Lebensmittel: Kartoffeln mit Gift und Würmern

Schwere Vorwürfe gegen Niedersachsens Landwirtschaftskammer: Zum Schutz der Agrarindustrie sollen belastete Bodenproben verschwunden sein.

Ob Nematoden in den Kartoffeln sind, sieht man nicht. Aber der Bauer merkt es auf dem Feld Bild: dpa

HANNOVER taz | Die Landwirtschaftskammer Niedersachsen hat Vorwürfe zurückgewiesen, sie lasse mit Schädlingen belastete Bodenproben zu Gunsten der Agrarindustrie verschwinden. „Bei uns ist nichts abhanden gekommen“, versicherte Kammersprecher Walter Hollweg gegenüber der taz. „Jede Probe wird erfasst und dokumentiert.“

Die Selbstverwaltungsorganisation der Landwirtschaft im größtem Agrarland der Bundesrepublik reagiert damit auf ein Schreiben der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (ABL). Diese Interessenvertretung traditionell wirtschaftender Bauern hatte darin Hinweise aufgegriffen, die offenbar schon länger kursieren: Danach soll die Landwirtschaftskammer kapitalstarke Kartoffelzüchter gezielt schützen.

Insider vermuten, die mehr als 100 Millionen Euro Umsatz schweren Züchter dürften Saatkartoffeln ausliefern, die mit Nematoden genannten Fadenwürmern (siehe Kasten) belastet seien – und so die Felder von Kartoffelbauern über Jahre mit den Schädlingen verseuchen. Dazu seien belastete Bodenproben schlicht nicht ausgewertet worden, behaupten Landwirte.

Denn für die werden die Fadenwürmer zu einem immer größeren Problem: Zwar sind Nematoden für den Menschen zunächst unschädlich. Allerdings führen die Schädlinge zu massiven Ernteausfällen – ein Befall des Bodens ist selbst für Laien an großflächigen Lücken in den Kartoffelfeldern leicht zu erkennen. Damit könnten jedes Jahr Schäden in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe anfallen: Fachleute schätzen, dass aktuell zwischen 50 und 70 Prozent der 100.000 Hektar, auf denen in Niedersachsen Kartoffeln angebaut werden, mit den Fadenwürmern belastet sind.

Bekannt ist die Ursprungsform des Kartoffeln schädigenden Fadenwurms schon seit 1913: Weil sie in der Nähe von Rostock entdeckt wurde, trägt die gelbe Goldnematode den Namen Globodera rostochiensis.

Erkennbar ist der Schädlingsbefall vor allem an den Wurzeln der Pflanzen: An ihnen bilden sich braune Zysten, die mit bis zu 1.000 Eiern gefüllt sein können. Einmal im Boden, können sie dort bis zu zehn Jahre lebensfähig bleiben.

Als besonders problematisch gilt unter Landwirten aber die resistente Art der weißen Nematoden: Gegen sie wirkt nur noch ein einziges Pestizid - Nemathorin.

Die Leiterin des bei der Landwirtschaftskammer angesiedelten Pflanzenschutzamts, Carolin von Kröcher, weist diese Zahlen zurück: Stichproben von 2.000 Hektar Fläche hätten ergeben, dass Nematoden aktuell auf 28 Prozent der Anbaufläche von „Konsumkartoffeln“ nachgewiesen werden könnten. „Und bei Saatkartoffeln liegt der Anteil bei exakt null Prozent“, sagt die Expertin.

Für Verbraucher ist der Schädlingsbefall allerdings in jedem Fall problematisch: Um Einnahmeausfälle zu vermeiden, bekämpfen viele Landwirte die Nematoden mit dem einzigen noch wirksamen Pestizid Nemathorin, das nicht nur gewässerschädlich, sondern auch für Vögel giftig ist. Wegen unsachgemäßer Anwendung, so ist in der Agrarszene zu hören, sei das Gift schon schon in der Saison 2011/2012 erstmals in verkaufsfertigen Supermarktkartoffeln gefunden worden.

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