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Leben mit BürgergeldHer mit der Sozialpolitik für Kinder

Simone Schmollack

Kommentar von

Simone Schmollack

Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen leben in Armut, manche können sich nicht einmal richtiges Essen leisten. Besonders dramatisch ist das für Kinder.

Besonders für Kinder ist das Leben in Armut eine Belastung Foto: imago

W issen Sie, wie viel Paar Schuhe Sie besitzen? Wie viele Hosen, T-Shirts, Jacken? Ich weiß es nicht genau, auf jeden Fall sind es mehr als genug. Hat sich an einem Schuh eine Sohle gelöst und ist der Reißverschluss der Winterjacke kaputt, kann ich andere Schuhe und eine andere Jacke anziehen. Kein Problem. Dieses Privileg haben andere Menschen in der Republik nicht. Um genau zu sein: Mehr als 2 Millionen Menschen leben in finanziell derart prekären Verhältnissen, dass manche nicht einmal ein zweites Paar Schuhe besitzen.

Ein Drittel der 5,5 Millionen Bürgergeldempfänger:innen, um die es in diesen Fällen geht, kann sich einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zufolge nur jeden zweiten Tag ein richtiges Essen leisten: gekocht, mit Gemüse, genügend Kohlehydraten, Eiweiß. Mehr als 16 Prozent der Menschen, die von Sozialgeld leben, heizen im Winter nicht, weil dafür das Geld fehlt, ein Drittel kann alte Kleidung nicht ersetzen. Manchen sieht man es an, andere frieren unbemerkt.

Zugegeben, es gibt Menschen, die Offerten vom Jobcenter ablehnen, und einige wenige, die sich allen möglichen Angeboten verweigern. Sie sollen künftig stärker sanktioniert werden, so will es die Bundesregierung. Kindern bedürftiger Eltern indes kann man mitnichten vorwerfen, dass sie schuld sind an ihrer Situation. Vor allem bei ihnen erzeugt das Leben in Armut Stress, Scham, Versagensgefühle. Sie schämen sich für den abgeranzten Pulli, den schon der große Bruder abgetragen hat. Sie wagen nicht, Freunde zu sich nach Hause einzuladen. Und sie sind nicht selten schlechter in der Schule, weil ihnen echte Freundschaften und soziale Kontakte fehlen. In Deutschland leben laut Unicef rund 800.000 Kinder dauerhaft in Armut.

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Es mag wie ein Mantra klingen, das man nicht mehr hören will, und doch muss man erneut beklagen, dass ein – immer noch – reiches Land wie die Bundesrepublik nichts dagegen tut. Armut, insbesondere bei jenen, die von der Grundsicherung, wie das Bürgergeld künftig heißen soll, leben, ist nicht Gegenwart, es ist mehr denn je die Zukunft.

Die Folgen von Wirtschaftsstagnation, steigender Arbeitslosigkeit, Dauerkrisen und höheren Lebenshaltungskosten spüren viele Menschen, jene mit sehr wenig Geld aber besonders. Will die Bundesregierung nicht nur den Frieden in Europa sichern, sondern auch den sozialen Frieden im eigenen Land, sollte sie sich (wieder) auf eine echte Sozialpolitik besinnen – mindestens im Sinne der Kinder.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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