganz marketinggemäß, auch ein Kapitel "Le Corbusier. Berlin und Deutschland". Darin werden seine Etappen in der Stadt 1910/11, am Bauhaus 1923 und für die Internationale Bauausstellung Berlin 1956/57 vorgestellt.

Es ist leider nur Bekanntes und wenig Überraschendes zu sehen. Hier wirkt die Ausstellung schlicht gewollt. Dies provoziert, gerade wegen einer guten Konzeption, am Schluss die Frage, ob die Berlin-Dokumente, Filme und Modelle des Le-Corbusier-Hauses am Olympiastadion nicht nur eine Anbiederung an den Ausstellungsort bedeuten, die man einfach hätte links liegen lassen können.

KURATOR MATEO KRIES

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